YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
Frage von Gerhard Bütow
Hallo Gerhard,
mit
Deiner so harmlos klingenden Frage nach einer Plastik-Peilscheibe hast Du quasi
in ein Wespennest gestochen. Ich hab mich nämlich daraufhin auf dem deutschen
Markt umgesehen und bin - nicht fündig geworden. Auch in dem so liebevoll
geführten Zubehörladen TOPLICHT (die eigentlich "alles" haben, was
das Seglerherz begehrt - www.toplicht.de)
verbeschied man mich negativ: "Wir haben 36 unserer besten Lieferanten
befragt, aber Fehlanzeige."
Sicher, es gibt wunderschöne
Peilscheiben, wie sie die Großschifffahrt verwendet aus Messing (Cassens und
Plath), doch bezweifle ich, dass jemand für ein solches Ding mehr als 200 Euro
ausgibt, wenn ganz offensichtlich Plastikscheiben aus Plastik für unter 100
Mark nicht mehr erhältlich sind.
So
und was schließen wir daraus? Was ziemlich Deprimierendes, nämlich: Nicht mehr
viele Segler navigieren ernsthaft, unterscheiden sich also von Autofahrern, die
mit dem Wagen gleich das Navigationssystem mitbestellen oder später bei Conrad
und Co nachrüsten. Wieso?
Zum Fundamentalsten in der
Navigation gehört die Feststellung, um wieviel der Kompass durch magnetisch
aktive Materialien an Bord je nach Schiffslängsrichtung abgelenkt wird. Wie
groß die Deviation je nach Kompasskurs ist? All das wäre in eine Steuertafel
einzutragen. Eine solche müsste auf jedem Schiff vorhanden sein. Wenn denn eine
Yacht ordentlich nach den Grundsätzen der Seemannschaft geführt würde.
Das ist Prüfungsstoff in den
"unteren Scheinen". Und wenn es mal zu einem Unfall und damit zu
einer entsprechenden Verhandlung vor dem Seegericht kommen sollte, würde sicher
auch danach gefragt.
Nun könnte man auf die Idee
kommen, dass die Deviation auf einem Kunststoffschiff ohnehin unter fünf Grad
liegt, was ja kaum genau genug gesteuert werden kann. Richtig! Aber dazu gehört
nun mal, dass die Deviation mindestens einmal festgestellt und dann gelegentlich
wieder überprüft wird. Es reicht nicht aus, dass man auf einer
Atlantiküberquerung auf die untergehende Sonne zuhält und den anliegenden
Kompasskurs mit dem Azimut (minus Missweisung) vergleicht. Denn dann
bekommt man ja nur die Deviation für exakt diesen anliegenden Kompasskurs, also
so um die 260 Grad.
Nebenbei bemerkt: In jedem
Flugzeug, ob in einem A380er oder in einer kleinen Cessna befindet sich ein
Magnetkompass, für den - selbstverständlich - eine gültige Deviationstafel
vorhanden sein muss - Vorschrift!
Lässt
sich denn nun eine Steuertafel auch ohne Peilscheibe aufstellen? Ja, aber! Nur,
wenn man über der Steuerkompass peilen kann. Bei 90 Prozent aller Yachtkompasse
ist dies nicht möglich und zwar aus meist zwei Gründen. Unsere schönen
Kugelkompasse erlauben fast nie die Anbringung eines Peildiopters und außerdem
sind sie fast immer so eingebaut, dass man über die Cockpitumrandung nicht
hinauspeilen kann. Also benötigt man eine Vorrichtung, mit der man auch
Landmarken anpeilen und(!) einen Bezug zum Steuerkompass herstellen kann. Und
das ist nun mal die Peilscheibe (und keineswegs ein Peilkompass, der ja nun
seine eigene Deviation - je nach Peilort - hat).
Bleibt
die Möglichkeit, über den Steuerkompass die Sonne anzupeilen und das jeweilige
Azimut (= rechtweisende Peilung zur Sonne) zu berechnen. Für denjenigen, der
sich ein bisschen mit der astronomischen Navigation auskennt, kein Kunststück,
vor allem, wenn ein entsprechendes Computerprogramm benützt wird! Etwas
umständlicher geht es natürlich auch mit Jahrbuch und den HO-Tafeln. Die
Mühen der Errechnung der Peilung zur Sonne aber werden dadurch ausgeglichen,
dass in der Praxis diese Art der Steuertafel-Aufstellung die genaueste und
leichteste ist.
In jedem Fall ist
Voraussetzung, dass die Kompass-Richtung zur Sonne gepeilt werden kann, also
über die Peilscheibe (deren Peilung dann zum Kompasskurs hinzugezählt werden
muss) oder, praxisnäher, über den Steuerkompass selbst. Auf dem Bild rechts
wurde ein Papier dem Schattenstift unterlegt, damit der Schatten der Sonne und
damit die Peilung besser abgelesen werden kann.
Was aber nun, wenn über den
Steuerkompass nicht gepeilt werden kann, was leider der Normalfall ist? Dann
gibt es nur die Möglichkeit, dass man "fünfe gerade" sein lässt und
auf die Aufstellung einer Steuertafel verzichtet. Was hierzulande der Regelfall
sein dürfte, Seemannschaft ade.
Vor ein paar Jahren wurden
Selbstbaupläne zum Bau einer Peilscheibe veröffentlicht. Erfahrungsberichte
aber, wie genau man damit arbeiten konnte, fehlen mir. Und eine Peilgenauigkeit
von mindestens zwei Grad sind ja schon nötig, um eine vernünftige Steuertafel
aufzustellen.
Was nun, gibt es vielleicht noch
andere Methoden, um die Deviation auf allen Kursen festzustellen? Nein, mit
Einschränkungen! Vor allem geht es nicht mit dem GPS, obwohl in der Praxis, da
bin ich mir schon im Klaren, diese Methode am meisten angewendet wird: Man liest
auf dem GPS den Kompasskurs ab und vergleicht ihn mit dem Kurs am Steuerkompass.
Die Differenz sollte die Deviation sein! Ist sie aber in der Praxis nicht.
Denn der GPS-Empfänger berechnet
aus der Richtung mehrerer hintereinander liegender GPS-Orte die Richtung, in der
sich das Schiff fortbewegt. Abgesehen davon, dass es sich hier um die Richtung
über Grund handelt, ist die Anzeige nur dann einigermaßen genau, wenn das
Schiff deutliche Fahrt über Grund macht, Das heißt aber andersrum, dass
hierbei nur dann die Deviation rausgerechnet werden könnte, wenn der
Rudergänger über längere Zeit einen gleichmäßigen, gradgenauen Kurs steuern
kann, womit ein Mensch überfordert ist.
Eine einzige Möglichkeit zur
Deviationsbestimmung mittels GPS ist allerdings denkbar. Man lässt einen
wirklich präzisen (und damit teuren) Steuerautomaten ans Ruder (der Mensch kann
nicht so gut steuern) und vergleicht dann mindestens zehn Sekunden lang den Kompasskurs
mit dem GPS-Kurs. Bleiben beide Kurse über längere Zeit gleich, dann kann man
auf die Deviation schließen - für den betreffenden Kompasskurs. Gilt aber nur
für garantiert stromlose Gewässer. Also ein System mit Einschränkungen. Mit
Peilscheibe wäre es besser, aber - siehe oben!
Jedenfalls schön, dass Du Dich
für solche Fragen interessierst. Damit bist Du eine löbliche Ausnahme unter
vielen Seglern!
Freundliche Grüße
Bobby Schenk
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