Erlebnisbericht für Freunde der Weltumsegler (18)

Das waren noch unbeschwerte Zeiten, als das bösartige Corona-Virus die Welt noch nicht tyrannisierte. Und unsere Weltumsegler Britta und Michael (siehe Who-is-Who-im-Weltumsegeln) wären möglicherweise zu diesem Törn gar nicht aufgebrochen, wenn sie geahnt hätten, dass das ersehnte Polynesien derzeit gar nicht so erstrebenswert ist, wie es von zahllosen Weltumseglern beschrieben wurde. Zunächst aber freuten sich die beiden, die sagenumwobene Insel Pitcairn anlaufen zu können. Wenn eine Landung dort mangels Hafen oder gar Marina und wegen des häufigen Schwells überhaupt möglich sein würde. Was allerdings häufig der Fall ist. Das nutzte schon Fletcher Cristian vor 250 Jahren aus, der auf der Bounty - voll mit Meuterern und zahllosen polynesischen Frauen („Sexualproviant“?) - hier dürfte der böse Ausdruck "Sexualproviant" ja wohl aussagekräftig genug sein) geflüchtet war und sich dort vor der englischen Krone und ihrem Galgen in Sicherheit brachte. Nebenbei: Fast unbeachtet geblieben ist der dritte Band der berühmten Meuterei-auf-der-Bounty-Trilogie von Charles Bernard Nordhoff und James Norman Hall, der das grausame Schicksal der übrig gebliebenen Meuterer detailreich und eindrucksvoll schildert - ein einziger dieser Mannen war noch am Leben, als die Insel endlich von einem Walfänge per Zufall entdeckt wurde. Ein grandioser Roman der Weltliteratur über das Überleben unter extremsten Ausnahmebedigungen - leider nicht so bekannt, wie er es verdient hätte!hätte!


Pitcairn - Gefängnis der Bountymeuterer


052-12032020 - In weitem Bogen nach Pitcairn und von dort zu den Gambier Inseln.

Hallo Ihr Lieben!

Das »Polynesische Dreieck«: Traumrevier Jack Londons, Mark Twains und Robert Louis Stevenson, zwischen Hawaii, Neuseeland und der Osterinsel. DIE Projektionsfläche für Romantiker seit alter Zeit. Das 1970 eröffnete Museum für Völkerkunde in Berlin Dahlem, mit seiner spektakulären Pazifik-Dauerausstellung hatte uns (also B und M) schon als Kinder magisch angezogen und zum träumen angeregt. Auf über 3000 m² waren damals Artefakte aus der Südsee ausgestellt, im halbdunkel, effektvoll illuminiert, und ausschließlich aus der Zeit vor dem Kontakt mit der Europäischen Kultur. Für zehn Pfennig pro Blatt konnte man detailliertes Informationsmaterial zu vielen Ausstellungsstücken erwerben und in einen hübschen blauen Sammelordner heften. B und ich hatten sie ALLE, unabhängig voneinander. In einer 17 m hohen Halle standen zahlreiche Boote, darunter hochseetüchtige Katamarane und Auslegerboote mit aufgerichteten Masten, darunter auch eine raffiniert gemachte »Proa« mit Krebsscherensegel, ein »Tepukei« von der Insel Taumako, ein Auslegerkanu mit Wachhütte, Feuerstelle und Vorratskisten für lange Reisen im Pazifik. Diese Museumsbesuche waren der Humus für unsere zukünftigen Pläne. Im Jahre 2007 war es endlich soweit: Gemeinsam segelten wir die VERA von Panama her über die Galapagosinseln nach französisch Polynesien, besuchten die Marquesas, die Tuamotu-, die Gesellschaft- und die Cookinseln, Tonga und Neuseeland. Lange her. Nun aber sind wir zurück, auf der Suche nach frischen Abenteuern im Reich des türkisen Wassers, der bunten Korallen, der tropischen Fische, der wiegenden Kokospalmen und der warmen Winde.

Das »Polynesischen Dreieck«: Traumrevier Jack Londons, Mark Twains und Robert Louis Stevensons. Zwischen Hawaii, Neuseeland und der Osterinsel liegen tausende von tropischen Paradiesen unter dem Winde.



Wir verlassen die Osterinsel bei günstigem Wind. Vor dem Bug der VERA liegen über tausend Seemeilen bis Pitcairn (ein Film von B und M).

28. Februar 2020, bei Sonnenuntergang: Seit ein paar Tage segeln wir friedlich vor dem Passat und fressen Meilen. Doch nun schläft der Wind ein, was nicht unbedingt hilft. Eine bleierne Dünung lässt die VERA auf der Stelle taumeln, wie ein verhungerndes Pferd. Das mag der Autopilot nicht und frisst sein Getriebe… Nicht schön, aber dank unserer guten Kollektion von Ersatzteile rasch zu reparieren. Nicht zu beheben ist allerdings unser Unbehagen über die aktuelle Wetterentwicklung. Das GFS Modell errechnet das Eintreffen einer »Tropical depression«, also eines Tiefdruckgebiet, so in etwa einer Woche, viel Wind aus allen Richtungen, die mögliche Zugbahn noch sehr variabel. Zunächst sah das recht unauffällig aus. Inzwischen mehren sich die Anzeichen für einen ausgewachsenen Sturm. Zur Sicherheit halten wir uns weit südlich der »Rhumb line«, also des direkten Kurses nach Pitcairn. Pitcairn… Es wäre doch schön, wenn wir die Insel der berühmten Meuterer zumindest in Augenschein nehmen könnten. Nun aber droht das verflixte Wetter diese Pläne zu durchkreuzen. Einstweilen bleibt jedoch Zeit zum schlafen, ausruhen und entspannen. Als der Seegang nachlässt, beginnen wir die Flaute zu genießen und gehen schwimmen. Zwei blaugrün schillernde kleine Thunfische verfolgen die VERA, neugierig und verspielt. Wir überlegen, ob es wohl moralisch vertretbar wäre wäre, zumindest einen von ihnen zu »Sashimi« zu verarbeiten. Aber als wir uns endlich dazu durchringen einen bunten Köder an der Handleine nachzuschleppen, beantwortet sich diese Frage von selbst. Das muntere Duo ignoriert unsere Versuche, souverän und zu unserer Erleichterung.

Eine bleierne Dünung lässt das Boot auf der Stelle taumeln, wie ein verhungerndes Pferd (ein Film von B und M).

 

In der Flaute frisst der Autopilot mal wieder sein Getriebe… Nicht so schlimm. Ersatzteile sind an Bord. 



Yves Klein: Zwei kleine Thunfische (ein Film von B und M).

In den folgenden Tagen überquert das Tief die Gambier Inseln und gewinnt über Pitcairn an Kraft. Hier unten auf bald 28 Grad Süd bringt das schlechtes Wetter, Dauerregen auf tiefschwarzem Grund und keinen Strahl Sonne auf den Solarpaneelen. Allerdings beschert uns der frische Südostwind eine Reihe von guten Etmalen (Entfernung zwischen zwei Schiffsmittagspositionen). Das Großsegel haben wir eingepackt. Zu viel Verschleiß. Da scheuert es an den Salingen, schlägt in den Lattentaschen und quietscht in den Blöcken. John Kretschmer (Lesetip für Segler: »John Kretschmer: Sailing a serious ocean.«) hat recht: Nur unter Genua lebt es sich beschaulicher. Ausserdem wollen wir den Sturm doch besser vor unserem Bug passieren lassen. Kein Grund zur Eile also.

Hoher Seegang macht die Reise recht anstrengend.


Wochenlang auf Autopilot (ein Film von B und M).

Per IRIDIUM Datenmodem kommen täglich aktuelle GFS Modelle herein und dazu Meldungen von Freunden: LUCIPARA 2 erreicht nach herrlichen Tagen auf Pitcairn die Gambier Inseln und Mangareva bei teuflischem Sauwetter. EASTERN STREAM und PAZZO haben sich dort bereits in der Lagune von Rikitea verbarrikadiert. Nun fragen sie besorgt nach unserem Befinden. HAIYOU hat Juan Fernandez erreicht und beobachtet von dort aus argwöhnisch die weitere Entwicklung. STORMALONG ist vor dem aufziehenden Sturm umgekehrt, um an der Südküste der Osterinsel Schutz zu suchen. Hier unten läuft es weiterhin vergleichsweise gut. SE Stärke sechs, in Böen sieben, Luftdruck fällt, aber nicht bedrohlich. Ganz wie angedacht, passiert das Tief im Norden und schaufelt uns im Süden bequem und schnell nach Pitcairn. So soll es sein.

Das GFS Modell vom 02.03.2020: Unsere Planung sieht vor, solange südlich der »Rhumb line« zu segeln, bis uns das Tief im Norden passiert hat.



05. März 2020: Die Sonne schaut heraus, der Luftdruck steigt. Herrliches Rückseitenwetter jetzt. Und: Land in Sicht! Pitcairn aus der Meuterer Perspektive! Fletcher Christian muss ein Händchen für Astronavigation gehabt haben. Nach einem Intermezzo auf Tubuai in den Austral Inseln, war es dem ehemaligen zweiten Offizier der BOUNTY 1790 gelungen, die in alten Aufzeichnungen erwähnte kleine Insel Pitcairn wiederzufinden, was im Jahre 1773 nicht einmal dem großen Captain Cook gelungen war. Dabei stellte Christian mit Hilfe des Harrison Chronometers der BOUNTY eine gesunde Ungenauigkeit in der angeblichen geographischen Länge fest, was ihn in der Ansicht bestärkt haben muss, an diesem entlegenen Ort vor eventuellen Verfolgern sicher zu sein. In der, sozusagen, von Fletcher Christian begründeten kleinsten Kronkolonie Großbritanniens leben heute 50 Menschen, die meisten von ihnen Nachfahren der BOUNTY Meuterer.

Pitcairn aus der BOUNTY Perspektive


Es knackt auf dem UKW Funk. Brenda Christian, die ehemalige Gouverneurin und heutige Polizeichefin von Pitcairn ist am Apparat. Wir hatten schon vor ein paar Tagen per e-mail Kontakt zu ihr aufgenommen. Leider verbietet sich in der derzeit schweren Brandung jeglicher Versuch einer Anlandung. Sie empfiehlt uns, die »Bounty Bay« mit der Landestelle zu passieren und zunächst einmal unter der Westküste der Insel zu ankern. Dort liegt bereits die britische Segelyacht BURASARI und wartet ebenfalls auf Wetterbesserung. Vor Ort erweist sich der exponierte Ankerplatz als hinreichend sicher, wenn auch ein wenig ausgesetzt. Gewaltige Seen aus dem »Southern Ocean« rollen in spitzem Winkel schräg zur Küste von Südwesten her herein und überschlagen sich donnernd auf gezackten schwarzen Felsen. Wie im Fahrstuhl geht es auf und ab, was recht spektakulär ist, sogar im Vergleich zu den vergangenen Wochen auf Reede vor Hanga Roa. Aber der Anker sitzt fett im weißen Sand auf 20m Tiefe und hält bombensicher. Die Insel riecht gut. Weiße Seeschwalben und schwarze Fregattvögel kreisen über steilen Felsen und dichtem grünen Dschungel. Keine Anzeichen für menschliche Besiedelung, kein Licht in der Nacht. Wir genießen das wildromantische Panorama, kochen gut, trinken kühlen chilenischen Weißwein und gehen bald nach Sonnenuntergang in die Koje. Zumindest für ein paar Tage wollen wir Pitcairn noch belagern. Vielleicht ergibt sich ja doch noch eine Möglichkeit zur Anlandung?

Pitcairn: Ankerplatz vor dem »Western landing«.



08. März 2020: Wir geben es auf. Nachdem wir uns bei »Pitcairn Radio« verabschiedet haben, gehen wir unter Segel. Wind und See verhindern auch heute und zumindest in der kommenden Woche jeglichen Versuch zu landen. Fletcher Christian hatte sich ein gutes Versteck ausgesucht. Richtig traurig sind wir nicht. Zu exponiert der Ankerplatz, die Schiffsbewegungen im hohen Seegang zu heftig. Wir sind urlaubsreif. Die geschützten Lagunen der »Îles Gambier« liegen nur 300 Seemeilen im Westen. Ein Katzensprung.

Wir geben es auf. Wind und See verhindern derzeit jeglichen Versuch, auf der berühmten Insel zu landen.


Schon schwieriger ist es, mit den schmerzlichen Nachrichten umzugehen, die von der STORMALONG hereinkommen. Wie oben erwähnt, waren die jungen Holländer ja bereits auf dem Rückweg zur Osterinsel, um Schutz vor dem heraufziehenden Sturm zu suchen. Einen Tag später entschieden sie sich zur erneuten Umkehr. Das Tief hatte inzwischen die Osterinsel im Visier. In einigen harten Tagen mit bis zu 50kn Wind aus NW gelang es der STORMALONG, dem Tief auf Südkurs zu entkommen und bei frischem SE Wind direkten Kurs auf Gambier zu nehmen. Für die noch in Hanga Roa ankernden sieben Boote ergab sich durch die Wetterentwicklung eine problematische Situation. Bei starkem Nordwind schien es geraten, nach Vinapu, einem ebenfalls äußerst exponiert gelegenem Ankerplatz an der Südküste auszuweichen. Dort war man zwar halbwegs vor dem Sturm geschützt, nicht aber vor der gewaltigen Dünung aus dem Südpazifik, die uns nach unserem Eintreffen auf Pitcairn so beeindruckt hatte. Dies wurde der amerikanischen SOLACE (einem gut gemachten südafrikanischen Nachbau der Baltic 42DP aus GFK) zum Verhängnis. Wegen der starken dem Küstenverlauf folgenden Strömung drehte sie sich in der Nacht vor Anker liegend quer zu den auflaufenden Seen. Offenbar wurde sie dann von einem Brecher erfasst, der die Yacht in verhältnismäßig flachem Wasser durchkentern ließ. Die chilenische Armada fand am nächsten Morgen nurmehr Trümmer in der Brandung. Vom sympathischen Skipper und Eigner Steve, mit dem Linette und Nils von der STORMALONG eng befreundet waren und dessen Bekanntschaft auch wir bereits flüchtig in Puerto Williams gemacht hatten, fehlt jede Spur.

Zwei Tage später, bei Tagesanbruch: Land in Sicht. Die Berge der »Îles Gambier« an Steuerbord voraus. Noch 20 Seemeilen bis zum Eingang des SW Passes, der in das Ringriff einer kleinen Gruppe von Inseln führt, die seit 1882 zu Frankreich, bzw. zu »Französisch Polynesien« gehört. Rikitea auf der Insel Mangareva ist Hauptort und Verwaltungszentrum der »Îles Gambier«, naturgemäß also unser erstes Ziel. Eine Handvoll Yachten liegt friedlich in der geschützten Lagune vor Anker. Wir suchen uns einen freien Platz und gesellen uns dazu. Zum ersten mal seit bald zwei Monaten liegen wir in ruhigem Wasser. Wir sind angekommen. VERA out.

Ankunft im Paradies: Die Berge der »Îles Gambier« an Steuerbord voraus.



Unter Freunden in Rikitea auf Mangareva: 00.10 STORMALONG (NED) und LUCIPARA 2 (NED), 00.20 EASTERN STREAM (NED) und ATANGA (D)(ein Film von B und M).

1500 Seemeilen vor dem Wind: Von der Osterinsel aus in weitem Bogen nach Pitcairn und weiter zu den Gambier Inseln.

Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / Rikitea / Mangareva / Iles Gambier / POS 23.07,0 S - 134.58,0 W


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