YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
Hallo Herr Kaiser,
es freut mich immer wieder, wenn ich höre, dass
sich jemand für diese schönen und recht romantische Materie interessiert. Da nehmen die Segler doch gerne in Anspruch, dass sie sich mit
der Natur und den Naturgewalten auseinandersetzen, und dann sind sie nicht mal
in der Lage, ihre eigene Position aus der Natur herauszulesen. Aber Knöpfe
drücken, das können sie....
Um die Sprache von Sonne, Mond und Sternen zu
verstehen, müssen wir ihre Höhe kennen und das kann bei einer ernsthaften
Navigation nur mittels eines genauen Messinstruments geschehen, also mit einem
Sextanten. Wenn wir die Eignung der verschiedenen Sextanten zur Navigation
beurteilen wollen, dann sollten wir uns Gedanken machen, welche Anforderungen an
so ein Präzisionsinstrument zu stellen ist.
Faustregel ist, dass ein Fehler von einer
Winkelminute einen Fehler von einer Seemeile ergibt.
In
der Praxis, und so sind bis vor 20 Jahren tausende von Weltumsegelungen
durchgeführt worden, wird man sich bei durchschnittlichem Wetter und freien
Blick auf ein Gestirn und(!!!) den Horizont (es soll ja der Winkel zwischen
Gestirn und dem genau senkrecht darunter liegendem Punkt auf dem Horizont
gemessen werden) mit einer Genauigkeit von bis zu 5 Seemeilen(= 5
Winkelminuten) zufrieden geben.
Auf Grund zahlreicher Messungen und vielen
praktischen Erfahrungen, kann ich bestätigen, dass der geübte(!)
Langfahrtsegler unter normalen Bedingungen - mäßige See, klare Sicht auf
Horizont und Gestirn (in 95 Prozent aller Fälle also die Sonne) eine
Messgenauigkeit von besser als drei Seemeilen erreichen wird. Hierbei ist die
Anwendung der richtigen Messtechnik, also das Beschreibens eines Bogens um die
Fernrohrachse des Sextanten. selbstverständliche Voraussetzung.
Hinzu kommen noch Ungenauigkeiten von bis zu 2
Seemeilen aus unberechenbarer Lichtbrechung und unvermeidliche
Rechenungenauigkeiten, die aus Ab- oder Aufrundungen resultieren.
Also,
unter diesem Wert aus der Praxis - bis zu 5 Meilen Ungenauigkeit - sollte man
jetzt die Leistung eines Sextanten beurteilen. Die besten Werte erreichen hier
sicher Metallsextanten aus deutscher, vielleicht auch japanischer
Spitzenfertigung. Sie liegen bei einer Ungenauigkeit des Gerätes von plus/minus
10 oder 20 Bogensekunden, also, bei einer sechstel bis drittel Winkelminute (= runde 300
bis 600 Meter).
Bei Plastiksextanten wird man mit einer
Ungenauigkeit von bis zu einer oder zwei Winkelminuten rechnen müssen, wobei
die Ursache meist in der ungenügenden Lagerung der Alhidade (das ist der
bewegliche Arm auf dem Sextaten) zu suchen ist.
Bei all diesen Werten wird davon ausgegangen,
dass die sogenannten Sextantfehler (Indexfehler, Indexspiegel- und
Horizontspiegelfehler) korrigiert wurden.
Nun
zu den Metallsextanten: Alle mir bekannten Metallsextanten, also auch aus
chinesischer, russischer (Bild!), japanischer und früherer DDR-Fertigung weisen
keinen Fehler auf, der eine Winkelminute überschreiten würde. Das gilt
selbstverständlich auch für Sextanten aus Aluminium, wie sie zum Beispiel von
der Firma C.Plath (nicht zu verwechseln mit Cassens und Plath) hergestellt
wurden.
Daraus folgt, dass Sie mit jedem Metallsextanten
gut bedient sind, weil deren theoretische Messungenauigkeiten gegenüber den
anderen Unwägbarkeiten kaum ins Gewicht fallen.
Hierbei ist es sicher
Geschmacksache ist, ob man sich schon aus optischen Gründen nicht einen
traditionellen Messingsextanten aus deutscher Fertigung leisten möchte.
Schließlich ist ein Sextant nicht nur ein romantischer Gebrauchsgegenstand,
sondern auch ein Schmuckstück. Das gilt allerdings nur für Metallsextanten,
denn einen Plastiksextant wird man sich kaum an die Wand pappen.
Zu
was ich Ihnen dringend rate, und davon würde ich die Kaufentscheidung auch
abhängig machen, ist ein Sextant mit einem Vollsichtspiegel. Ich
habe eine ganze Weltumsegelung, also fast vier Jahre lang, täglich mit einem geteilten
Spiegel (Split) gearbeitet und dann weitere jahrelangen Langfahrten mit einem
Vollsichtspiegel navigiert. Wobei hierbei auch der geteilte Spiegel zu Vergleichszwecken
an Bord war. In der Praxis ist die Leistungsfähigkeit des Vollsichtspegels
gegenüber dem geteilten Spiegel überragend. Und macht die Messung auch unter
ungünstigen Bedinungen - die Sonne blitzt mal durch die Wolken durch - , wo man
mit dem geteilten Spiegel kaum mehr eine Chance auf einen guten Schuss hat, kinderleicht.
Gegen den Vollsichtsextanen wird oft vorgebracht, dass sein „Spiegel“ ja eine ganze Menge Licht schluckt und eben nicht reflektiert. Nachdem das von einem Stern ausgesendete Licht ja sehr schwach ist, würde ein Vollsichtspiegel ja davon auch noch einen erheblichen Prozentsatz „schlucken“. Diese Argumentation ist theoretisch richtig, wird aber durch die Praxis entschieden widerlegt. Der Nachteil der geringeren Lichtmenge wird mehr als weit dadurch ausgeglichen, dass der winzige, schwache Lichtpunkt (Stern) über den ganzen Spiegel hinweg beobachtet werden kann und nicht einfach an der Kante des Halbspiegels
verschwindet (und eventuell nicht mehr wiedergefunden werden kann). Um es ganz deutlich auszudrücken: Gerade beim Sternenmessen zeigt sich am deutlichsten der Vorteil eines vollen Spiegels. Sind die Sterne vorausberechnet, so gelingt es dem Autor mindestens dreimal so viele Sterne mit dem Vollsichtspiegel einzufangen, als es mit dem geteilten Spiegel möglich wäre.
Ein weiters (Schein-)Argument wird gegen den Vollsichtspiegel häufig vorgebracht. „Profis“ würden den Vollsichtspiegel kaum benützen. Mit „Profis“ ist damit die Berufsschifffahrt gemeint. Tatsächlich kauft die Sportschifffahrt, also wir Yachtsleute, mehr als 90 Prozent aller Sextanten als Vollsichtspiegel, während es in der Berufsschifffahrt gerade umgekehrt ist. Nanu?
Die Erklärung hierzu ist recht einfach und hat nichts mit der Frage Halbsicht- oder Vollsichtspiegel zu tun: Noch ist die Berufsschifffahrt auf Grund gesetzlicher Ausrüstungspflichten gehalten, einen Sextanten an Bord zu haben. Der wird aber pflichtgemäß bei der Indienststellung
des Schiffes angeschafft – und nie mehr benutzt. Fast alle Berufsseeleute haben einen Sextanten schon in der Hand gehabt. Das letzte Mal auf der Seefahrtsschule.
Rein theoretisch scheint auch ein Ausweg aus den Messschwierigkeiten, vor allem
nachts bei unsichtbarer Kimm ein »künstlicher Horizont« zu sein. Tatsächlich wird von
einigen Firmen ein solcher in Form eines Libellenzusatzes angeboten. Es muss jedoch ausdrücklich davor gewarnt werden, sich unnötig in derartige Mehrkosten (ab 300 Euro) zu stürzen.
Bei Versuchsmessungen von Deck eines Frachters (!) aus wurde nämlich festgestellt, dass nur etwa zwei von 100 Messungen brauchbar waren. Und dies, wohlgemerkt, mit Libellensextanten 1. Qualität – in den Händen erfahrener Berufsseeleute.
Daraus lässt sich schließen, dass die beiden „erfolgreichen“ Messungen ebenfalls Zufallstreffer waren.
Auf einem ruhigen Ankerplatz auf einer großen
Yacht habe ich auch zusammen mit einem französischen Langfahrtsegler (der
vorher unter Jaques Cousteau Kapitän auf dessen Calypso war) mittels
Libellensextant höchster Qualität unter besten Messbedingungen (Sonne,
untertags) Probemessungen genommen. Sie lagen alle falsch. Und zwar nicht um
fünf oder 10 Meilen, sondern gleich um hundert Meilen. Ich hab auch an Land mal
probeweise versucht, aus der Hand(!) mit einem Libellensextanten zu genauen
Messungen zu kommen - vergeblich.
Vielleicht brächten Sie, Herr Kaiser, -
wie im WWII die Bomberpiloten - im Airbus im ruhigen Flightlevel 350 eine vertretbare Messung zusammen, es
ist jedoch ausgeschlossen, mit Hilfe eines Libellensextanten auf einer lebhaften Yacht zu einer einigermaßen brauchbaren
Gestirnsmessung zu kommen.
Mit freundlichen Grüßen!
Bobby Schenk
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