Erlebnisbericht
für Freunde der Weltumsegler (9)
Lange galt die Magellan-Straße als der leichtere Kurs aus dem Atlantik in
den Pazifik, und damit in die Südsee. Aber nachdem die wenigen Fahrtensegler
diese harte Route probiert hatten, kamen sie meist zur Einsicht, dass der
Kurs um Kap Hoorn die gemütlichere Route ist, zumal man das berüchtigte
Hoorn in Küstennähe in Tagesetappen passieren kann. Unsere Weltumsegler
Britta und Michael (siehe
Who-is-Who-im-Weltumsegeln) werden erwartungsgemäß auch in der
Magellanstraße mit 40 Knoten von vorne in Regenböen empfangen. Und dürfen
zum Trost dann Drinks mit Gletschereis schlürfen. Trotz der hinreißenden
Landschaft aber lockt unverkennbar auf dem Weg nach Norden die Südsee...
Alle weiteren Berichte und Beiträge von Britta und
Michael finden Sie hier!
In die Straße des Magellan
043 - Magellanstraße
Hallo Ihr Lieben!
Nach den vorangegangenen, arbeitsintensiven Wochen der
Vorbereitung auf die »Patagonian Channels« war unsere Abreise
aus Puerto Williams dringend nötig und irgendwie auch
überfällig. Ein gutes Jahr lang war die »Südlichste Ansiedlung
der Welt« unser Heimathafen und »Base Camp« für den im
Kielwasser der VERA liegenden Törn in die Antarktis. Nun reicht
es. Ein Stapel Pizza noch mit den Freunden von der PELAGIC
AUSTRALIS bei »Isabelle«, dann der Abschied. Traurig, wie so oft
im Seglerleben. Dagegen helfen nur neue Ufer. Ein Wetterfenster
tut sich auf: Zwei bis drei Tage Flaute aus Osten im
berüchtigten »Beagle Kanal«, sehr selten, egal zu welcher
Jahreszeit. Am Vorabend vor dem Auslaufen besorgen wir bei der
Armada ein »Zarpe«, eine Genehmigung zur Weiterreise nach
»Puerto Edén«. Auf halber Strecke nach Valdivia, mitten in der
Patagonischen Wildnis gelegen, bietet dieser kleine Außenposten
eine der ganz wenigen Möglichkeiten Diesel zu bunkern. Wir
hoffen, die 700 Seemeilen gegen Sturm und Strom mit unseren
vergleichsweise begrenzten Dieselvorräten zu schaffen. Der
Morgen graut, kalt und nass: Landstromkabel und Wasserschlauch
aufschießen, Motor an, ein Spinnennetz von Leinen loswerfen und
klarieren, Rückwärtsgang einlegen, winken, Kelpfelder vermeiden,
Fender einsammeln. Draussen Flaute, wie zugesagt, dazu Regen und
schlechte Sicht. Achteraus verschwindet Puerto Williams im
Niesel und Dunst. Es fühlt sich an wie ein Abschied auf immer.
Zu verlockend der Gedanke an die Südsee…
Flaute und Regen in den
Patagonischen Kanälen.

Drei lange Tage
lang motoren wir, durch einen verhangenen »Beagle Kanal« und
endlosen Regen. Ein Segelrevier im eigentlichen Sinne ist diese
Gegend nicht. Eine Nacht verbringen wir in der vertrauten
»Caleta Olla«, dann geht es weiter gen Westen, vorbei an den
mächtigen Gletschern am Wegesrand, die wir dieses mal leichten
Herzens passieren. Im vergangenen Jahr waren wir hier
auskömmlich unterwegs. Eine weitere nasse Nacht: Zuflucht in der
wilden »Caleta Ancha« auf der «Isla Burnt«. Der Überlieferung
nach entführte Kapitän Fitzroy auf dieser Insel einst ein
kleines Yámana Mädchen und brachte sie später nach England.
Mutmaßlich hatten sich die Eltern ein Beiboot der HMS BEAGLE
unter die Nägel gerissen. Heute lebt dort kein Mensch mehr, nur
Moose und Flechten und Pinguine vom Stamme »Spheniscus
magellanicus«. Die dicht gedrängt beieinander stehenden Gruppen
von filzigen Bäumen wissen, woher der Wind weht. Buckelwale
plantschen im »Canal Ballenero«, dazu muntere Seebären,
»Arctocephalinae«, Ohrenrobben also. Albatrosse gibt es auch.
Sie sind bei Flaute beinahe flugunfähig. Rückt ihnen die VERA
auf die Federn, sehen wir spektakuläre Startversuche mit
höchstem Einsatz. Gelegentlich lässt sich die Sonne blicken und
die Sicht bessert sich: An Backbord die Islas »Londonderry« und
»Stewart«, von Fitzroy und seiner Crew erstmals vermessen und
benannt. An Steuerbord die Bergketten der Darwin Kordilleren,
schneebedeckte Gipfel bis über 2000 Meter hoch. Lange haben wir
von diesem Anblick geträumt. Heute gehört er uns.
Abschied vom
mächtigen »Seño Pia«. Diesmal fahren wir leichten Herzens
vorbei.

Ein aufgescheuchter Albatross.

Die Darwin
Kordilleren an Steuerbord.
+
03.
März 2019, »Caleta Brecknock«, gute 160 Seemeilen
westnordwestlich von Puerto Williams gelegen. Wir liegen gut,
mit vielen Landleinen längsseits an der türkisen Oyster
Lightwave PAZZO von Willy und Cindy aus Seattle, die wir hier
unerwartet aufgestöbert haben. Soweit haben wir es gut
getroffen. Die Flaute hielt bis vor die Haustür. Unser kleiner
Einschnitt in dieser fast kreisrunden Bucht ist sicher einer der
schönsten Ankerplätze der Welt. Uns umschließt eine märchenhaft
felsige Landschaft, die zur Erkundung einlädt, da man
ausnahmsweise einmal nicht bis zur Hüfte im Modder versinkt,
sondern nur bis zum Rand der Gummistiefel. Zwei Seen oberhalb
der Bucht lassen sich erwandern, in ein paar Stunden auf und ab,
über Bäche und Moose, über Stock und Stein und rundgeschliffene
Granitfelsen, Aug’ in Aug’ mit Feen und Trollen. Danach schmeckt
B’s Kaiserschmarren doppelt so gut und auch der Mittagsschlaf
fühlt sich wohlverdient an. Dinner an Bord der VERA mit Willy
und Cindy, Drinks mit Gletschereis vom Italia Gletscher am
»Beagle Kanal«. Gute Gespräche. Alles bestens.
»Caleta Brecknock«: Ein felsiges Refugium.

VERA und PAZZO in der »Caleta Brecknock«,
einem der schönsten Ankerplätze der Welt.

Ein paar
Tage später, vor Anker in der »Caleta Mussels«. Es heult ums
Haus, 40 Knoten aus Westen, Regenböen, das übliche in dieser
Gegend. Wir haben die »Estrecho de Magallanes«, die
Magellanstraße erreicht, an einem guten, langen Tag mit
schwachen südwestlichen Winden, durch den »Canal Barbara« mit
seinen unberechenbaren Eddies und starken Tidenströmen. PAZZO
hat sich mit Landleinen in eine kleine Nische in der Nähe
verholt, die vollkommen im Windschatten liegt. Gute Idee.
Andererseits erzeugen unsere beiden kleinen Windgeneratoren hier
draussen ausreichend Strom für unsere winzige Insel der
Zivilisation.
Einer der
vielen großen Gletscher am »Kanal Barbara«.

Im »Kanal Barbara«. Voraus segelt
die PAZZO auf den berüchtigten »Paso Shag« zu.

»Kanal
Barbara«: Mit der PAZZO hoch am Wind.

Der Portugiese Magellan war nicht der erste
Mensch in dieser feuchten und windigen Wildnis. Abgesehen von
der indigenen Besiedlung durch die Selk'nam und die Yaghan, gab
es in Europa bereits früher Gerüchte über eine schiffbare
Meerenge zwischen Atlantik und Pazifik. António Galvão schrieb
im Jahre 1563 über eine alte Karte, und eine obskure Passage
tief im Süden der neuen Welt, die dort als »Draco Cola«, der
Drachenschwanz eingezeichnet sei, lange vor der Reise des
Magellan: »A map which had been found in the Cartorio of
Alcobaça, which had been made more than 120 years before.«
Südostwind in der
Straße des Magellan.

Dennoch: »Estrecho de Magallanes«, was für ein Name! Fernão
de Magalhães, Thomas Cavendish, Louis Antoine de Bougainville,
Antonio de Córdova und Joshua Slocum erlebten in diesen
Gewässern ihre Abenteuer. Wir segeln, äh… motoren, im Kielwasser
der HMS BEAGLE und Charles Darwins. Wie unendlich mühsam muss es
gewesen sein, einen rahgetakelten Großsegler in diesen Gewässern
voranzubringen, gegen Wind und Strom! Magalhães und seine Männer
schafften es Ende 1520 vom Atlantik kommend in nur sechs Wochen
den Ausgang zu einem ihnen unbekannten Ozean zu erreichen, den
der Kapitän »Mar Pacifico« nannte, weil er so friedlich vor ihm
lag. Ob sie ihre schweren und unhandlichen Galeonen an guten
Tagen mit den Beibooten schleppten, oder bei Wind irgendwie mit
ihren beuteligen Leinwandsacksegeln aufkreuzten, wissen wir
nicht. Bloß gut, das wir den uralten, grünen und sehr
zuverlässigen Herrn VOLVO auf unserer Seite haben. 62
Pferdestärken, die einem das Leben sehr erleichtern, wenn es
darauf ankommt. Gut auch, das wir über IRIDIUM jederzeit Zugriff
auf das recht verlässliche NOAA Wettermodell GFS haben. Heute
brauchen wir nicht raus und morgen auch nicht. Westnordwest
Stärke acht, Schauerböen, Dauerregen, Kälte. Dinner an Bord der
PAZZO. Lecker.
Sonnenaufgang in der Straße des Magellan.

März: Es ist es soweit. Ostwind, wie
vom GFS versprochen, unglaublich selten in dieser Gegend. PAZZO
zieht Groß und Spinnacker und fährt lässig an uns vorbei. Unsere
kleine Yankee Genua tut es aber auch. Am Abend erreichen wir die
»Caleta Wodsworth« im Ausgang der Magellanstraße, einen Ort der
so verwunschen wirkt, das es nicht zu beschreiben ist. Ein
großer Wasserfall hängt in den Granitwänden wie ein weißer Bart
und rauscht uns nach dem Dinner in den Schlaf. Dies ist mit
Sicherheit einer der schönsten und spektakulärsten Ankerplätze
der Welt, spektakulärer noch als »Caleta Brecknock«. Wenn wir
doch nur bleiben könnten… Doch der Respekt vor dem zornigen
Westwind lässt uns keine Wahl. Noch vor Sonnenaufgang gehen wir
Anker auf und segeln weiter, diesmal nach Norden, über die
breite Mündung der Straße des Magellan. Im berühmt berüchtigten,
zumeist unpassierbaren »Canal Smyth«, in dem es eigentlich immer
von vorne hämmert, regnet und gegenan strömt, genießen wir in
der Folge einen fantastischen Tag mit absoluter Flaue, sengender
Sonne und unglaublicher Fernsicht auf die Eisriesen der
Kordilleren. Celebdil, Fanuidhol, Caradhras, die Berge von
Moria. Die Waschmaschine läuft drei Runden lang. Wäscheberge
trocknen in den Wanten und über dem Großbaum. Wir duschen lange
und ausgiebig. Was für eine Wohltat. Am »Paso Shoal« liegt das
Wrack des amerikanischen Dampfers SANTA LEONOR hoch und trocken
auf den Felsen, ein rostrotes Mahnmal. Nichts wie vorwärts,
solange unser Glück hält.
Celebdil, Fanuidhol, Caradhras, Eisriesen in den
Kordilleren.

Plünnen
trocknen im »Kanal Smyth«.

Das Wrack des
amerikanischen Dampfers SANTA LEONOR hoch und trocken am »Paso
Shoal«.

Unser Glück und das Wissen um
den nächsten gastlichen Zufluchtsort verdanken wir zu einem
nicht unerheblichem Teil unserem sorgfältig gemachten Nautischen
Führer, den Insider nur »The Holy Bible« nennen. Mariolina Rolfo
und Giorgio Ardrizzi haben Jahrzehnte darauf verwendet, dieses
Labyrinth von schlecht kartierten Fjorden und Kanäle mit ihrer
Ketsch SAUDADE (Amel Sharki) nach geeigneten Ankerplätzen zu
durchkämmen. Also: Falls Ihr von Patagonien träumt, dann besorgt
Euch diesen Wälzer: »Patagonia & Tierra del Fuego - Nautical
Guide 3rd Edition«, im »Nutrimenti Mare« Verlag erschienen und
online erhältlich. Ideale Lektüre am Kamin, am besten genossen
im kuscheligen Ohrensessel, und möglichst ohne drei Lagen
Merino, Faserpelz, Ölzeug und Seestiefel. »The Holy
Bible« empfiehlt für heute die »Caleta Isthmus«, die wir mit der
PAZZO bei Sonnenuntergang erreichen. Ein Abend und eine Nacht
fürs Poesiealbum. Die Zeit steht still. Absolute Flaute, das
Wasser spiegelglatt. Es reflektiert die Milchstraße und das
Sternbild Orion. Es ist so still, das ich (M) mein eigenes Herz
schlagen höre (und das Knacken meiner Halswirbel). Ein
Wendepunkt? Das Ende der Schaffenszeit und der Beginn des
Alters? »Oh Kheled-zâram fair and wonderful! There lies the
Crown of Durin till he wakes. Farewell!« Wir müssen
weiter. Die »Caleta Isthmus« ist berühmt für ihre »Williwaws«,
Fallböen, die eine Yacht aus dem Wasser reißen können. Cindy und
Willy von der PAZZO zieht es ostwärts nach »Puerto Natales«.
Dort kann man einkaufen, tanken, oder über die nahe Grenze nach
Argentinien fahren, um die VISA zu erneuern. Ein beträchtlicher
Umweg, den wir uns ersparen wollen. In Puerto Williams haben wir
für nur wenig Zen und eine Runde Summe Dollar eine dreimonatige
VISA Verlängerung besorgt. Auch der Dieselvorrat reicht nun
sicher bis »Puerto Edén«, unserem bisherigen Wetterglück sei
Dank. Die Flaute hält. Vom »Canal Collingwood« geht es in den
»Canal Sarmiento«, eng und steil. Für Boote, die nach Norden
wollen gilt er, so unsere »Bible«, als absolut unpassierbar,
sobald der Nordwestwind dort die Orgel spielt. Und das soll er,
ab morgen früh, auf unbestimmte Zeit. Wir bleiben also bis zum
Abend dran. Die wildromantische »Caleta Moonlight Shadow« liegt
ganz am Ende eines langen, engen Seitenfjordes. Muntere,
fettgefressene Delphine begrüßen uns übermütig auf dem Weg
hinein und schlagen Purzelbäume. »Nur« noch 170 Seemeilen nach
»Puerto Edén«. Das kühle »Austral« ist also wohlverdient. Doch
die Orgel holt Luft: Bösartig dreinblickende Zirren ziehen auf.
Die Ruhe vor dem Sturm. Wie werden wohl ein paar Tage bleiben
müssen. Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute
wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / Caleta Moonlight
Shadow / Isla Piazzi / Chile
Unsere Route
in die Magellanstraße und weiter in den »Kanal Sarmiento«.

|