Erlebnisbericht für Freunde der Weltumsegler 

Britta und Michael sind bereits 2006 bis 2009 mit ihrer VERA, einer SWAN 47 (Baujahr 1976), um die Welt gesegelt - siehe Who-is-Who-im-Weltumsegeln. Für mich unvergesslich war damals ein Abend auf der VERA, die vor Anker in Langkawi/Malaysien lag. Zwischenzeitlich hat Michael für meine Webseite einige bemerkenswerte Beiträge geschrieben, wobei sein Erfahrungsbericht über die Weltumsegelung mit einem Iridium-Satelliten-Telefon sicher vielen Langfahrtaspiranten die Entscheidung erleichtert hat. 

Nun, nach erfolgreicher Weltumsegelung, haben sich die beiden ganz offensichtlich entschlossen, dauernd auf ihrer Yacht, es ist immer noch die betagte Swan 47, zu leben und weiter die Welt zu erkunden. Jetzt sind sie im südlichen Südamerika angekommen. Aber statt dort so schnell wie möglich in den Pazifik einzulaufen, fühlen sie sich offensichtlich so wohl, dass sie - von keinem Weltumsegelungsplan oder einem weiteren Rekordversprechen ("der Erste", "der Erste nonstop", „Erste gegen den Wind", „der Erste hin und zurück" etc.) gehetzt – so lange dort ihre Zeit verbringen, wie es ihnen gefällt.
Britta und Michael betreiben keine Webseite, keinen Blog. Stattdessen senden sie, wie früher in Zeiten vor dem Internet üblich, regelmäßig Briefe, Erfahrungsberichte an Freunde. Und die haben es in sich. Da segelt man mit! Und lernt gleichzeitig Traumziele kennen und genießen. Der letzte Brief kommt aus Feuerland, bekannterweise kein gemütliches Segelrevier. Er bringt die schöne Rauheit des Reviers dem Leser nahe wie kaum ein anderer Bericht über ein Traumziel vieler Weltumsegler, nämlich Patagonien. Vielleicht liegt es daran, dass der Inhalt nur für Freunde bestimmt war. Ich jedenfalls fand es schade, dass diese Erfahrungen und Beschreibungen eines der schönsten, ja erhabensten Reviere, nur einem engen Kreis zugänglich sein sollte. Und so hab ich Britta und Michael gebeten, ihn auch den Besuchern meiner Webseite zugänglich zu machen. Hier ist er:

Bobby Schenk


Segeln im Reich der chilenischen Gletscher

Hallo, während bei Euch die Sonne aufgeht (ah, der Mai!), liegt hier der späte Herbst über den verschneiten Bergen und Fjorden Patagoniens. Die Tage werden kurz und kalt. Britta und ich sind noch immer hier. Durch den ärgerlichen Defekt an unserer Heizung ("Fehler 42", Glühkerze kaputt) ist es anders gekommen als ursprünglich geplant. Besser? Wir finden schon. Sicher ist, das wir den wilden, weiten Weg hinauf nach Puerto Montt durch Wildnis, Sturm und Kälte nicht ohne eine funktionierende Heizung angehen wollten. Wir bestellten also eine neue Glühkerze, vorsorglich gleich zweimal, von zwei verschiedenen Händlern in England und den USA, per Luftpost, per Express, eilt unbeschreiblich, per Einschreiben, extra und extra. Anfangs gingen wir noch voller Erwartung alle paar Tage zur Post, dann nur noch einmal in der Woche und am Ende war es uns einfach egal. Letztlich haben wir über drei Monate in Puerto Williams auf unsere ersehnten winzigen Päckchen gewartet. Lateinamerika…

Aber: Die Natur ist herrlich hier auf der Isla Navarino, südlich von Feuerland. Schroffe Berge, wilde Täler, filzige Wälder, gut gepflegte Wanderwege, wilde Pferde, muntere Biber, und eine Auswahl an Vögeln, wie wir sie nie gesehen haben. Draussen im Beaglekanal heult der Westwind, springen Delphine, Wale und Seelöwen. Wir haben einen guten, gesunden Tagesablauf gefunden: Morgentee, Wanderung (so zwei bis vier Stunden, je nach Tagesform), Brunch, Mittagsschlaf, lesen, schreiben, kochen, Dinner, vielleicht einen Film, lange schlafen, Morgentee, Wanderung, Brunch, usw.

Wir haben uns also entschieden, eine Zeitlang hier am »Fin del mundo« zu leben, ein gemütliches Winterquartier aufzuschlagen, in Puerto Williams, dem südlichsten Dorf der Welt. Die meisten Dorfbewohner hier gehören der chilenischen Marine an und pflegen einen äußerst freundlichen und hilfsbereiten Umgang mit den abenteuerlustigen Backpackern und Seglern aus aller Welt. Durch die benachbarten Boote hier im Päckchen an dem alten deutschen Paketdampfer CONTRAMESTE MICALVI konnten wir viele Bekanntschaften und einige Freundschaften schließen. Die Versorgungslage ist die: Am Samstag kommt die Fähre aus Punta Arenas und lädt ab. Der ganze Ort geht auf einmal hamstern. Ab Montag sind die Läden leer, von Leuten, aber auch von Waren.

Durch die vielen Gespräche hier hat sich unsere Sehnsucht nach einer eigenen kleinen Zweimannexpedition im nächsten Sommer in die Antarktis noch verstärkt. Dazu benötigen wir allerdings u.a. eine Genehmigung des deutschen Umweltbundesamtes. Die ist schwer zu bekommen. Ein Aktenordner voller Unterlagen ist zu erstellen, 1013 Frage, zum Schiff und zu uns. Zum Glück lag immer mal wieder die SANTA MARIA AUSTRALIS neben uns. Jeanette und Wolf fahren seit über zwanzig Jahren mit Chartergästen in die Antarktis und waren in den letzten Jahren jeweils die einzige Yacht unter deutscher Flagge, die eine Genehmigung hatte. In den nächsten Wochen reichen wir die Papiere ein. Den endgültigen Bescheid erwarten wir so in drei bis sechs Monaten.

Anfang April mussten wir für ein paar Tage nach Ushuaia in Argentinien ausklarieren. Unsere Visa für Chile waren abgelaufen. Zum Glück genügt die einmalige Aus- und Wiedereinreise (sehr viel Papier, sehr viel Zen), um neue Visa zu erwerben. Ushuaia ist aber auch gut für manch anderes: Die dicken argentinischen Steaks im »Christophers« und die Croissants im »Ramos Generales« sind noch immer von erstklassiger Qualität und mehrere Besuche wert, auch weil der argentinische Peso derzeit in schlechtem Zustand ist. Im gemütlichen Yachtclub AFASYN treffen wir ein nettes schwedisches Pärchen: Pia und Ulf sind mit ihrem kleinen Doppelender SY CLARY (Laurin Koster 32) unterwegs und haben ähnliche Pläne wie wir.

Zurück in Puerto Williams und mit neuen Visa für Chile in der Tasche, beantragen wir gleich eine Genehmigung für den »Circito Ventisquero«, eine Rundreise durch die spektakulären Gletschergebiete im äußersten Südwesten Chiles. Nun stellt es sich als großer Vorteil heraus, das Diesel und Vorräte nicht für 600 Seemeilen bis zur nächsten Tankstelle in Puerto Natales reichen müssen, sondern nur für die knapp 300 eher diesellastigen Seemeilen des »Circito Ventisquero«. Durch unsere geplante Überwinterung im tiefen Süden haben wir viel Zeit gewonnen, die wir nun zu nutzen gedenken. Entschleunigung, die uns gut tut.

Mitte April verlassen wir gemeinsam mit der CLARY in aller Frühe unseren heimeligen Liegeplatz. Der Beagle Kanal zeigt sich zunächst von seiner selten friedlichen Seite. Bei leichtem Ostwind und Nieselregen laufen wir bei glattem Wasser platt vor den Laken gen Westen. Gegen Mittag ist der Wind weg, dann dreht er zurück auf West. Mit Hilfe des grünen Herrn Volvo geht es zunächst noch gut voran. Als Britta soeben unsere Eierkuchen in die Pfanne gießt, legt der Wind unvermittelt und völlig unerwartet zu. 25, 30, 35, dann 40 Knoten, Stärke acht. Die Sicht ist weg, das Wasser fliegt und bricht über den Bug. Bei Vollgas laufen wir keine drei Knoten mehr über Grund. Nichts wie raus hier. Drei Meilen weiter gibt es eine gut geschützte Ankerbucht: Caleta Martinez, eng, viel Kelp, Leinensalat von Fischerbooten. Wollen mal sehen… Mit Hilfe des Radars tasten wir uns bei schlechter Sicht zwischen kleinen Inselchen, Untiefen, Steinen und Felsen hindurch. Unsere Karten sind nicht schlecht, weisen aber einen markanten Versatz auf. Britta und ich haben beide ein mieses Gefühl bei der Sache. Es ist saugefährlich, was wir hier machen. Ein kleiner Fehler, oder Kelp im Propeller, und die VERA liegt hoch und trocken auf den Steinen. Das darf auf keinen Fall passieren. Sollten wir besser abbrechen, und zurück nach Puerto Williams segeln? Hinter uns ist die kleine CLARY umgekehrt und läuft ab. Letztlich gelingt es uns bei heulendem Sturm die winzige Caleta Martinez zu finden und in zwei Stunden harter Arbeit den Anker und zwei Landleinen sicher zu platzieren. Danach sind wir absolut erledigt und haben einiges gelernt.

Die nächsten Tage laufen geruhsamer ab. In der oberen Bahia Yendegaya finden wir eine Horde munterer Seelöwen und einen traumhaft schönen Platz. Die Caleta Ferrari bietet perfekten Schutz und Ankergrund vor den verfallenden Gebäuden der verlassenen Estancia Yendegaya, dem Yendegaia Fluss und dem Stoppani Gletscher.

Das gesamte Gebiet wurde um das Jahr 2000 herum von dem US Amerikaner Doug Tompkins (dem kürzlich tödlich verunglückten Gründer der Firmen »The North Face« und »Esprit«) erworben, um es als »Yendegaya National Park« der Natur zu überlassen. Nichts und niemand ist mehr hier, aber die überwuchernden Wege und einige klapprige und gefährlich morsche Holzbrücken werden noch von wilden Pferden genutzt.

Von der Estancia aus ist es möglich, entlang des Flusses, durch das breite ehemalige Gletschertal, bis an den derzeitigen Fuss des mächtigen Stoppani Gletscher zu wandern, der seinen Ursprung in den hohen Bergen der Darwin Kordilleren hat. Kann es einen anschaulicheren Weg geben, geologische Zeiträume vorstellbar zu machen? Ohne die Aufklärung, ohne Menschen wie die Geologen James Hutton (1726-1797) und Charles Lyell (1797-1875) würden wir uns viel zu wichtig nehmen. Bahia Yendegaya: Ein Platz zum Verweilen, ein Platz zum Wandern und zum Träumen.

Eine Woche später nutzen wir ein gutes »Wetterfenster« mit östlichen Winden, um mit einer kleinen Herde Orca Wale und vorbei an mehreren großen Gletschern in die wildromantische Caleta Morning zu verlegen.

Einen Tag später dringen wir in den Seño Pia vor, einem mächtigen zweiarmigen Einschnitt im Beagle Kanal, in den einige der gewaltigen Gletscherzungen des Romanche Gletschers aus den Darwin Kordilleren kalben. Schon bei der Einfahrt in den Fjord riecht es nach Eis. Vorsichtig tasten wir uns voran. Britta steht am Bug und wehrt die größten Brocken mit dem Bootshaken ab. Den vielgepriesenen Ankerplatz in der Caleta Beaulieu erreichen wir nicht. Der Ostwind hat das Eis so stark verdichtet, das es kein Vorwärtskommen gibt. Uns bleiben nur der Rückmarsch, und einmalige Eindrücke.

 

In der nahegelegenen Bahia Tres Brasos finden wir auf Empfehlung von Jean Yves von der SY NATSIQ ein heimeliges Plätzchen, das wir »Walden Pond« nennen, obwohl es eigentlich »Caleta Cinco Estrellas« heißt, also »fünf Sterne Unterkunft«. Ein kleiner Einschnitt verengt sich zu einer sehr engen Einfahrt und weitet sich dann zu einem kleinen, fast runden Teich, in den kaum mehr als die schlanke VERA hineingeht. Der Anker und zwei Landleinen halten sie sicher in der Mitte. Von den umliegenden steilen Felsen rauscht ein lebendiger Wasserfall, der zu einer Besonderheit führt: Das Wasser in unserem Teich ist Süsswasser! Der verblüffende Effekt: Der Teich friert über Nacht zu. Und: Der inzwischen doch recht dicke Bewuchs unseres Unterwasserschiffes, die Muscheln und Algen, fallen nach ein paar Tagen einfach ab, und hinterlassen eine blitzsaubere, frische rote Oberfläche.

In den kommenden Tagen rauscht ein heftiger Sturm aus Südwesten über uns hinweg, mit starkem Regen, Hagel und Schnee, der die umliegenden Hügel pudert. Bei uns im »Walden Pond« bleibt es flau, nur die Wolken haben es eilig. Wir lesen und kochen und lesen und schlafen und heizen. Der kleine Nachteil am »Walden Pond« ist die fehlende Sonneneinstrahlung. Die umliegenden Berge lassen im Spätherbst kaum einen Strahl an unsere Solarpaneele. Da auch die Windgeneratoren müßig bleiben, müssen wir den recht hohen Stromverbrauch der Heizung (Umwälzpumpe, Gebläse, Glühkerze, etc.) mit der Hauptmaschine + Lichtmaschine + Hochleistungsregler ausgleichen, so etwa eine Dreiviertel laut nagelnde Stunde pro Tag. So wird uns sehr anschaulich, in welch hohem Maße »zivilisierte« Menschen in den höheren Breiten vom Brennstoff abhängen. Nur um uns warm zu halten verbrennen wir hier so zwischen vier und sechs Litern Diesel pro Tag. Wenn man dann an die Yaghan, die Ureinwohner dieser Gegend und ihre fehlende Bekleidung denkt, kommt man ins grübeln.

Wir bekommen Besuch! Ich (Michael) habe mich soeben zum Mittagsschlafgelegt, als ein größeres Beiboot mit Aussenborder im »Walden Pond« auftaucht. Der Skipper setzt bei strömendem Regen und eisiger Kälte vier Crewmitglieder ab, die hier offenbar eine Wanderung unternehmen wollen. Brrrrr. Danach kommt er längsseits, um höflich Guten Tag zu sagen. Britta führt das Gespräch, während ich (Michael) von unserer Koje aus heimlich lausche. Ein Franzose, aha, noch einer. Ausgeprägt perfektes Englisch, ungewöhnlich. Er liegt mit seiner großen Ketsch weiter draussen vor Anker. Der »Walden Pond« ist etwas zu eng für ihn. Kommt von den Falkland Inseln. Ein Franzose von den Falklandinseln. Aha. Schönes Boot sagt der nette Franzose zu der VERA. Es wundert ihn, hier in der Wildnis so spät im Jahr noch ein Boot anzutreffen und dann noch eines, das so elegant und so sauber ist. Gleich wird er ablegen, es regnet und es ist kalt. Aber nein, das Gespräch mit Frau Britta scheint ihm zu gefallen. Sie reden über dies und das. Britta will ihn wohl nicht an Bord bitten, weil ich (Michael) meinen Mittagsschlaf halte. Als der Franzose weg ist, erzählt mir Britta alles zur Gänze. Sie weiß ja nicht, das ich mitgehört habe. Der Franzose kommt von den Falklandinseln, alt, wettergegerbt, sieht aus wie die französische Ausgabe von Skip Novak. Aha. War das vielleicht Jerome Poncet? Der lebt, wie wir wissen, seit langem auf den Falklandinseln und züchtet Schafe. Hat Britta soeben mit einer lebenden Legende geplaudert? Wer weiss?

Vier Tage später sind wir zurück im Seño Pia. Der Sturm der letzten Tage hat das Eis ein wenig zurechtgerückt, so dass wir mit einiger Mühe bis zur Caleta Beaulieu vordringen und neben dem Anker zwei Landleinen legen können. Das sollte halten. Das Panorama des Gletschers und der umliegenden, schneebedeckten Berge ist atemberaubend. Diese Gipfel sind, verglichen mit Bergen in den Alpen, nicht allzu hoch, stehen sie doch direkt am Meer. Das Klima jedoch sorgt für eine majestätische Aura, mit gewaltigen Wächten und strahlend blauem Eis, die man sonst eher im Hochgebirge verortet. Verschiebungen im Eis des Gletschers sorgen immer wieder für ein Krachen, ein mächtiges Wummern, wie schwere Gewitter oder Artilleriebeschuss. Das macht ein wenig nervös, ist aber doch faszinierend anzuhören. Wir setzen uns mit unserem wohlverdienten Porridge und dem großen Sitzsack aufs Vordeck in die überwältigend wohltuende Nachmittagssonne und versuchen uns sattzusehen, was nicht gelingt. Vielleicht morgen.

Bei Tagesanbruch finden wir die VERA eingefroren in einer fingerdicken, frischen Eisschicht, die auch in der strahlenden Mittagssonne nicht auftaut. Sollten wir eine Dummheit begangen haben? Hier, in der Wildnis überwintern? Bitte nicht! Wir beraten noch, als der kleine Doppelender CLARY um die Landzunge biegt und eisbrechend auf uns zuhält. Was für eine angenehme Überraschung! Bald sitzen wir gemeinsam im Cockpit der Schweden und haben bei Whiskey mit Gletschereis viel zu erzählen. Das anschließende Dinner an Bord der VERA wird denkwürdig. Ein sehr, sehr gelungener, herrlicher Abend, der leider, leider mit »Fehler 61« endet. Unsere Eberspächer Heizung hat erneut den Geist aufgegeben. Das Steuergerät, halb so teuer wie die gesamte Heizung, ist hinüber, Totalschaden. Zuverlässige Technik »made in Görmany«.

Seit geraumer Zeit beschäftige ich (Michael) mich u.a. mit den Stoikern. Meinem permanenten Angespanntsein muss doch irgendwie beizukommen sein. Die Stoiker empfehlen, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen, damit man meist positiv überrascht wird, was zufrieden macht. Im schlimmsten Falle kann man ja gelassen bleiben, weil man ohnehin damit gerechnet hat. Soso. Wie empfohlen, lausche ich also seit Wochen voller Furcht auf jedes eigenartige Geräusch der Heizung, rechne jeden Augenblick mit ihrem Ausfall, und male mir das in den grauesten Farben aus. Und dann, heute, an einem perfekten Abend: »Fehler 61«, aus. Und nun? Ich springe im Dreieck vor Frustration und reiße mir die Haare aus. Stoa? Nicht jetzt. »All I ask is a comfortable home« - Charlotte Lucas.

Die Nacht wird kalt und schlaflos. Die vermaledeite Technik und unsere elende Abhängigkeit von derselben spielt mit unseren Gedanken Roulette. Alle anderen Boote hier fahren mit Holzöfen oder Schalenbrennern (Ölofen, lowtech) zur See. Auf Deck erheben sich mächtige, rußende Kamine, die die Segel schwärzen, gerne Wasser hereinlassen und/oder von schlagenden Vorsegelschoten ausgerissen werden. Bei etwas Wind beatmen diese Monster gerne auch mal die Kabine, was für gute Gesundheit und einen fetten, schwarzen Ölfilm auf Büchern und Polstern sorgt. Eine Hightech Heizung wie unsere Eberspächer Hydronic 10, das beste und zuverlässigste, was es am Markt zu kaufen gibt, würden die Antarktis Profis nicht einmal mit der Kneifzange einbauen. Viel zu unzuverlässig. Haben wir Mist gebaut? Der Gedanke drängt sich auf. Aber: Einen rußenden, schwarzen Schlot an Deck eines Kleinods wie der VERA? Niemals. Während das Heizungsproblem an unseren Seelen frisst, treibt ein frischer Nordwind fette Eisschollen gegen die VERA und die CLARY, das es nur so schabt und kracht. Wir rechnen mit Schäden, und vor allem damit, eingeschlossen zu werden. Ohne Heizung. Wir bekommen kein Auge zu, eine schlimme Nacht.

Der Morgen bringt die Überraschung: Es ist warm. Nordwind, Temperaturen über null Grad! Das Eis ist lose, und dabei zu schmelzen. Wir können ungehindert die Leinen loswerfen und aus der Falle des Seño Pia entkommen. Die Eiswache am Bug hat nicht einmal viel zu tun. Ein Wunder! Der Abschied von der CLARY und einigen weiteren herrlichen Wochen in den Gletschergebieten fällt uns schwer. Sollten wir weitersegeln, nun eben ohne Heizung? Wir entscheiden uns dagegen und beschließen, in drei langen Etappen vor dem Wind nach Puerto Williams zurückzurauschen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt unter Deck machen die langen Abende keine Freude. Zudem haben wir nun ein großes Problem zu lösen: Wie nur, wie, bekommen wir eine neue Heizung innerhalb eines halben Jahres nach Puerto Williams? Und zu welchem Preis? Unsere Erfahrungen mit der kleinen Glühkerze lassen nichts Gutes ahnen.

Auf dem Rückmarsch treffen wir in der Caleta Olla unerwartet auf die POLARWIND, die auf dem Weg nach Norden, nach Puerto Montt und dann in die Südsee ist. Das deutsch - chilenischen Pärchen Jutta und Oswaldo mit den beiden super gelungenen Kindern Antonia (5) und Theo (9), die eine beneidenswert glückliche Kindheit unter Segeln leben dürfen, lädt uns noch auf einen Schlummertrunk ein. Bald tauschen wir bei rotem Wein den neuesten Küstenklatsch aus. Jutta erzählt uns, das die Franzosen in Puerto Williams ganz aufgeregt sind: Der große Jerome Poncet persönlich soll in der Gegen unterwegs und auf dem Weg in den Norden Chiles sein. Aha.

Puerto Williams, unser »Heimathafen«, empfängt uns zu unserem Schrecken mit der kalten Schulter. Völlig unerwartet sind viel zu viele Boote hier. Die chilenische Marine veranstaltet zu ihrem 200. Jubiläum eine majestätische Großseglerparade mit sieben Segelschulschiffen aus Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay, Mexico, Spanien und Kolumbien und eine gut besuchte Optiregatta. Alles ist voll, kein Liegeplatz für die VERA, bloß eine kalte, windige Mooring draussen im Seño Lauta. Eine böse Woche lang frieren wir erbärmlich vor uns hin, bis uns das Auslaufen der französischen PETROUSHKA endlich einen anständigen Liegeplatz mit Landstrom = Heizlüfter im Päckchen an der MICALVI beschert. Das muss fürs erste genügen, bis wir »irgendwann« eine neue Heizung einbauen können.

Herzliche Grüße an Alle von Britta und Michael / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile P.S.

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