Erlebnisbericht
für Freunde der Weltumsegler (15)
Weltumsegler Britta und Michael (Who-is-Who-im-Weltumsegeln)
segeln wieder - Richtung Südsee. Wenn man von der Südspitze Südamerikas kommt, ist ein Stopp auf einer dem Namen nach weltberühmten Insel fast ein Muss. Unfassbar, dass es da fernab vom eigentlichen Weltgeschehen, wo man nur geruhsame Idylle erwarten würde, nicht nur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bewaffnete Auseinandersetzungen gab, sondern sich auch in neuester Zeit Kriegsplänkeleien im Zuge der beiden großen Weltkriege ereignet haben. Es ist ein Privileg von Weltumseglern, dass sie, wie wenige Touristen, solch geschichtsträchtige Orte kennen lernen dürfen...Ja, wenn die Wetterverhältnisse, vor allem die dort herrschende Dünung eine Anlandung, meist mit Hilfe der Landungsboote der Menschen von Pitcairn, das zulässt?
Auf den Spuren Robinson Crusoes
049-29022020 - Isla Robinson Crusoe.
Hallo Ihr Lieben!
26. Januar 2020: Bei Tagesanbruch laufen wir müde und erschöpft in die »Cumberland Bay«, dem besten Ankerplatz der Insel »Más a Tierra« (»Mehr zum Land hin«), die zum Juan Fernandez Archipel, also noch zu Chile gehört. Juan Fernandez? Genau. Genau hier versenkte die deutsche Besatzung ihren Kreutzer SMS DRESDEN mit einer Ladung Sprengstoff, nachdem man am 14. März 1915 unter schwerem britischen Beschuss die Flagge der kaiserlichen Kriegsmarine gestrichen hatte. Auch unser alter Freund Lord Anson muss diesen Platz gut gekannt haben. Den ganzen Winter 1741 wartete er hier auf einige versprengte Schiffe seiners Geschwaders, unter anderem die unglückliche HMS WAGER. Aber auch die glücklichere HMS ANNA PINK liegt hier auf dem Grund der Bucht. Anson war seinerzeit offenbar mit den Überholungsarbeiten ihrer Besatzung unzufrieden. Jedenfalls beschloss er die Besatzung der ANNA und alles brauchbare an Bord seines Flaggschiffes HMS CENTURION zu schaffen. Ihr erinnert Euch (siehe VERA Newsletter 045, oder George Anson: »A voyage round the world in the years MDCCXL, I, II, III, IV«).
Karte von Juan Fernandez, gezeichnet nach Skizzen von Lord Anson.
Juan Fernandez / »Más a Tierra« / Cumberland Bay: Ein erster Eindruck.
Heute wartet hier in der »Cumberland Bay« die niederländische STORMALONG (www.sy-stormalong.nl) und ihre junge Crew auf uns, mit frisch gebrühtem Café. Das lässt sich gut an. Gemeinsam beschließen wir, mit BOUNCE, dem Beiboot der VERA, in die »Stadt« zu fahren, nach »San Juan Bautista«, der Hauptstadt des Archipels mit seinen knapp 800 Einwohnern. Wir wollen bei der hiesigen Armada Station einklarieren (ein wenig Zen), etwas zu Mittag essen und evtl. eine kleine Wanderung auf »Más a Tierra« unternehmen. In Wirklichkeit bezeichnet man diese Inseln heutzutage nicht mehr nach ihrer Lage relativ zur Küste Südamerikas, sondern nur noch nach ihrem prominentesten ehemaligen Einwohner. »Más Afuera« (also »Weiter draussen«) heißt aus Marketing Gründen jetzt also »Isla Alejandro Selkirk« und »Más a Tierra« führt den wohl noch wohlklingenderen Namen »Isla Robinson Crusoe«. Tatsächlich ist es genau diese Insel, auf welcher der schottische Seemann Alexander Sekirk zwischen 1704 und 1709 vier Jahre und vier Monate ganz alleine zugebracht hat, nachdem er sich mit Thomas Stradling, dem jungen und unerfahrenen Kapitän des Englischen Freibeuters CINQUE PORTS über die in den Planken ihres Schiffes wütenden Bohrwürmer überworfen hatte. Die gut dokumentierten Abenteuer Sekirk‘s sollen den weltberühmten Schriftstelle Daniel Defoe dazu inspiriert haben, den allerersten (Abenteuer)roman in Englischer Sprache zu verfassen, der zum weltweiten Bestseller biblischen Ausmaßes geriet. Zumindest in Sachen Übersetzungen in verschiedene Sprachen wird Defoe’s Meisterwerk bis heute nurmehr von der »Heiligen Schrift« übertroffen.
Denkmal für Alexander Selkirk in »San Juan Bautista«.
Nach dem nicht unerfreulichen Lunch in einem urigen Lokal am Hang mit gutem Ausblick über die Bucht machen wir uns mit vollen Mägen auf den Weg zum »Mirador Alejandro Selkirk«, einem in 600 Meter Höhe gelegenen Aussichtspunkt, den der hagere Schotte jeden Tag erklettert haben soll, um in alle Himmelsrichtungen nach dem Rechten zu schauen. Dafür hatte er jedenfalls gute Gründe. Als englischem Freibeuter drohte ihm der Strang, falls er irgendwie in die Hände der Spanier geraten sollte. Immerhin boten sich die entlegenen Inseln für alle passierenden Schiffe an, Wasser und sogar Fleischvorräte zu bunkern, nachdem irgendeine erfinderische Crew einmal auf die seinerzeit genial erscheinende Idee gekommen war, eine kleine Herde Ziegen auf »Más a Tierra« auszusetzen. Da Selkirk eine alte Flinte und ein wenig Munition besaß, konnte er sich eine Zeit lang über Wasser halten, bis er es in Sachen Ziegenjagd per Pfeil und Bogen, Speer, Schlinge oder Falle zur Meisterschaft gebracht hatte. Der Pfad zieht sich, steinig und steil. Nach knapp zwei Stunden gelangen wir an ein interessantes Hinweisschild: Achtzig Meter von hier hatte sich Selkirk an einer strategisch wirklich einmalig guten Stelle ein richtiges Haus gebaut, nah bei einem munteren Bach, gut aus behauenem Stein gemauert und mit einem phantastischen Blick über die gesamte »Cumberland Bay«. Die noch heute gut erkennbare Ruine rührt an, gerade wenn man an Selkirk’s verzweifelte Lage denkt. Immerhin sind wir zu viert, dürfen (nach ein wenig mehr Zen) jederzeit wieder weg, und haben noch dazu zwei gut gebaute einheimische Hunde dabei, die sehr freundlich und anhänglich sind. Selkirk hätte sicherlich einiges für so einen pelzigen Kameraden gegeben. Anders als »Robinson Crusoe« fand er nämlich keinen Diener »Freitag« am Strand. Der Juan Fernandez Archipel war wohl nie von indigenen Menschenfressern bewohnt.
Phantastischer Blick von Selkirk’s Hütte hinunter auf die Cumberland Bay.
Der lange Schotte hätte sicherlich einiges für solch pelzige Kameraden gegeben.
Oben am Grat sind wir alle ziemlich geschafft und ordentlich durchgeschwitzt. Es ist kalt, der Wind pfeift und leider sind Wolken aufgezogen, die uns den Blick nach Süden über das Meer verwehren. Selkirk muss stundenlang hier oben gestanden haben, voll Bangen und Hoffen. Ein Schiff? Aber was für eins? Am 1. Februar 1709 war es soweit: Die englische Fregatte DUKE unter dem Kommando des charismatischen und erfolgreichen Freibeuters Woodes Rogers näherte sich von Süden her und ankerte bald darauf in der »Cumberland Bay«. Es gelang Selkirk, die Besatzung mit einem stark rauchenden Feuer am Strand auf sich aufmerksam zu machen. Bald darauf diente er auf der DUKE als erster Maat. Später übergab ihm Rogers sogar das Kommando über eine der spanischen Schatzgaleonen, die man vor der Küste Mexicos gekapert hatte. Ende gut, alles gut für den langen Schotten, vor allem wenn man bedenkt, das Selkirk’s ehemaliges Schiff, die CINQUE PORTS, bald nach der Trennung von den Spaniern aufgebracht worden war und die gesamte Besatzung in spanischen Kerkern oder Bergwerken zu Grunde ging.
Blick von Selkirk’s »Lookout« auf die Südseite »seiner« Insel.
Am nächsten Morgen statten wir der »Armada« einen weiteren Besuch ab, um unsere Ausklarierungspapiere abzuholen (noch etwas Zen). Unser Versuch, in der öffentlichen Bibliothek einen Zugang zum Internet zu legen scheitert an der nicht vorhandenen Bandbreite. Newsletter 047 ff. müssen wir also ein anderes mal auf den Weg bringen. Ah, das Internet… Segen und Fluch. Zum wandern reizt das Wetter heute nicht. Regenböen, Kälte, Nebel, schlechte Sicht. Auf dem Rückweg zu BOUNCE, der abenteuerlich an der rostigen Pier der Hauptstadt auf uns wartet, laufen wir dem beflissenen SAG Beamten vom Ministerium für Landwirtschaft und Gesundheit in die Arme. B + ich besitzen zum Glück alle erforderlichen SAG Papiere aus Puerto Williams. Linette und Nils dagegen nicht. In einer weiteren ausgiebigen Runde Zen füllt Linette nun mit B’s Hilfe einen ungeheuren Stapel Papiere aus, der sämtliche Nahrungsmittel an Bord der STORMALONG dokumentieren soll... Nils und M versuchen derweil »Cerveza local« zu kaufen, was nicht gelingt. Ausverkauft. Es reicht. Man kann sich vorstellen, wie sehr Alexander Selkirk diese Insel gehasst haben muss. Zumindest bei diesem Schietwetter.
VERA und STORMALONG vor Anker in der Cumberland Bay / Isla Robinson Crusoe.
28. Januar 2020: Die Inseln des Juan Fernandez Archipel verschwinden achteraus im Dunst. Südost um die 15 Knoten, nach Beaufort also Stärke vier, Kaiserwetter auf einmal. Die fliegenden Holländer Nils und Linette auf ihrer STORMALONG sind mit uns ausgelaufen. Noch sind sie in Sicht: Ein feiner weißer Strich, schräg geneigt am Horizont. Doch bald werden wir die Freunde aus den Augen verlieren. Der UKW Funk trägt nur ein paar Meilen. Vor unseren Booten liegt die Einsamkeit und die Weiten des Pazifischen Ozeans. Wir sind auf dem Weg nach »Rapa Nui«, der weltberühmten Osterinsel mit ihren monolithischen steinernen »Moai« Statuen. Sie liegt etwa 1.600 Seemeilen weiter im Nordwesten, also knappe 3.000 Kilometer von hier. Wünscht uns Glück.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / auf See / POS 34.14,6 S - 078.02,6 W
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