YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
Sehr geehrter Herr Koller,
das ist eine einfache, doch sehr
berechtigte Frage, erfordert aber keine leichte Antwort. Denn irgendwelche
Patentlösungen oder Eselsbrücken zur Lösung dieses Problems gibt es nicht.
Hinzu kommt, dass es sich um eine recht alltägliche Situation handeln kann, was
viele Mittelmeersegler sich gar nicht vorstellen können.
Als ich vor vielen Jahren das Mittelmeer
verlassen habe, bin ich selbstverständlich davon ausgegangen, dass man nur auf
hundertprozentig geschützten Ankerplätzen oder im sicheren Hafen ankern würde.
Ich hätte mir allerdings schon denken können, dass das nicht die Regel sein
würde, denn zum Beispiel das westliche Mittelmeer ist ja auch nicht gerade mit
sicheren Ankerplätzen gesegnet.
Weltweit
schaut es da aber ganz anders aus. In den Passatzonen ist es die Regel, dass man
im Lee der Insel ankert, also vor dem offenen Meer. Und natürlich kommt da
gleich die Befürchtung auf, dass der Wind, und damit auch die Dünung von der
"falschen" Seite kommen könnte, was in Sekunden dazu führen würde,
dass der Ankerplatz eben keiner mehr ist.
Nun wird man einräumen, dass solche Situationen
selten passieren. Aber sie können vorkommen und zwar jederzeit. Dass man
Ankerplätze aufsucht, die nur bei bestimmten Wetterlagen geeignet sind, kommt
ja nicht häufig vor und dort ist man auf ein Verlassen des Ankerplatzes bei
Ankündigung des Wetterumschwungs (Bewölkung, Winddrehung, Barostand) ja
innerlich und technisch vorbereitet.
Auch in der
Passatzone mit den regelmäßigen Winden aus dem gleichen (östlichen)
Quadranten können sich Gewitter bilden, die Winde (und Schwell) aus allen
Richtungen mitbringen können. Und wenn man darauf nicht vorbereitet ist, dann
kann es ganz leicht passieren, dass man in ernste Schwierigkeiten gerät. Wir
haben es selbst erlebt, dass im Hafen von Las Palmas (als es dort noch keine
Marina gab) der gar nicht so starke Wind plötzlich von der offenen Hafenseite
herein wehte. Was "eigentlich" erst zwei Monate später passieren
hätte dürfen. Der zwei hohe Meter Schwell verwandelte den vorher so
friedlichen Ankerplatz innerhalb von wenigen Minuten in eine schlimmer
"Buckelpiste", die die Fahrtenyachten nur noch so herumspringen und an
den Ketten hysterisch reißen ließ. Wir hatten damals drei Anker -
vorsichtshalber - ausgebracht. Das Chaos war perfekt, als die Segler, die sich
vorher noch an Land befanden, versuchten schwimmend ihre Yachten zu erreichen -
denn Beiboote waren in dem Schwell und Seegang nicht mehr einsatzfähig.
Als wir versuchten, die Anker aufzuholen, mussten
wir feststellen, dass unsere Maschine nicht stark genug war, über den Anker zu
motoren. Ausserdem war unser 10-Meter-Schiff wegen der drei Ankergeschirre auch nicht gerade
leicht zu manövrieren. Es gelang uns nicht, auch nur einen Anker zu bergen und
so warfen wir in unserer Verzweiflung Kette und Trossen schließlich über Bord,
um gerade noch aus der Falle rauszumotoren und dann im rundum geschützten
Innenhafen längseits einer hilfsbereiten englischen Yacht festzumachen.
In den folgenden Tagen waren wir dann
beschäftigt, mittels Tauchflasche unsere drei Ankergeschirre wieder
einzusammeln. Was nicht weiter schwierig war, denn der Ankerplatz zeigte sich,
wie gewohnt, von seiner ruhigen Seite.
Die Lehre hieraus:
Ein Ankerplatz muss
rechtzeitig verlassen werden.
Leider kann man mit dieser Binsenweisheit nicht
viel anfangen, denn viel schwieriger ist die Beantwortung der Frage, wann
"rechtzeitig" ist.
Jeder Ankerplatz, der nicht rundum geschlossen
ist, wo also auch eine geringe Gefahr eines Windes aus der "falschen"
Richtung besteht, kann zur Falle werden. Wie groß diese Gefahr ist, lässt sich
aus mehreren Quellen erfragen, zum Beispiel bei den Fischern, aus dem Handbuch,
von der ortsansässigen Charterfirma oder auch beim Wirt, der seit Jahren die
Kneipe in der Bucht betreibt. Natürlich sind die ersten Informationsquellen die
lokalen Wetternachrichten. Und, ganz wichtig: Der Barograph. Denn die
Wetterberichte sagen ja das großflächige Wettergeschehen voraus. Die
Gefahr für "unseren" Ankerplatz rührt aber meist vom ganz lokalen
Wettergeschehen, also von Zwischentiefs, einem Frontdurchgang, Gewittern oder Schauer, die sich häufig durch einen
plötzlichen Luftdruckfall ankündigen. Schreibt also der Barograph einen Zacken
nach unten und(!) weht nunmehr ein Lüftchen aus der gefährlichen Richtung,
dann kann ich mich darauf einstellen, demnächst den Ankerplatz zu verlassen.
Solange es noch geht!
Wann ist es aber zu spät? Habe ich gute
Sichtverhältnisse, dann braucht man nicht gerade hysterisch reagieren, denn das
schlimmste, was dann passieren kann, ist, dass man seine Anker nicht mehr
rausbringt. Wobei ich - heutzutage - selbstverständlich davon ausgehe, dass man
in solchen Momenten, Notfälle ausgenommen, nicht auf die Idee kommt,
Ankeraufmanöver unter Segel zu fahren und die Maschine voll einsatzbereit ist.
Hat aber der Wind (und Schwell) plötzlich so
zugenommen - auch das kommt vor - , dass der Bug immer wieder hysterisch an der
Kette reißt, die lange Kette stangengerade voraus ins Wasser zeigt, dann ist es
höchste Zeit, diesen ungastlichen Platz zu verlassen. Denn auch ein gutes
Ankergeschirr nebst Bugbeschlägen kann durch das Einrucken der Kette in Gefahr
kommen. Und wenn dann etwas bricht, hat man bestimmt die Kontrolle über die
Yacht schon verloren und man wird zum reinen Passagier, der nur darauf wartet,
dass sich die widrigen Wetterverhältnisse wieder so schnell ändern, wie sie
sich aufgebaut haben. Wie hoch die Dünung sein muss, um sein Ankergeschirr zu
überfordern, hängt auch von der Yachtgröße ab. Man beachte, dass die
Dünung, der Schwell viel gefährlicher ist, als die bloße Windstärke. Wenn
sich über weite Strecken der Schwell aufbauen kann ("Fetch"), dann können schon
15 Knoten Wind für die Yacht zu viel werden. Umgekehrt kann eine Yacht auf
einem geschossenen Ankerplatz schon mal eine kurze 50 Knoten-Böe abwettern.
Ein Manöver wird im Notfall immer glücken und
das ist die vorläufige Aufgabe des Ankergeschirrs - siehe oben! Was unter
Umständen nicht einmal eine Notlösung ist, vorausgesetzt, dass Mannschaft und
Schiff darauf vorbereitet sind. Wer in diesen Momenten nach einem Schäkelöffner
erst suchen muss, um den globigen Schäkel im Kettenkasten zu lösen, der kommt
bestimmt zu spät. Denn die letzte Verbindung zwischen Ankerkette und Schiff
sollte so beschaffen sein, dass man mit dem Messer die Sicherung durchschneidet,
um dann per Hand den Patentschäkel zu öffnen. Das wird selbstverständlich nur
dann gelingen, wenn man alle paar Monate den Schäkel auf leichtes Öffnen -
unter hohem Zug - überprüft. Oder man befestigt mit entsprechend starken
Leinen das letzte Kettenglied im Ankerkasten fest, sodass ein paar Schnitte mit
dem Messer die Yacht vom Anker befreien können.
Auf keinen Fall gibt man den Anker für immer
auf, wenn man dann die Kette ausrauschen lässt. Denn
sie wird gesichert sein per Boje und Leine. Wer allerdings in diesen Momenten
erst eine geeigneten Bojenleine (länger als die Wassertiefe!) vorbereiten will, um
daran den Fender zu befestigen, der kommt sicher zu spät.
Handelt es sich um
klares, nicht zu tiefes Wasser, wird es in den meisten Fällen auch möglich
sein, den ungesicherten Anker, wenn sich das Wetter wieder beruhigt hat, auch
tauchenderweise wiederzufinden. Erleichtert wird das spätere Auffinden des
Ankergeschirrs durch die GPS-Position des Ankerplatzes, die der Skipper
selbstverständlich aufgeschrieben oder mit der MOB-Funktion seines GPS im Gerät
gespeichert hat.
Ist die Yacht einmal frei, wird es praktisch
immer möglich sein, den ungastlichen Platz mit der Maschine zu verlassen, um
ein paar Stunden eine Wetterbesserung abzuwarten.
Das alles funktioniert selbstredend nur dann,
wenn die Sichtverhältnisse einwandfrei sind.
Ganz anders stellt sich die
Situation dar, wenn man nachts von einem Unwetter überrascht wird. Bei
Dunkelheit einen
engen Ankerplatz bei Schlechtwetter zu verlassen, kann zu riskant sein, wenn man
keine optische Sicht auf seine Umgebung hat. Dann sitzt man in der Falle, die
man sich selbst nach einem schönen gemütlichen Segeltag ausgesucht hat.
Ausdrücklich muss davor gewarnt werden, dann mit Hilfe von GPS und Seekarte in
der Dunkelheit zu flüchten. Denn das GPS kann zwar auf 10 Meter genau sein, die
Seekarte wahrscheinlich (je nach Gebiet) nicht!
Selbst mit Hilfe von Radar kann man nicht in
jedem Fall einen Ankerplatz ohne Gefahr verlassen. Dafür muss sich der
Ankerplatz schon eignen, das heißt, das Radarbild muss den Strand, das Ufer,
und am besten noch die anderen Ankerlieger eindeutig abbilden, was beispielsweise bei Sandstränden nicht immer der Fall
ist. Außerdem sollte das Ufer auch steil abfallen, damit man sich dem
"Radarstrand" ohne Gefahr des Aufkommens nähern kann. Dass dies
bei den meisten "guten" Ankerplätzen gerade nicht der Fall ist, liegt
auf der Hand.
Dann bleibt noch die Möglichkeit, mit Hilfe des
GPS und des mitgeschriebenen Einlauftracks abzuhauen. Ist der Ankerplatz nicht
zu eng, dann kann man mit größter Vorsicht diesen Ausweg suchen.
Selbstverständlich nur dann, wenn man sicher ist, dass keine neuen Ankerlieger
auf dem Einfahrttrack liegen.Im
Gegensatz zum Einsatz einer Seekarte kommt hier die praktische GPS-Genauigkeit
von, sagen wir mal von 50 Meter, zum Tragen. Wenn man also technisch in der Lage
ist, diesen Track möglichst deckungsgleich zurückzusegeln, dann kann man mit
großer Wahrscheinlichkeit wohlbehalten aus der Mausefalle rausfahren.
Und was bringt ein Nachtsichtgerät? Handelt es
sich um eines der ersten und auch der zweiten Generation, dann kann man das
getrost vergessen. Die sind so leistungsschwach, dass sie, vor allem bei Regen
keine große Hilfe sind. Zumal beim geringsten Licht (Kompassbeleuchtung,
Ankerlicht etc)
diese Einaugen praktisch unbrauchbar werden. Was anderes gilt für die extrem
teuren Nachtsichtgläser der dritten Generation, die die Nacht in einer
unbeleuchteten Ankerbucht zum Tage machen könnten.
Mit freundlichen Grüßen!
Bobby Schenk
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