YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk antwortet


25.05.2010

Sehr geehrter Herr Meßthaler,

einen Punkt haben Sie vergessen zu erwähnen: Nach der von Ihnen geschilderten Berechnung können Sie die Schiffsbreite nur dann bestimmen, wenn Sie die Sonne zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt gemessen haben. Nämlich dann, wenn die Sonne kulminiert, also auf dem höchsten Punkt Ihre Bahn steht, wenn also der gemessenen Winkel am größten ist. Hierzu benötigen Sie keine Zeit, denn Sie brauchen nur zu warten, bis die Sonne nicht mehr steigt, scheinbar für ein paar Minuten "still" steht und anschließend wieder sinkt. Was man im Fernrohr des Sextanten ganz gut feststellen kann.

 

Und nach genau dieser Methode haben die Seefahrer vergangener Zeiten, auch Kolumbus, ihre geographische Breite bestimmt. Dazu haben die, genau wie Sie, die sogenannte Deklination (nichts anderes als die geographische Breite der Sonne) aus nautischen Tafeln herausgesucht.

Denn schon dreißig Jahre vor der Amerikafahrt des Kolumbus gab es Tafelwerke (zum Beispiel von einem gewissen Regiomontanus), aus denen man die Deklination der Sonne herauslesen konnte. Diese zu erstellen war nicht besonders schwer, denn man konnte die Sonne ja über Jahre hinweg, von bekannten Orten aus beobachten und die Beobachtungen hochrechnen und in Tafeln festlegen.

Also, es war kein Kunststück, mittels eines Winkelmessinstrumentes (Astrolabbium, Oktant, Sextant) den größten Winkel der Sonne über dem sichtbaren Horizont (=Schiffsmittag) zu messen und daraus die geographische Breite zu errechnen, Das war die legendäre Mittagsbreite. Was anderes Brauchbares aus Gestirnsbeobachtungen zu erkennen war nicht möglich, insbesondere konnten die Nautiker vor dem 18. Jahrhundert die geographische Länge ihrerer Schiffsposition nicht bestimmen, wenn man mal von der mehr als ungenauen Art der Koppelei absieht. Bei letzterer hat man die zurückgelegte Wegstrecke und den Kurs in die Karte eingetragen und daraus auf die Länge geschlossen. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass man, je nach Fortgang der Reise so kaum noch zuverlässige Schlüsse auf die Schiffsposition und damit auf die gesographische Länge ziehen konnte. Zumal die damalig verwendeten Instrumente - Kompass und Logge - ja auch bei weitem nicht mit den heutigen Präzisionsinstrumenten zu vergleichen waren - und der Strom überhaupt nur annähernd geschätzt werden konnte. 

Was war der Grund für die fehlende Möglichkeit, die geographische Länge mit Hilfe von Gestirnen, also fast ausschließlich mit der Sonne, zu bestimmen? Genau, man hätte die genaue Zeit an Bord benötigt. Denn nur dann hätte man feststellen können, wie lange die Sonne gebraucht hat, um von Greenwich bis zur geographischen Länge des Schiffsortes (also dort auf ihrem höchsten Stand) zu kommen. Aber die hierfür benötigte sekundengenaue Zeit gab es auf einem Schiff, das zum Beispiel wochenlang über dem Atlantik unterwegs war, nicht.

Die Länge zu bestimmen, ohne im Besitz der genauen Zeit zu sein, glich dem Versuch der Alchimisten, Gold zu machen. Was schließlich zur bekannten Geschichtsepisode geführt hat, worin die englische Krone einen hohen Geldpreis für denjenigen auslobte, der eine ausreichend genaue Uhr bauen würde. "Ausreichend" hieß ein paar Sekunden Ungenauigkeit in ein paar Monaten, also in etwa die gleiche Exaktheit, die heutige Quartz-Uhren (oder auch "Chronometer") bringen.

Die Geschichte des John Harrison "Longitude", der schließlich nach einem lebenslangen Trachten die genaue Uhr gebaut hatte, nämlich die "Harrison Nr.4" (siehe Foto - entnommen aus Schenk, YACHTNAVIGATION),  und damit die Lösung der Längenbestimmung gefunden hatte, damit das "größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit" gelöst hatte, gehört zu den faszinierendsten Episoden der Weltgeschichte. Wer sich näher dafür interessiert kann online im YACHT-Archiv stöbern und wird in Heft 25 aus dem Jahr 1978 meinen Artikel über die Chronometer des John Harrison finden - hier klicken!  

Erst viel später erschien hierzu der Bestseller "Längengrad".

Mit frdl.Grüßen

Bobby Schenk

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