YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
Frage von Bernhard Kohmanns
Hallo, Herr Bernhard Kohmanns,
aber selbstverständlich geht es auch ohne gegißten Schiffsort. Heute!
Der Grund, warum der gegißte
(geschätzte) Schiffsort überhaupt in die astronomische Navigation seinen
Eingang gefunden hat, war ein sehr praktischer. Eine astronomische Standlinie,
also eine Messung des Winkels zwischen dem Gestirn und dem senkrecht darunter
liegendem Punkt auf dem sichtbaren Horizont (Kimm), ist ja nichts anderes, als
eine kreisförmige Standlinie mit dem Gestirn als Mittelpunkt des Kreises.
Es lässt sich leicht vergleichen
mit einer Standlinie aus einer Abstandsbestimmung, die wir ja alle (jedenfalls
diejenigen, die den Namen Navigator verdienen) in den ersten Stunden beim
theoretischen Unterricht gelernt haben. In der terrestrischen Navigation ist das
Peilobjekt eine Landmarke (Berg, Leuchtturm), während eben in der
astronomischen Navigation das Peilobjekt ein Gestirn ist, dessen Position wir
als Ephemeriden aus dem Nautischen Jahrbuch rauslesen können.
Aus dem Winkel zu der Peilmarke
(Bergspitze, beziehungsweise Gestirn) lässt sich leicht die Entfernung zum
Gestirn berechnen. So leicht, dass sich die Formel hier angeben lässt, ohne den
Leser zu langweilen. Die Entfernung zum Gestirn ist nichts anderes als 90 Grad
minus dem gemessenen Winkel. Um dann noch die Meilen zu bekommen, braucht man
das Ergebnis nur mit 60 zu multiplizieren und schon hat man die Entfernung in
Nautischen Meilen zum Stern, beziehungsweise zu dessen Bildpunkt auf der
Erdoberfläche. Wenn wir also den Winkel der Sonne über der Kimm mit 50 Grad
messen, dann sind wir vom Bildpunkt der Sonne (siehe Nautisches Jahrbuch) 40 mal
60 Seemeilen, entfernt. So einfach ist das! Wir befinden uns auf einem Kreis um
den Bildpunkt der Sonne, der einen Radius von 2400 Seemeilen hat.
Leider haben wir damit nicht viel
gewonnen, denn wahrscheinlich befindet sich der Bildpunkt der Sonne und unsere
Position nicht auf ein und derselben Karte, sodass wir die Standlinie nicht so
einfach zeichnen können. Das hat zu Erfindung des Verfahrens nach Marcq St. Hilaire
(einem französischem Seeoffizier) geführt, der mit Hilfe des gegißten
Schiffsortes den Teil des Kreises auf seiner Seekarte zeichnen konnte, der in
seiner Nähe - und damit entscheidend - war.

Wurde eine zweite Standlinie
gemessen, dann ergab sich, logisch, auch ein Schnittpunkt beider Standlinien und
damit ein Schiffsort. Aber der Hintergrund, mit und ohne Gißort, war und blieb
immer: Eine astronomische Standlinie ist ein Kreis und zwei astronomische
Standlinien sind zwei Kreise, die sich - praktisch immer - schneiden.
Im dritten Reich gab es übrigens
eine Erfindung der Firma Aristo, mit der man auf einer Kugel die beiden Kreise
mechanisch darstellen und damit auch - mit entsprechender Ungenauigkeit - einen
Schiffsort ablesen konnte.
Warum die Sache mit dem fehlenden
Schiffsort nunmehr in den Köpfen vieler Navigastoren immer wieder rumspukt, ist
die Tatsache, dass der Elektronenrechner auch komplizierte Rechnungen im
Handumdrehen erledigt. Also auch die relativ verzwickten Formeln zur Berechnung
des Schnittpunktes zweier Kreise (zu finden beispielsweise im Handbuch der
Navigation von Böhm, erschienen im Delius Klasing Verlag) klaglos verarbeiten
kann. Und dann braucht man auch keinen gegißten Schiffsort mehr. Oder?
Als ob es denn in der Praxis
jemals vorkommt, dass eine Position auf mehrere hundert Meilen nicht bekannt
ist! Das ist graue Theorie. Aber Tatsache ist, dass viele Programmierer in den
Anfangstagen der Rechnernavigation ihre Produkte dem (sehr) unbedarften
Interessenten damit schmackhaft gemacht haben, dass er keinen gegißten
Schiffsort mit ihrem Super-Programm mehr benötigt.
Was auch nicht ganz korrekt ist.
Denn schneiden sich zwei Kreise nicht zweimal? Ergeben sich damit nicht zwei
Schiffsorte, statt einem? Tatsächlich bringen die erwähnten Formeln zwei
Ergebnisse und damit zwei ganz real existierende Schiffsorte, die meist weit
auseinanderliegen, gelegentlich aber ziemlich nahe beisammen sind. Niemals kann
der Rechner entscheiden, welcher der beiden Orte der richtige ist. Das muss der
Navigator machen, und das ergibt sich halt fast immer aus der Überlegung
heraus, wo er sich wahrscheinlich ungefähr befindet. Also unter
Berücksichtigung eines geschätzten Schiffsortes.
Also ist in der Praxis durch
Verwendung dieser Formeln nicht so sehr viel gewonnen. In dem von mir (zusammen
mit Dr.Förster) entwickelten Computer-Programm ASTRO-CLASSIC werden übrigens
jene Formeln gelegentlich auch verwendet.
Hinzu kommt: Wenn ein Navigator in
der Lage ist, zwei Messungen zu gewinnen, die einen vernünftigen Standort
ergeben (was in der Mess-Praxis) gar nicht so einfach ist, dann ist es
ausgeschlossen, dass der Mann mit dem Sextanten in der Hand nicht die geringste
Ahnung hat, wo er sich befindet. Für diese Art von Berechnung besteht keine
zwingende Notwendigkeit.
Dabei hat die Verwendung dieser
Formeln einen sehr entscheidenden Nachteil: Damit lässt sich keine
einzelne Standlinie so berechnen, dass man sie in der Praxis auf der Seekarte
einzeichnen könnte. In der konventionellen Navigation ist aber eine Standlinie
außerordentlich aussagekräftig, jedenfalls viel besser als nichts!
Immer ein genaues Fix wünscht
Ihnen
Bobby Schenk
zur
Home-Page
Page by Bobby Schenk
E-Mail: mail@bobbyschenk.de
URL of this Page is: https://www.bobbyschenk.de/quest/f161.html
Impressum und Datenschutzerklärung
|