Besucher fragen, Bobby Schenk antwortet


26.03.16

Hi Michael,

zunächst einmal finde ich es ganz beachtlich, dass Du Dich als "alter Hase" hier wegen eines sogenannten Anfängerfehlers derart outest. Respekt!

So etwas kann doch jedermann passieren. Wenn die Bedingungen optimal sind (Wetter, Grund), warum sollte man nicht mal versuchen, an die Grenze des - vermeintlichen - Tiefgangs zu gehen.

Leider hast Du nicht geschrieben, wie Du mit dem Motorbootfahrer klargekommen bist, aber ich nehme an, dass der andere Skipper sich gefreut hat, einem Segler aus der Patsche zu helfen.

Mich erinnert diese Geschichte an den von der YACHT veranstalteten Wettbewerb "Skipper des Jahres", wo ich zusammen mit Christoph Schumann und dem Leiter der Yachtsportschule Glücksburg, Atze Lehmann Schiedsrichter war. Die Aufgabe war, die 60-Fuß-Schulyacht unter Segel frühmorgens bei wenig (ablandigem) Wind abzulegen. Christoph und ich flüsterten uns die "Musterlösung" zu, aber Atze, der Hüter der Seemannschaft, quasi der Segelpurist par excellence, schlug vor, der Prüfling solle doch dem Motorbootfahrer, der gerade aus dem Hafen auslief, eine Schachtel Zigaretten anbieten, damit dieser mit Leinenhilfe den Bug der Yacht vom Steg wegdrehen möge. Optimal! Und keinem ist ein Zacken aus der Seglerkrone gebrochen.

Die Lehre hieraus:

Gerade nach dem Aufkommen gibt es - wie in vielen Situationen beim Fahrtensegeln - keine allgemein gültige Methode, wie man wieder klarkommt. Ich bin überzeugt, dass Du mit Deiner riesigen praktischen Erfahrung, wenn Dir nicht der freundliche Helfer dazwischengekommen wäre, schon die erfolgversprechende Methode gefunden hättest, um wieder ins tiefe Wasser zu kommen, als da sind:

Mit der Maschine rückwärts die Yacht runterzuziehen, wird wohl jeder nach einem solchen Missgeschick als erstes ausprobieren. Doch selten funktioniert das, denn nach dem Aufkommen ist doch die Situation so, dass der Tiefgang der Yacht größer ist als die Wassertiefe unter der Wasserlinie. Somit werden alle Manöver nur dann erfolgversprechend sein, wenn es der Besatzung gelingt, den Tiefgang zu verringern, oder eben die Wassertiefe unter der Yacht zu vergrößern. Es leuchtet ein, dass letztere Methode meist nur dann Erfolg hat, wenn sich die Yacht im Tidengewässer befindet und den richtigen Zeitpunkt abwarten kann. Der Tidenhub braucht nicht gewaltig sein, ein paar Zentimeter können da schon ausreichen. So kann, wenn es die Wetterumstände zulassen, schon ein Abwarten auf das nächste Hochwasser von ein paar Stunden Hilfe bringen. Dass diese Methode nicht funktionieren kann, wenn man bei Hightide, bei Vollmond aufgerauscht ist, dürfte einleuchten. Dies ist dieser dreißig Meter langen Yacht in den Tuamotus, fernab aller menschlichen Hilfemöglichkeiten passiert. Der (kleinen) Besatzung wird viel Arbeit bevorstehen, siehe unten!

Tiefgang verringern hast Du ja, vergeblich ausprobiert. Wie man leicht zeichnerisch darstellen kann, reichen ein paar Grad Krängung nicht, um eine wesentliche Verringerung des Tiefgangs zu erreichen. Unter 20 Grad braucht man es gar nicht zu probieren. Und zwanzig Grad Krängung erzeugen, ist mit Bordmitteln ohne Windunterstützung gar nicht so leicht. Versucht man das mittels Fall zum Masttopp und weit ausgebrachten Anker (mit Trosse!), dann wird man feststellen, dass das oft nicht funktioniert, weil das vom Masttopp kommende Fall auf den Anker einen ungünstigen Zugwinkel ausübt, sodass der Anker viel zu früh freikommt und nichts mehr hält.

Gleiches gilt für die oft empfohlenen Methode, den mit der Dirk gehaltenen Großbaum querschiffs auszubringen und dort an der Nock die Mannschaft (wie viele?) zu platzieren. Aber einen Versuch ist es wert, weil der Aufwand vergleichsweise gering ist.

Die bessere, doch aufwändigere Methode dürfte immer sein, durch Reduzierung des Yachtgewichts den Tiefgang zu verkleinern. Setzt man die Mannschaft auf dem Urlaubstörn ins Beiboot, gewinnt man so schon ein paar Zentimeter, was viel ist, wenn man dies per Krängung erreichen möchte. Dass eine der ersten Maßnahmen dabei sein wird, sich des Ankergewichts (plus Kette) zu entledigen ist einleuchtend, allerdings ist es nicht ganz einfach, die Kette loszuwerden, denn mit Ausrauschen ist nichts wegen der Wassertiefe von ein oder zwei Metern.

Als nächstes, wenn keine Hilfe von außen kommt, wird man wohl daran gehen müssen, die Yacht weiter zu erleichtern. Hierzu wird man sich zunächst des Trinkwassers entledigen, was ja nach Größe und Zustand der Yacht schon mal eine Tonne weniger Ballast bringen könnte. Bei den Strandungen unsere großen Brüder, also in der Berufsschifffahrt übt man das regelmäßig, indem der Treibstoff und die Ladung auf Leichter umgeladen wird.

Man sieht schon, die Ideallösung für solche Fällte gibt es nicht, fast immer ist die Kombination mehrerer Methoden nötig. Da ist Hilfe von außen immer willkommen, wenn man vorher(!) sich über die Bedingungen und Gegenleistungen ausgesprochen hat, was insbesondere dann dringend zu empfehlen ist, wenn es sich beim scheinbar freundlichen Helfer um einen Mann aus der Berufsschifffahrt handelt.

Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel

wünsche ich Ihnen besonders

Bobby

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