Erlebnisbericht für Freunde der Weltumsegler (13)

Die Berichte der Weltumsegler Britta und Michael (Who-is-Who-im-Weltumsegeln) über ihren ungewöhnlichen Antarktis-Törn mit der betagten Dame VERA, einer wunderschönen, aber eben doch schon 46 Jahre alten SWAN 47 haben auf dieser Webseite mehr Leser bewegt als die meisten anderen Berichte über extreme Segeltörns. Jetzt aber - nach einem Jahr - haben Britta und Michael genug von den unwirtlichen Revieren am südlichen Ende der Welt; sie sehnen sich trotz der aufmunternden Sonnentagen im chilenischen Frühling nach dem weiten Pazific. Doch da trifftsie das nicht ganz ungewöhnliche Schicksal vieler Langfahrtseglern, dass nämlich urplötzlich ein schwerwiegendes technisches Problem am Schiff aufhält, hier sogar eines, das auf den nächsten Meilen den Mast hätte kosten können. Wie damit fertig werden in einem Land, das derzeit von schweren Unruhen erschüttert wird, so dass die betreuende Werft ums wirtschaftliche Überleben kämpft und derzeit ganz andere Sorgen hat, als Schweissarbeiten für zwei wenn auch noch so netten deutschen Seglern mit Schweißarbeiten aus der Patsche zu helfen? Aber lesen sie selbst:


Unruhen und Vorbereitung auf den Pazific

047 - 24122019 - Frühling in Valdivia

Hallo Ihr Lieben!

Endlich zurück in Valdivia, Chile im Frühling… Ein halbes Jahr »Heimaturlaub« liegt hinter uns, Europa im Sommer. Ereignisreich, stressbeladen, Geisterbahn, falscher Film. Heimat? Wo ist das? Es tut gut, zurück an Bord zu sein! Die VERA liegt bei Alwoplast (https://www.alwoplast.cl/marina ) friedlich am Steg, so wie wir sie hinterlassen haben. Und: Freunde sind da! ITHACA, LUCIPARA 2, EASTERN STREAM und STORMALONG nebst ihren Besatzungen liegen auch hier, was gut für das Bauchgefühl ist.

In Gesellschaft von LUCIPARA 2, EASTERN STREAM und ITHACA wartet die VERA friedlich auf uns. Alles bestens.


Chile hat sich verändert, seit wir im Juni in Richtung D abgeflogen sind. Gewalttätige Proteste im ganzen Land beherrschen die Schlagzeilen. Santiago, zwei Nächte Zwischenstopp auf dem Weg nach Valdivia, das 1000km südlich der Hauptstadt liegt: In unserem romantisch und ruhig gelegenem Hotel fühlen wir uns halbwegs sicher und dinieren gut. Die netten Chilenisch Australischen Besitzer haben die alte Villa ( https://www.matildashotel.com/en/photos/ ) mit viel Liebe, Gefühl und gutem Geschmack wieder hergerichtet. Nun haben sie Angst um ihre Existenz. Die Touristen bleiben aus. Schon vom Taxi aus sahen wir überall wütende Graffiti, ausgebrannte Läden und einen lauten, studentischen Protestzug. Des Nachts Sirenengeheul, Trillerpfeifen, Trommelschläge. Es sind die sozialen Unterschiede. Während es bei den Reichen und der relativ breiten Mittelschicht für lange Zeit recht gut und immer besser lief, kommen die Armen mit ihren mageren Löhnen nicht mehr über die Runden. Also greift man zur Gewalt. Macht kaputt, was euch kaputt macht! Damit versetzen sie der Wirtschaft des Landes den womöglich tödlichen Schlag. Umsätze und Gewinne brechen ein, es kommt zu Massenentlassungen. Über Nacht reisen wir mit dem Fernbus nach Valdivia. Nicht ganz ohne. Wir haben ungeheuer viel Gepäck dabei, dringend benötigte Ausrüstung für die vor dem Bug der VERA liegenden Jahre im Pazifik. Auf der Fernstraße nach Süden soll es zu Raubüberfällen gekommen sein, vor allem in der Gegend um Temuco, also direkt auf unserem Weg…


Frühsommer in Chile: B in den Gassen der romantischen Altstadt von Santiago.
 


Doch alles geht glatt und bequem. »Daheim« in Valdivia: Auf der Alwoplast Werft sieht es finster aus. Nach Ablieferung eines 50 Fuss Hightech Katamarans in die USA gibt es keine Anschlussaufträge, auch nicht von den großen Lachsfarmen, die ebenfalls völlig in der Luft hängen. Man weiss nicht, wie es weitergehen soll. Die über 40 Angestellten wurden in den unbezahlten Urlaub geschickt, auf unbestimmte Zeit. Unser Plan, die VERA hier vor Ort zu kranen um das Antifouling, die Anoden und das Wellenlager zu erneuern ist wohl dahin. Auf Tahiti verschieben, wo es leistungsfähige Werftbetriebe gibt? Im Netz ( www.noonsite.com ) hört man fürchterliches: Ankerverbote in ganz Französisch Polynesien, Übergriffe Einheimischer auf ausländische Segler auf traumhaft schönen, tropischen Ankerplätzen. Visa Erleichterungen haben zu einem Boom geführt, der der »Cruising Community« auf die Füße zu fallen beginnt. Gambier, die Tuamotus und die Marquesas sollen noch nicht sehr betroffen sein… Nun denn. B+M machen schon mal das Tauchzeug klar. Scharren, kratzen, den gut bemoosten Wasserpass reinigen, Anoden unter Wasser wechseln? Brrrr! Auf dem AIS Tracker sehen wir die PELAGIC AUSTRALIS und unseren Freund Barry mit der SPAILPIN auf ihrem Weg in die Antarktis. Nichts mehr für uns: Zurück in die kalten, nassen Fjorde Patagoniens, oder gar in den tiefen Süden zieht es uns derzeit nicht.

Am Lagerfeuer bei Alwoplast, mit Freunden bei gut Gegrilltem, kühlem deutschen Bier aus der nahegelegenen Brauerei ( http://www.cerveza-kunstmann.cl/en/ ) und herrlichem chilenischen Wein, drehen sich die Gespräche um die Weiterreise. Und ums »bunkern«. Wo gibt es was zu welchem Preis? Wir alle benötigen Nahrungsmittel, Diesel und Propangas für mindestens ein Jahr, vielleicht auch zwei. Morgens kann man mit dem Bus nach Valdivia fahren. Ab Mittag sollte man zurück an Bord sein, wegen der anhaltenden gewalttätigen Demonstrationen, fliegenden Steinen, Tränengas und brennendem Asphalt. Die sympathischen Eigner einer hier liegenden chilenischen Jeanneau 50 haben Angst. Was, wenn ein Trupp gewaltbereiter Demonstranten über die Marina herfällt und unsere Boote niederbrennt? Vorsorglich bunkern auch sie Nahrungsmittel für lange Zeit, solange die Supermärkte es noch hergeben. Vielleicht bleibt wohlhabenden Chilenen bald nur noch die Flucht? Gerüchten zufolge handelt es sich um eine von Venezuela aus koordinierte Attacke auf das Bürgertum… Keine Ahnung, ob das stimmt. Wir alle träumen jedenfalls von der Freiheit, die wohl bald nur noch die hohe See zu bieten vermag.

Am Lagerfeuer bei Alwoplast.

Auf der VERA ist viel zu tun. Herr VOLVO läuft beim ersten Schlüsseldrehen. Schon mal gut. Die vermaledeite EBERSPÄCHER HYDRONIC 10 empfängt uns dagegen mit »Fehler 61«. Der Temperaturfühler ist wieder hin. Durchkorrodiert, nach nur einem Jahr. Ein harter Tag Arbeit und ein diesmal zum Glück vorhandenes Ersatzteil regelt das. Seitdem gibt es wieder warmes Wasser an Bord. Gut zum duschen. Auch sonst steht einiges an: Nach Montage unserer neuen, aus D mitgeschleppten flexiblen Solarpaneele (6 x 50W) verfügen wir über Strom im Überfluss. Pierre von der ITHACA freut sich über unsere kleinen Windgeneratoren, die wir dafür aufgeben. Das Bimini der VERA ist nur begrenzt für zusätzliche Lasten geeignet. Herr M zerstört derweil den neuen VICTRON Laderegler. Verpolt. Wie blöd kann man sein? Zum Glück gibt es in Santiago einen Händler, der zeitnah für Ersatz sorgt. Drei Busfahrten zum Postamt in Valdivia genügen. Nicht schlecht, jedenfalls besser als drei Monate Wartezeit, wie damals in Puerto Williams. Jedesmal ziehen wir ausgiebig durch die (noch?) recht gut sortierten Supermärkte. B führt, M eselt hinterher. Wir benötigen alles: Haferflocken, Reis und Nudeln, Olivenöl, Thunfisch, Konserven aller Art, Käse, Speck, Tee, Kaffee, H-Milch, Wein und vieles mehr, von allem tonnenweise, auch den kleinen Luxus für zwischendurch. Ein bis zwei Jahre bei Fisch und Kokosnuss könnten kulinarisch recht eintönig werden, ohne ein wenig was drauf. Eier, Zwiebeln, Kartoffeln, Knoblauch und frisches Gemüse werden wir ganz zuletzt einkaufen, logischerweise. Zukunftsmusik.

Neue Solarpaneele auf dem »Bimini« Sonnendach der VERA. Die zusätzlichen 300 Watt werden uns hoffentlich noch viel Freude machen.




Frische Erdbeeren, Kirschen, Blaubeeren und noch vieles mehr: Sommerlicher Markt in Valdivia.




Spaziergänge bringen Abwechslung in unseren Arbeitsalltag: Urwald an der Küste des Pazifik.



Irgendwo dort draussen liegt die Osterinsel. Und dahinter die Südsee...



Anlässlich der fälligen, sorgfältigen Inspektion des gesamten Riggs wird uns klar, dass wir die Überarbeitung des Bugbeschlages nicht mehr auf die lange Bank schieben können. Ein kaum sichtbarer Haarriss liegt genau im etwas ungünstig konstruierten spitzen Eck. M sieht ihn. Neu entwickelte EDOF IOL‘s aus Kunststoff ( https://www.augen-arzt-berlin.de/behandlungsspektrum-augenarzt-tempelhof/edof-linsen/ ) machen ihn seit kurzem zum »Cyborg«, einem Mischwesen mit beinahe unwirklich scharfer Optik. Was nun? Zum Glück will Alwoplast helfen, trotz äusserst prekärer Lage nebst drohender Insolvenz. Die Werftarbeiter hier sind ausgewiesene Könner in Sachen Kunststoff und Edelstahl mit jahrzehntelanger Erfahrung. Eine harte Woche verbringen B und ich zusammengefaltet und fluchend im Ankerkasten. Dann ist der verd… Bugbeschlag endlich herunter. Der Haarriss zieht sich durch die gesamte Schweißnaht, was uns also wohl demnächst den Mast gekostet hätte. Glück gehabt. Gemeinsam mit dem Alwoplast Team machen wir uns an die Arbeit. Das Ganze sollte nach der Reparatur doch stabiler sein als vorher und vielleicht sogar noch besser aussehen? Auf unserer Lieblingswebseite ( www.classicswan.org ) finden wir wertvolle Hinweise zum Thema. Lars Ström, der legendäre technische Direktor von Nautor, jener finnischen Edelwerft, die unsere VERA im Jahre 1976 zu Wasser gebracht hat, schlägt kleine dreieckige Verstärkungen vorne in den statisch doch etwas ungünstig konstruierten Ecken vor. Alex Wopper von Alwoplast und Claudio, sein Edelstahlexperte, möchten das Ganze noch etwas abrunden und mit »unidirektionalen Gelegen« unterfüttern, um die beträchtlichen Zugkräfte der Genua gleichmäßiger einzuleiten… B und ich wünschen uns zusätzlich einen stabilen Ansatzpunkt für den »Code 0 Furler«… Mal sehen, ob das alles klappt. In der Ruhe liegt die Kraft.

Herzliche Grüße, alles erdenklich Gute, frohe Weihnachten und einen guten Rutsch wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / Valdivia / Chile / POS 39.51,0 S - 073.19,1 W


Ein heimtückischer kleiner Haarriss im Bugbeschlag der VERA, rechts, ganz vorne im Eck… Das hätte böse enden können.



Die anstehenden Arbeiten am Bugbeschlag wollen gut durchdacht sein. Stabiler und vielleicht auch schöner soll es werden…




Ein neuer Bugbeschlag zu Weihnachten?




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