Erlebnisbericht
für Freunde der Weltumsegler (14)
Weltumsegler Britta und Michael (Who-is-Who-im-Weltumsegeln)
segeln wieder. In ihrem neuen Bericht spürt man förmlich die Erleichterung darüber, Land mit all den Mühen bei der Bootsreparatur im Kiel
zurück lassen zu können. Wer nun glaubt, dass das endlose Malochen und die Ersatzteilbeschaffung unter schwierigen Umständen im derzeit politisch schwer angeschlagenen Chile dem hohen Alter der SWAN 47, so alt wie die Typenbezeichnung, geschuldet sind, irrt. Denn Langfahrtyachten sind anders als die Yachten in unseren Gefilden mit dem regelmäßigen Saisonwechsel unvergleichlich höheren Belastungen ausgesetzt. Eigentlich sind sie dafür gar nicht gebaut, erst recht nicht nach einer zurückliegenden Weltumsegelung wie der von Britta und Michael. Wenn dann aber wieder Segel gesetzt werden können und die Südsee voraus liegt, scheint alles vergessen. Kurs liegt an nach dem Inselchen
Isla Más a Tierra, das einen weltberühmten Siedler beherbergte. Doch
davon später....
Auf zu neuen Ufern - in der Südsee
048-25012020 - Wieder unter Segeln.
Hallo Ihr Lieben!
Es ist Ende Januar. Wir sind wieder los! Blaue Tage
auf hoher See. Die letzte Wildnis dieser Erde.
Wogende Kämme bis zum Horizont, aus Südwesten, lang
und breit, ein weicher, warmer Wind über das
Backstag, gut gelaunt geblähte Segel auf tiefblauem
Grund. Runterkommen, entstressen, entspannen. Könnte
klappen: In der Nacht wölbt sich ein ganz und gar
unwirklicher, glasklarer und mondloser Sternenhimmel
über der VERA. Millionen kleine Lichter und das
Kreuz des Südens am achteren Ende der
hingekleckerten Milchstraße. Ein Anblick für ein
Poesiealbum. Zwei große Wale blasen aus, an Backbord
voraus. Der Pazifik empfängt uns mit offenen Armen.
»Leinen los«, nach zwei anstrengenden Monaten in
Valdivia: Die lieb gewonnene ITHACA Crew winkt
traurig zum Abschied. Werden wir uns wiedersehen?
Ein Krankheitsfall in der Familie zwingen Pierre und
seine Familie zurück nach Südafrika, zumindest für
das nächste halbe Jahr… Segler’s Schicksal. Zum
Glück segelt die STORMALONG (NED) mit Linette und
Nils (http://www.sy-stormalong.nl) nur eine Tagesreise voraus. Wir planen ein
Wiedersehen auf Juan Fernandez. Die PAZZO (US) hat
inzwischen bereits die Gambier Inseln erreicht.
LUCIPARA 2 (http://www.sailorsforsustainability.nl)
ankert vor der Osterinsel und EASTERN STREAM (NED)
auf Pitcairn, dem Unterschlupf der HMS BOUNTY (GB)
Crew. Nun ist auch die VERA endlich seeklar. Den
dringend benötigten neuen Bugbeschlag haben wir dank
»Edelstahl Claudio’s« unermüdlichem Einsatz
letztlich doch noch zusammenbekommen, nach vier
Wochen harter Maloche, Fakiryoga im engen
Ankerkasten, piksenden Glasfasern und ätzendem
Polyestergeruch. Der letzte Auftrag von ALWOPLAST
vor der endgültigen Geschäftsaufgabe. Eine Ehre für
uns und die VERA, denn die renommierte Werft blickt
auf eine über 30 jährige erfolgreiche Geschichte
zurück. Doch nun schließt Alex Wopper die Tore.
Nichts geht mehr, nicht unter den herrschenden
wirtschaftsfeindlichen Bedingungen. Schade um den
feinen Betrieb. In den blitzsauberen Hallen stehen
neben den teuren Werkzeugmaschinen der große
Travelift, die Formen für die Atlantic 49 Katamarane
und ein fast fertiger Open 40 aus Carbon. Wird es
irgendwann einen Neuanfang geben? Zunächst einmal
herrscht nun gespenstische Ruhe auf dem Gelände. Nur
die Werksklingel ruft nach wie vor zur Mittagspause.
Abends angeln sich ehemalige Mitarbeiter ihr
Abendessen am Steg, gleich neben unserer VERA.
Vieles ist im Umbruch in Chile. Kommt es zu Wahlen
und einer neuen Verfassung? Im April soll landesweit
darüber abgestimmt werden. Zumindest bis dahin wird
es noch beträchtlich rumoren im ganzen Land. Für’s
erste scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben,
zumindest in Valdivia und der näheren Umgebung.
Viele Geschäfte haben wieder geöffnet und jeden Tag
werden es mehr. Auch im halbzerstörten Casino Hotel
empfängt man wieder Kundschaft und ersetzt die
ersten eingeworfenen Scheiben. Überall sieht man
wachsames Sicherheitspersonal. Derzeit der
krisensichere Job, gleich nach dem Rolladen- und
Stahlgitterbau. Unser Eindruck: Der Normalbürger
will eigentlich nur in Ruhe seinem Job nachgehen,
sein Ding machen, unter Rahmenbedingungen, die Luft
zum Atmen lassen. Chile ist ein herrliches Land,
noch jung und hier und da auch voller Hoffnung. Wir
wünschen gutes Gelingen. Aber in Südamerika bleiben
wollen wir auf Dauer dann doch nicht.
Was lange währt, wird endlich gut: »Edelstahl
Claudio‘s« neuer Bugbeschlag auf der VERA, mit einem
kräftigem »Padeye« für die große »Code 0« Genua
gleich dahinter.

Wegen der anstehenden Arbeiten an Bord und der
Neuverproviantierung waren wir viel in der Stadt
Valdivia unterwegs. Unzählige Kilometer per Bus,
UBER und auf Schusters Rappen. Werkstätten,
Werkzeugläden, Baumärkte, Supermärkte, kleine und
große Läden jeglicher Provenienz. Auf diese Weise
sieht man das Land wie es ist. Sikaflex gibt es bei
»Valdicolor«, Keilriemen bei der »Casa de Las Gomas
Gomac«, neue Klingen für den Schlagschrauber bei
»Ropulli«, Makita Akkus in der »Ferretería del Sur«,
Gasschlauch beim Hydraulikbedarf, Wasabi und
Sojasoße bei »Muli«, eine Gepäckwaage zum
Gasflaschen füllen beim »El Chino«… Auf dem
Wochenmarkt versammeln sich Gemüsehändler aus der
gesamten Region und preisen lautstark ihre Waren an.
Im »Jumbo«, dem »deutschen« Riesensupermarkt in dem
man von Dirndln und Lederhosen bedient wird, erhält
man alles Essenswerte, jeden Luxus, der dafür aber
auch ein wenig teurer ist. B sucht aus, M schleppt,
tagelang und immer mehr. Zur Belohnung gibt es
Kaffee und Kuchen im »Das Haus«, einer altdeutschen
Traditionskneipe im Herzen der Stadt. Weiter geht
es: Ein begabter Mechaniker wickelt die
elektromagnetische Kupplung unseres Autopiloten neu.
Ein alter Schuster flickt mir (M) das Täschchen
meines »Leatherman«, meisterhaft, für eine Handvoll
Pesos. Patricio Kunstmann (http://www.cerveza-kunstmann.cl/en/)
zeigt uns die Autosammlung seines Vaters, darunter
zwei neuwertige Vorkriegsmercedes, die der alte Herr
ausgerechnet im »Meilenwerk« bei Herrn Stehling in
Berlin Wedding erstanden hat. Nur die Reparatur des
Aussenborders (Lagerschaden an der Kurbelwelle) muss
warten: Keine YAMAHA Ersatzteile lieferbar, auf
unbestimmte Zeit. Unser Spanisch wird derweil
besser, zumindest ein wenig. Überall werden wir
gastfreundlich aufgenommen. Viele Chilenen in dieser
Gegend sprechen auch Deutsch. Immerhin waren
Valdivia und das nahe gelegene Port Montt bis in die
sechziger Jahre hinein mehrheitlich deutschsprachig.
Dann raffte das stärkste jemals auf der Welt
gemessene Erdbeben alles dahin, die feinen deutschen
Villen, das Stahlwerk, die Brauerei. Von diesem
Schlag hat sich die deutsche Minderheit nicht mehr
erholt. Vielleicht hielt man es nach dem Beben auch
einfach für sinnlos, weiter wie verrückt zu werkeln,
zu schaffen und Häusle zu bauen. Die eher spanische,
eher fatalistische »Mañana« Mentalität funktioniert
doch eigentlich auch ganz gut. Was bleibt ist sind
noch einige schöne alte Architekturen aus Holz, die
deutsche Schule, der man einen sehr guten Ruf
nachsagt und die Universität, mit ihrem heimeligen
grünen Campus und den vielen hübschen Kneipen und
Cafés.
Immer wieder gut: Totalschaden an
der Bordtoilette.
Zum Glück ist Ersatz an
Bord: Ob die nagelneue TMC wohl wieder über zehn
Jahre durchhält?

Zur Belohnung gibt es Kaffee und Kuchen im »Das
Haus«, einer altdeutschen Kneipe im Herzen der
Stadt Valdivia.

Die Wochen an Bord auf der Baustelle ziehen sich.
Chaos unter Deck, was gelegentlich entmutigend
wirkt. Werkzeuge und Ersatzteile liegen herum, dazu
der noch zu stauende Proviant. Arbeitslager, auch
für die Waschmaschine, die tagelang durchläuft. Die
Toilette streikt und muss ersetzt werden. Zum Glück
ist Ersatz an Bord. Damals 2007 in Whangarei haben
wir zum Glück gleich zwei Toiletten gekauft. Eine
davon steckte jahrelang tatenlos unter unserer Koje.
Nun darf sie endlich ans Werk. Tagelang polieren wir
Edelstahl, lackieren Gasflaschen und montieren eine
neue UKW Antenne im Masttop. Die alte war uns ja,
wie ihr Euch sicher erinnert, im Golfo de Peña bei
Schietwetter weggeflogen. Linette und Nils von der
STORMALONG überreden uns zu guter letzt noch zu
einem Lustkauf: Ein SUP. SUP? Richtig, ein
sogenanntes »Standup Paddle Board«. Man kann es zum
Spaß, zum Training, oder auch als behelfsmäßiges
Beiboot verwenden. Damit wir nicht untergehen
bekommen Pierre und Ping von der ITHACA dafür unser
altes, aufblasbares Kayak, das wir viel zu selten
verwendet haben.
Tausenderlei stand an: Frisch lackierte Gasflaschen
warten auf eine neue Füllung.
Und wochenlang herrschte ein zeitweise
demoralisierendes Chaos unter Deck.
Zur wochenlangen Maloche gehören aber auch die
Belohnungen: Ausflüge in die Umgebung, Lunch in der
Stadt, lange Abende unter Freunden, bei gutem Essen
und gutem Wein. Nur allzu leicht haben wir uns an
den regelmäßigen ITHACA Grill gewöhnt. Pierre ist
der Meister des Feuers. Mit Eleganz und Präzision
platziert er Kohlen und Holz dergestalt, das Berge
von Grillbarem genau auf dem rosigen Punkt enden.
Doch das ist noch nicht alles: Ping ist Chinesin und
lädt uns zum traditionellen »Hotpot« ein, eine Art
Fondue für Chinesen. Da man mit Essstäbchen im
gemeinsamen brandscharfem Sud nach Tofu, Gemüse,
Fisch und Fleisch fischt, lädt man hierfür nur
engste Freunde und Familie ein. Für uns ein ganz
besonderes Erlebnis: Authentisch essen auf
Chinesisch. In Chile.
Ping‘s traditioneller »Hotpot«, eine Art
chinesisches Fondue.
Doch nun wird es erneut Nacht, unheimlich und dunkel
diesmal. Weiße gespenstische Schaumtatzen, knapp
30kn Wind aus SW. Die VERA läuft, ungestüm und mit
Schaum vor dem Bug. Noch 50 Seemeilen bis Juan
Fernandez. Wir müssen bremsen um nicht mitten in der
Nacht in eine unbekannte Bucht zu laufen. Also
reffen wir das Groß und bergen die Genua. Im
Morgengrauen wollen wir dort sein. So viel
faszinierendes liegt vor unserem Bug! Wie gut es
tut, wieder im Sattel zu sitzen, mit den Zügeln in
der Hand. Freiheit ist das Einzige, was zählt.
Drei Tage unter Segeln: Von
Valdivia nach Juan Fernandez / Isla Robinson
Crusoe.

Herzliche Grüße und alles
erdenklich Gute
wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA /
auf See / POS 34.14,6 S -
078.02,6 W
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