YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
Frage von
Barbara Timmermann
Liebe Frau Timmermann,
nachdem ich davon ausgehe, dass
Ihre Prüfung im Jahre 2005 und nicht im Jahre 1905 stattgefunden hat, fällt es
mir schwer, mich nicht über Ihren Instructor lustig zu machen. Mit Ihrem
gesunden Menschenverstand haben Sie erkannt, dass da was nicht richtig ist mit
dem Verlangen, mit stehenden Segeln in den Hafen einzufahren.
Ich könnte den noch verstehen,
wenn er von Ihnen verlangt hätte, unter Segel in den Hafen einzulaufen bei
Annahme eines Maschinenschadens. Damit Sie demonstrieren können, dass Sie auch
mit schwierigen Situationen auf Grund Ihrer seglerischen Fähigkeiten fertig werden.
Aber so?
Zunächst
ist es ein Irrtum, zu glauben, mit einem Segelschiff könne man unter allen
Umständen zielsicher manövrieren und praktisch jedes Manöver fahren. Auch
wenn wir stolze Segler es nicht so gerne hören, ist, jedenfalls unter
Normalbedingungen, ein Motorboot viel manövrierfähiger als ein Segelschiff.
Mit Maschine kann ich jeden Kurs zum Wind fahren, speziell im glatten
Hafenwasser, was eben bekannterweise unter Segeln nicht möglich ist. Mit
Maschine kann ich das Schiff per Rückwärtsgang auf Kommando abstoppen, was
unter Segeln eigentlich nur per langem, unberechenbaren Aufschießer gelingt.
Und der berühmte Ratschlag, aus einer Segelyacht durch Backhalten des
Großbaums die Fahrt aus dem Schiff zu nehmen, funktionierte höchstens dann,
wenn bei sehr viel Wind der Großbaum überhaupt per Muskelkraft back
gedrückt werden könnte - bei Yachten über 10 Meter Länge also
ausgeschlossen. Vor vielen Jahren sollte ein Buchautor diese seine Ansicht
übrigens vor einem Redakteursteam auf der Ostsee demonstrieren. Genüßlich
vermerkte die YACHT, dass das Segelschiff mit backgehaltenem Groß nicht
aufhörte zu treiben. Was das bedeutet, wenn 6 Tonnen Segelschiff in Richtung
Steg auf die dort friedlich liegenden Kajütkreuzer zutreibt, kann sich jeder
ausmalen.
Das
einzige, was Maschinenmanöver empfindlich stört - immer unter der Annahme,
dass normale Hafen-Windverhältnisse (unter 20 Knoten) herrschen - sind stehende
Segel. Wobei die Fock noch nicht mal das größte Übel ist. Die Fock hat
nämlich den Vorteil, dass sie auf allen Kursen zum Wind innerhalb von Sekunden
weg-gerollt oder -genommen werden kann. Viel übler ist das
"Hauptsegel", also das Großsegel. Das kann in den meisten Fällen nur
in einem eng begrenzten Bereich, nämlich "fast im Wind" oder "im
Wind" weggenommen werden. Schlimmer noch: Fährt man dann mit Maschine,
aber mit stehendem Groß einen Kurs vor dem Wind, kann auch bei wenig Wind das
stehende Groß das Kommando über die Maschine nehmen, mit der Folge, dass
beispielsweise der eingelegt Rückwärtsgang seine Bremswirkung durch den
Vortrieb des Segels verliert. Abgesehen davon, dass man sich dann noch
zusätzlich zum Anlegestress mit einem drohenden Großbaum herumschlagen muss.
Hinzu
kommt, dass in vielen Häfen der Wind durch Gebäude oder andere Hindernisse
unberechenbar abgelenkt werden kann, sodass unter Umständen die beim Einlaufen
beobachtete Windrichtung sich plötzlich ändert. Mit der Folge, dass man den
Wind ganz unerwartet von der "anderen" Seite bekommt, was nun mit dem
beabsichtigten Maschinenmanöver nicht mehr in Einklang zu bringen ist.
Nein, die Segel müssen vor dem
Einlaufen in den Hafen runter, am besten so, dass sie im Notfall schnell wieder
ausgerollt oder hochgezogen werden können. Es wäre also sicher nicht richtig,
gleich mal das Groß mit der Segelpersenning abzudecken. Erst recht gilt das in
dem geschilderten Fall, wo eine Yacht sich beim Anlegen unter Umständen noch
mit Strom rumzuschlagen hat.
Vielen
Seglern ergeht es übrigens wie mir, wenn sie eine Yacht unter Segel in den
Hafen einlaufen sehen. Da werden dann schon mal zusätzliche Fender aus der
Backskiste rausgeholt, um sie im Notfall vor die unter Segel
manövrierbehinderte Yacht halten zu können. In diesem Zusammenhang sei auch
darauf hingewiesen, dass in einigen französischen Häfen das Einlaufen unter
Segel verboten ist. Aus sehr gutem Grund!
Wer nun darauf hinweist, dass
früher, also so vor 60 und mehr Jahren das Einfahren unter Segel in einen Hafen
üblich war, liegt ein wenig daneben. Sicher wurden in diesen Tagen
normalerweise Segelyachten unter Segel angelegt. Aber, man vergesse nicht: Die
Häfen waren bei weitem nicht so dicht besetzt wie heute, hatten also viel mehr
Auslaufmöglichkeiten für verunglückte Manöver. Die Yachten waren im
Durchschnitt viel kleiner als unsere heutigen Yachten, hatten viel mehr
Besatzung und die Crews beherrschten ihre Manöver aus dem Effef, weil sie es ja
jeden Tag übten.
Und
die größeren Segelschiffe? Sie beherrschten andere Manöver als wir heute.
Dazu zählt zum Beispiel das Abbremsen mittels eine Ankers, was ja nun auf
Yachten nicht gerade täglich praktiziert wird. Und wenn der Alte sich nicht
sicher war, dass er ohne größere Schrammen seinen Kahn anlegen konnte, wurde
vor Anker gegangen und anschließend in Ruhe mit dem Beiboot - damals
"Gig" - und der Kraft der Riemen verholt. Ein Manöver, an das wir uns
erinnern sollten, wenn tatsächlich mal die Maschine draußen ihren Geist
aufgibt. Und mit defekter Maschine laufen wir doch alle erst gar nicht aus,
oder?
Mast- und Schotbruch!
Bobby Schenk
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