Erlebnisbericht für Freunde der Weltumsegler (4)

Die Livaborder, so nennen die Yachties Segler, deren "fester" Wohnsitz die Segelyacht ist, Britta und Michael, sind bereits von 2006 bis 2009 mit ihrer VERA, einer SWAN 47 (Baujahr 1976), um die Welt gesegelt - siehe Who-is-Who-im-Weltumsegeln - bevor sie vor einigen Jahren wieder an Bord zogen und durch die Welt wandern - nicht getrieben von Rekordsucht und Sponsorendruck. Man spürt aus ihren Briefen ihre Zufriedenheit mit dem Er-Leben vom Schiff aus. Dass sie sich mit dieser Lebensphilosophie an ein Cruising-Revier wagten, das sonst häufig nur der Sensation halber von Yachten aufgesucht wird, wird ihnen mit intensiven Eindrücken von der Erhabenheit der Landschaft und tiefen Einblicken in das Leben der dortigen Tierwelt vergolten.

Ihre Brief und Berichte, eigentlich nur für Freunde gedacht, geben die wahre Schönheit des Blauwassersegelns wieder, anders als die ständigen Hinweise auf gigantische Etmale und das Abwettern von Südstürmen mit haushohen Seen. Ein faszinierende Reise unter Segeln in eine fremde Welt - danke!

So brachten auch die vorangegangenen Beiträge, die Sie alle hier finden , regelrechte Zugriffsrekorde - ein Zeichen, dass Abenteur-Segelreisen (die "längste", die "einzige im Winter", die "ohne GPS" u.s.f.) sich Ihrem Ende zuneigen und schöne Fahrtensegelreisen immer mehr Liebhaber finden, so wie diese, nicht die letzte mit der VERA hier:

Bobby Schenk


Eiswachen auf den Spuren der Walfänger in der Antarktis

038 - 11012019 - »Enterprise Islands«

Am frühen Morgen des 07. Januars verlassen wir unseren Ankerplatz in der »Whalers Bay« auf »Deception Island« und steuern auf den Ausgang der Vulkaninsel zu, den übel beleumundeten »Neptunes Bellows«. Gerade in diesem Augenblick kommt uns ein Kreuzfahrtschiff entgegen, Hurtigruten, Norwegen. Auf dem Funk hören wir, das man vor Ort ist, um die seit sechs Wochen in der »Whalers Bay« zeltenden norwegischen Pinguinforscher zum Lunch und zum Duschen im Wellness Bereich einzuladen. Man will später zwei große Schlauchboote schicken, um die Wissenschaftler abzuholen. Ordentlich Betrieb hier.

Draussen in der offenen »Bransfield Strait« empfängt uns unerwartet eine chaotische, hohe See und kräftiger Westwind, viel mehr als angesagt. Dazu Schneetreiben und schlechte Sicht. Das geht auf die Stimmung und schlägt auf den Magen. 60 Seemeilen sind es bis »Trinity Island«, ein langer, harter Tag. Immerhin segeln wir, schnell und bei halben Wind, was einiges an Diesel spart. Aber die steilen, weißen Katzenköpfe erschweren es, die gefährlichen kleine Eisbrocken im Wasser zu erkennen, die man fachmännisch in »Growler« oder »Bergy Bits« unterteilt. Der Unterschied zwischen »Growlern« und »Bergy Bits« ist das Radarecho, das sie werfen. »Bergy Bits« sieht man rechtzeitig am Bildschirm, »Growler« nicht. Eine Kollision bei Brassfahrt ist in beiden Fällen zu vermeiden.

Ein »Growler«.



Bald sind wir ordentlich durchgefroren und todmüde von der anstrengenden Eiswache in unserem offenen, zugigem Cockpit. Später Nachmittag: Wir passieren Trinity Island, ein furchteinflößendes, menschenfeindliches Gletschermonster mit eisigen Reißzähnen aus schwarzem Fels, wie aus einem Roman von George R. R. Martin. Auf der Südostseite soll es einen brauchbaren Ankerplatz geben: »Mikkelsen Harbor«, schlechter Ankergrund, aber ok bei Flaute oder schwachen westlichen Winden. Als wir am Abend am Südkap der Insel um die Ecke biegen frischt der Wind erneut auf und auch der Seegang legt wieder zu. Aus Ost, Südost jetzt, komischerweise. Das steht jetzt also voll in diesen so genanten »Harbor« hinein. Was jetzt? B zieht eine obskure Kuliskizze aus ihrem gut sortierten Antarktisordner. Es soll da einen anderen Platz unweit der Südwestecke geben, der bei Ostwind gehen könnte. »Faff Cove«, nirgendwo eingezeichnet, nirgendwo erwähnt, alle Karten sind vage. Wir tasten uns vorsichtig heran. Voraus Eiswände und senkrechte schwarze Klippen. Es schneit, die Sicht ist mies. Nordostwind jetzt, der rapide zulegt. Wenn das hier nicht hinhaut müssen wir ablaufen, weiter Richtung »Enterprise Island«, weitere 60 Seemeilen, bei diesem Sauwetter. Diese eiskalte Aussicht jagt mir (M) Angst ein, die sich durch Verspannungen und ein flaues Gefühl im Magen äußert. Doch dann: Völlig unerwartet »Sesam öffnet sich« voraus eine kleine Bucht, ein fast kreisrunder alter Krater, an der Südseite eingebrochen. Bügelanker genau in die Mitte, mit ordentlich Kette. Hält bombensicher. Wir sehen uns um. Senkrechte Eiswände umfassen uns. Ein feiner Saum von Fels unten am Wasser. Ein unglaublicher Platz, den man niemals angemessen fotografieren könnte. Ruhe. Zwei muntere Eselspinguine paddeln ums Boot und freuen sich mit uns. Es ist unglaublich, aber wir fühlen uns sicher hier. Gute Nacht.

Zuflucht in der »Faff Cove«. (Ein Film von B+M).

Zwölf Stunden Schlaf haben uns gut getan. Mit frischen Kräften nutzen wir den frischen Nordwind um weiter Süd zu machen, hinein in die alten Walfanggründe der »Gerlache Straße«, zwischen »Brabant Island« und den Bergketten der Antarktischen Halbinsel, die sich an Backbord bis zu 3000 Metern erheben. Geologisch gehören sie zu den Anden, was Argentinien und Chile offenbar den Vorwand liefert, das gesamte Gebiet für sich zu beanspruchen. Da sind sie allerdings nicht alleine. Am Eingang der »Gerlache Straße« patrouilliert ein Kolumbianisches Kriegsschiff. AIS und Großvater Hensoldt sind sich da einig. Was die wohl hier wollen? Den ganzen Tag steuern wir im Slalom zwischen den »Growlern« und den »Bergy Bits« hindurch, die immer zahlreicher werden. Buckelwale springen herum oder zeigen ihre Fluken. B sieht sie, M kommt meist zu spät. Mein Augenlicht lässt nach. Das Alter? Vielleicht auch die verdammte nasse Brille, die nicht mehr so recht passt. Schließlich taucht »Enterprise Island« vor uns auf, wo es eine sichere Zuflucht zwischen einer kleinen vergletscherten Bucht und dem Wrack des alten Walfängers »SS GOVERNOREN« gibt, der hier von seiner Besatzung lichterloh brennend auf Grund gesetzt wurde. Die australisch, französisch, chinesisch, argentinische HAIYOU ist bereits vor Ort, was uns das recht komplizierte Anlegemanöver sehr erleichtert. Wir kochen Nudeln, trinken ein großes Bier und fallen ins Bett.

»Bergy Bit« in der »Gerlache Straße«. Im Hintergrund die Antarktische Halbinsel. (Ein Film von B+M)

»Enterprise Harbor« mit dem Wrack der SS GOVERNOREN. Die australische HAIYOU ist bereits vor Ort.



Das Panorama zum Frühstück



Der Morgen weckt uns mit strahlendem Sonnenschein und einem sagenhaften Blick auf die gegenüberliegenden Bergketten der Antarktischen Halbinsel. Ringsum Eis, gleißender Schnee, Gletscher, Felsen, dazu der rotrostige Stahl des alten Dampfschiffes, auf dem ein Schwarm von zankenden und schimpfenden Seeschwalben nistet. Ein Panorama, eine Atmosphäre, die so unglaublich sind, das es schwer zu beschreiben ist. Nach dem Morgentee setze ich (also M) mich auf die Bugspitze der VERA, um ein wenig Gitarre zu üben. Auf dem Bug der HAIYOU neben uns sitzt Javier im Schneidersitz, suckelt an seinem Mate Becher und meditiert. Dann, ganz plötzlich, wie ein UFO aus heiterem Himmel, taucht ein schwarzes ZODIAC Schlauchboot neben uns auf, voller Astronauten in gelben Raumanzügen und blauen Schwimmwesten, die Javier und mich anstarren wie Zootiere. Kameras surren und klicken. Wir werden bestaunt: »Where do you come from? Germany? Wow! How long did it take you to get here? Have you really crossed the Drake?«. »It‘ll go away,« sagt Javier und suckelt indigniert an seinem Mate. Stattdessen werden es mehr, viel mehr. Zwölf randvolle Schlauchboote mit Astronauten, dazu eine Riesenflotte von Kayaks von der »MS OCEAN ADVENTURE« mit Abenteurern aus aller Welt. B plauscht mit einer amerikanischen Bootsführerin. Ein cooler Job für die Sommersaison, und gut bezahlt. Dennoch sind wir froh, als sie nach der ausgiebigen Besichtigung unseres Wracks weiterziehen und wieder Ruhe einkehrt.

Besuch zum Frühstück: Astronauten mit gelben Raumanzügen



Harpunenmunition an Bord des alten Walfängers SS GOVERNOREN.



Die nächsten Tage genießen wir in vollen Zügen bei strahlend blauem Wetter, das uns sogar eine glitzernd weiße Winterwanderung auf die umliegenden Hügel und einen Blick auf die »Gerlache Straße« und die Antarktische Halbinsel ermöglicht. Zwei weitere Yachten treffen ein, die SPIRIT OF SYDNEY und die PARADISE. Individualistencharter, der andere Gäste anzieht, als die Luxuskreuzfahrtschiffe. Wir werden zu Umtrunks und zum Grillen eingeladen und genießen es, ein wenig mit der sehr internationalen Gruppe zu plauschen und ordentlich Wein zu trinken. Man liegt gut hier, an der alten rostigen »SS GOVERNOREN«. Wenn nur die täglich in Flotten von Schlauchbooten angekarrten Massen von Astronauten nicht wären… So zieht es uns irgendwann weiter, wieder hinaus in die eisige »Gerlache Straße«, Süd machen, solange der Sommer währt. Wir melden uns wieder.

»Enterprise Harbor«: VERA im Päckchen mit HAIYOU, SPIRIT und PARADISE



»Enterprise Harbor«: Über den Wolken.



Unsere Route von »Deception Island« nach »Enterprise Harbor«.



Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / Enterprise Harbor / Isla Lientur / Antarctica

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