Erlebnisbericht für Freunde der Weltumsegler (5)

2009 war ich in Malaysien an Bord der VERA von Britta und Michael, einer SWAN 47 mit über 30 Jahren auf dem Buckel. Das war kurz vor Vollendung ihrer Weltumsegelung - siehe Who-is-Who-im-Weltumsegeln. Nach einer jahrelangen Pause, in der sie ihre schöne Swan wieder reisefertig hergerichtet hatten, segelten die beiden erneut los, und zwar ohne eine Weltumsegelung oder gar einen Rekord im Sinn zu haben. Sie wollten einfach unter Segel die Welt bewandern. Entstanden sind Berichte, die nicht nur das Erleben, sondern auch die Schönheiten einer noch nicht überlaufenen Natur wunderbar anschaulich wiedergeben. Ursprünglich waren die Erzählungen nur für engere Freunde und Verwandte gedacht, so wie es eben früher in der eMail-losen Zeit während einer mehrjährigen Blauwasserreise üblich war. Auf nachhaltiges Bitten hin haben mir die beiden die Erlaubnis erteilt, auch für meine treuen Besucher auf meiner Webseite die vergangenen und zukünftigen Erlebnisse der VERA nach ihrer Weltumsegelung abzudrucken. Hier finden Sie alle Berichte und Beiträge von Britta und Michael!


Gletscher, Growler und Schollen

039 - 18012019 - Cuverville Island, Skontorp Cove und Lautoro Island

Hallo Ihr Lieben!

Mit jedem weiteren Meter in den Süden wird das Vorwärtskommen schwieriger. »Growler«, »Bergy Bits« und ausgewachsene »Bergs« wollen geschickt umkurvt sein, aber auch kleinere Schollen und Brocken, die der VERA zumindest kosmetischen Schaden zufügen könnten. So werden die 30 Seemeilen von »Enterprise« nach »Cuverville Island« zu einem eiskalten Abenteuer im Cockpit, das Dank der gewaltigen Landschaft, der herrschenden Flaute und der ausgezeichneten Sicht diesmal aber sehr gut auszuhalten ist. Wir leben draußen, so richtig draußen, und am Abend sind wir total erledigt. Unsere Freunde von der HAIYOU sitzen im beheizten Glashaus ihrer »Garcia Exploration« und genießen dasselbe Panorama, bequemer, wärmer und sicherer. Aber: Ist bequemer, wärmer und sicherer immer besser?

Wir erreichen »Cuverville Island« am frühen Nachmittag. Der Ankerplatz dort an der großen Eselspinguin Kolonie genießt keinen guten Ruf. Schlecht haltender Grund, Treibeis in allen Größen. Heute aber herrscht Flaute und die Sonne wärmt uns die Gesichter. BOUNCE bringt uns hinaus in das Labyrinth zwischen den gestrandeten »Bergy Bits« am Eingang der Bucht. Muntere Eselspinguine wimmeln im Wasser, die Sonne funkelt im Eis, pure Magie. Die Nacht neben der HAIYOU wird denkwürdig. Der charakteristisch eselige »IiiiAhhh!« Ruf der Eselspinguine klingt ungewohnt, aber gut. Dazu Knacken und Krachen die gewaltigen Gletscher ringsum, und immer wieder rauschen große Lawinen zu Tal, während wir friedlich in der Koje liegen. Erst am Morgen treibt uns ein fetter »Growler« vor den Bug. Mit unserem in Ushuaia zusammengebastelten »Icestick« kann ich (M) ihn jedoch abwehren, wie Don Quijote die Windmühle mit seiner langen Lanze.

»Cuverville Island«: VERA mit ein paar »Growlern«.



Ein neuer Tag: B und ich landen mit dem Dinghy und besuchen die große Pinguinkolonie, die sich in vielen Jahren an den nahegelegenen Hängen und Graten entwickelt hat. Die Umstände sind günstig. Der Wind steht im Rücken, was unbestreitbar seine Vorteile hat. Dazu kann man hier im Schnee bleiben und die Stiefel sauber halten, aber doch recht nah an diese faszinierenden, gut angezogenen und vollkommen arglosen Tiere herankommen. Es gibt viel zu sehen. Die flauschigen Küken sind frisch geschlüpft und werden ununterbrochen gewärmt, gefüttert und betuddelt. Fette Skua Raubmöwen kreisen in der Luft und hoffen auf eine Umaufmerksamkeit der Eltern. Die Art und Weise, wie die weitläufige Kolonie angelegt ist gibt zu denken. Manche Vögel müssen offensichtlich stundenlang laufen und klettern, um vom Meer zu ihrem Nest zu kommen. Warum lassen die sich das gefallen? Ich (M) habe da so meine Theorie: Manch junger Nonkonformist buckelt und kuscht so lange vor den Älteren, bis ihm (oder ihr) das zeitaufwändige Pendeln endgültig stinkt. Dann beginnt eine abenteuerliche Entdeckungsreise, die mit etwas Glück in der Gründung einer ganz neuen Kolonie endet, so eine, wo man sein Nest direkt ans Wasser bauen darf, ohne jemanden zu fragen. Mit der Zeit gibt es so immer mehr Eselspinguinkolonien. Das könnte, wenn man es recht bedenkt, bei Homo Sapiens ganz ähnlich gelaufen sein… Dinner mit der HAIYOU Crew an Bord der VERA. Wir diskutieren noch lange über unterschiedliche Lebensmodelle, Juval Harari, das Fermi Paradox, Diäten und Joga. Die Nacht wir erneut friedlich. Glück gehabt.

»Cuverville Island«: Eselspinguine mit frisch geschlüpften Küken.

»Cuverville Island«: Eselspinguinpärchen beim Füttern ihres flauschigen Kükens.

Der definitive Eselspinguinfilm (Ein Film von B+M).

»Cuverville Island«: Abendstimmung.

Es sind knapp zwanzig Meilen in die idyllische, von steilen Eiswänden und kalbenden Gletschern umgebene »Skontorp Cove«, unserem nächsten, halbwegs sicherem Zwischenstopp auf dem Weg in den tiefen Süden. Das umkurven der Eisberge wird immer aufwendiger. Bloß aufpassen, das es nicht kracht. Zwei Forschungsstationen liegen in der »Paradise Bay«, also direkt am Weg. Chile und Argentinien wetteifern hier um die bahnbrechendste wissenschaftliche Entdeckung. Javier von der HAIYOU schindet über die absurd attraktive Stationsleiterin eine Einladung in die Argentinische Station »Almirante Brown« für uns heraus, die wir dankend annehmen. Immerhin ermöglicht uns der Landgang hier, unsere Füße auf den Antarktischen Kontinent zu setzen, diesmal wirklich und nicht nur auf eine der vorgelagerten Inseln. Der Blick von den Hügeln über der Station ist einmalig und geht weit hinaus in die »Gerlache Straße«. Zwei Buckelwale plantschen in der »Paradise Bay«. Sagt B.

»Almirante Brown«: Die Argentinische Forschungsstation am Eingang zur »Paradise Bay«.

VERA in »Skontorp Cove«.

Unerwartet trifft die PELAGIC AUSTRALIS in unserer kleinen »Skontorp Cove« ein. Im Frühjahr hatten wir uns in Puerto Williams mit der jungen Dreiercrew angefreundet. Skipper Edd lädt uns zu »Drinks« ein und fischt schon mal nach Eis. Die im Wasser treibenden Stückchen sind faszinierend anzusehen. Glitzernd transparente Skulpturen, geformt von den Gesetzen der Natur. Elliptische Kurven, gerippelte Oberflächen, kleine Knöchel wie an den Flossen der Buckelwale oder an Hightech Foils, hier und da ein schwarzer Splitter von Fels. Alles fließt. Strömungslehre: Wohl eine der faszinierendsten naturwissenschaftlichen Disziplinen. Wenn man noch mal jung wäre, dann könnte man… Was soll‘s. Bald sitzen wir zum Umtrunk beisammen, im gut beheizten Salon von Skip Novaks mächtigem Expeditionsschlitten. Neun gut betuchte Chartergäste sind an Bord, Extrembergsteiger und Tourengeher aus aller Welt. In den nächsten Woche wollen sie sich für drei Tage auf »Brabant Island« aussetzen lassen. Ein unbestiegener Gipfel lockt, und eine extreme Abfahrt im jungfräulichen Pulverschnee. Rückflüge Ende Januar. Man ist irgendwie neugierig auf uns, auf das Woher und das Wohin. Bei eisberggekühlten Gin Tonics erzähle ich (M) von unseren Plänen, und von der Freiheit, die sich ergibt, wenn daheim keine Karriere mehr wartet. Das gibt ihnen zu denken, irgendwie. Als wir später zurück zur VERA rudern schneit es aus allen Rohren. Tiefschnee an Deck, eisige Temperaturen. Wir winschen BOUNCE besser an Deck, schon wegen der fressgierigen Seeleoparden, die hier herumhängen sollen. Die Extrembergsteiger haben sich für den Morgen zum schwimmen ums Boot verabredet. Na dann viel Freude dabei.

»Skontorp Cove«: Zwei Schlummerrollen auf ihrer heimeligen kleinen Scholle.


»Skontorp Cove«: Architektur ohne Architekten.

Bei herrlichem Wetter bleiben wir mit der HAIYOU einige Tage in der gemütlichen »Skontorp Cove«. Weiter im Süden soll es noch viel zu viel Eis geben, wie wir den UKW Gesprächen der Kreuzfahrer und einer e-mail von Calypso, der jungen, rothaarigen und frisch gebackenen Skipperin der ebenfalls hier operierenden Charteryacht SPIRIT OF SYDNEY entnehmen. Kaum einer schafft es derzeit durch die »Le Maire Straße«, oder gar bis nach »Vernadzky«, der Ukrainischen Forschungsstation, die in den meisten Jahren der südlichste Punkt ist, der sich mit einer kleinen Yacht erreichen lässt. Wir zögern also noch, es selbst zu versuchen. Bei auffrischendem NE Wind verlegen wir mit der HAIYOU zehn Meilen weiter in eine romantisch gelegene, kleine Eselspinguinkolonie auf der Südseite von »Lautaro Island«. Während dort bei eisigem Wind noch immer gebrütet wird, basteln wir drei Stunden lang an einem komplexen Spinnennetz von Landleinen. Das sollte erstmal halten. Gut so, bei diesem Wetter, das nicht mehr »dingle« ist, sondern eher »manky«.

»Lautaro Island«: Kälte im Cockpit.

»Lautaro Island«: Blick nach Südwesten von unserem Versteck aus.

Unsere Route von »Enterprise Harbor« nach »Lautaro Island«.



Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / Lautoro Island / Antarctica / POS 64.49,6S - 063.06,2W

Zur Home-Page

Page by Bobby Schenk,
E-Mail: mail@bobbyschenk.de
URL of this Page is: https://www.bobbyschenk.de/n006/vera6.html

Impressum und Datenschutzerklärung