YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk antwortet


Sehr geehrter Herr Daurer,

nachdem es nunmehr mehr als fraglich geworden ist, ob das europäische Satellitensystem GALILEO jemals kommen wird, die Hochseesegler also ohne Backup neben dem GPS-System dastehen und somit die Astronavigation immer noch up-to-date ist, wäre es natürlich faszinierend, astronomische Navigation ohne einen teuren Sextanten praktizieren zu können.

Ihre Idee ist tatsächlich faszinierend, doch, Sie wissen es selber, in der Praxis nicht auszuwerten. Das Problem liegt bei der Lichtbrechung. Wir kennen das alle aus unserer Kinderzeit: Wenn wir einen Speer oder Stock nach einem Fisch werfen, dann treffen wir nicht (die Eskimos schon), weil der Fisch nicht dort steht, wo wir ihn sehen. Zwar ist die Lichtbrechung durch das Medium Wasser ungleich wirkungsvoller als die Lichtbrechung durch Luftschichten, aber im Prinzip handelt es sich um das gleiche Phänomen.

Bei der Winkelmessung zwischen einem Gestirn und dem sichtbaren(!) Horizont mittels Sextant in der astronomischen Navigation haben wir es mit dem gleichen Effekt zu tun, denn auch hier durchlaufen die Lichtstrahlen mehrere Medien. Denn, ausgehend vom Gestirn, verläuft der Lichtstrahl zunächst durch den luftleeren Raum der Atmosphäre, um dann in die Luftschichten einzudringen. Ja, die Mehrzahl ist richtig, denn es handelt sich hier tatsächlich um mehrere Schichten, die sich durch den Luftdruck,  - je nach Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt - unterscheiden. Die dadurch verursachte Lichtbrechung hängt aber im wesentlichen vom Einfallswinkel der vom Gestirn ausgehenden Strahlen ab. Ich glaub, das leuchtet ein: Haben wir ein Gestirn im Zenit, also genau über uns, dann kann die Lichtbrechung vernachlässigt werden. Wenn nicht, muss sie  - rechnerisch - berücksichtigt werden. Und je flacher der Lichtstrahl einfällt, je größer ist die Strahlenbrechung des vom Gestirn ausgehenden Lichtes. Beim Sonnenuntergang haben wir es also mit einem Extremfall zu tun. 

Die Frage bleibt: Kann man diese extreme Lichtbrechung rechnerisch so in den Griff bekommen, dass man tatsächlich den beobachteten Winkel Gestirn - Kimm mit 0 Grad und 0 Minuten angeben, also die dazu gehörige Uhrzeit (UT1) ablesen kann? Die Antwort haben Sie sich schon selbst mit einem "Nein" gegeben. Die Lichtbrechung zum Sonnenuntergang (selbstverständlich auch beim Sonnenaufgang) ist viel zu extrem, als dass man sie rechnerisch mit der erforderlichen Genauigkeit, also wenigstens auf eine oder zwei Winkelminuten, in den Griff bekommt. Ist die Sonne bei jedem Sonnenuntergang scheinbar riesig groß und dunkelrot? Eben! Manchmal sinkt sie gelblich und gänzlich unspektakulär klein unter den Horizont.

Man hat früher übrigens versucht, die Beschickung der Sonne in ihrer Genauigkeit zu steigern, indem man auch den Luftdruck und die Lufttemperatur mit in die Rechnungen einbezog - ohne nennenswerten Erfolg. Weil dadurch ja nichts über die physikalische Beschaffenheit der äußeren Luftschichten ausgesagt wurde. Praktiker weisen auch immer wieder darauf hin, dass niedrige Winkel - eben aus diesen Gründen - in der astronomischen Navigation nicht verwendet werden sollen. Aus diesem Grund hab ich auch bei der Programmierung meiner verschiedenen Computerprogramme darauf verzichtet, Winkel unter 14 oder 15 Grad zuzulassen. Grund: In der Praxis zweifelhafte und unberechenbare Lichtbrechung. Tatsächlich habe ich es des Öfteren erlebt, dass ich bei bestem Wetter und scheinbar(!) einwandfreien Messbedingungen höchst zweifelhafte Winkel gemessen habe, die - geschätzt - um bis zu 10, 15 Meilen daneben lagen.

In einem lässt sich aber der Sonnenuntergang ganz gut verwenden, auch wenn heute ein solche Notwendigkeit nicht mehr besteht. Früher, in der Zeit vor dem GPS, wurde der Zeitpunkt des Sonnen-Auf - und Unter-Ganges dazu verwendet, um die Deviation des Kompasses zu kontrollieren. Denn bei der Richtungsberechnung zur Sonne (Azimut) kommt es auf einige Zeitminuten nicht an. Außerdem ist das Azimut von der Lichtbrechnung (die sich in der Praxis nur vertikal auswirkt) nicht betroffen. Zu diesem Zweck enthielten viele Navigationsunterlagen auch Tafeln, aus denen man das Azimut beim Sonnen untergang direkt abesen konnte.

Aber auch diese Methode ist heute, wo man praktisch für jeden Zeitpunkt des Tages, also nicht nur für den Unter- oder Aufgang, das Azimut der Sonne mittels Computer blitzschnell ausrechnen kann, überholt.

Handbreit!

Bobby Schenk

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