Besucher fragen, Bobby Schenk antwortet


Guten Tag,

Ihre Frage ist durchaus berechtigt, denn selbstverständlich möchte man sich auf eine bevorstehende Weltumsegelung in erster Linie in puncto Sicherheit vorbereiten. Und das Thema "Treibanker" gehört ganz allgemein und "Para-Anker" im Besonderen zu diesem Themenkreis.

Eines vorweg: Da Sie sich offensichtlich für einen Lagoon-Katamaran entschieden haben, werden Sie, so vermute ich mal, eine Weltumsegelung nicht in den südlichen Breiten, also in den Roaring Fourties durchziehen, sondern im Wesentlichen den Äquator entlang, auf der "friedlichen" Passatroute. In dieser Gegend ist mit ausgewachsenen Stürmen nur extrem selten zu rechnen, wenn Sie nicht in der Hurricane-Season in den gefährdeten Gewässern herumsegeln. Ich habe jedenfalls dort noch keinen "gale" erlebt, bei dem ich einen Treibanker, und das ist ja der von Ihnen ausgesuchte Para-Anker, vermisst hätte.

Treibanker für Yachten sind out! Oder besser gesagt, sie waren noch nie "in"!

Es ist schon richtig, dass man praktisch in jedem älteren Segelbuch eine schöne Strichzeichnung von einem Treibanker findet, gelegentlich begegnet Ihnen auch so ein Ding in einem Seefahrts-Museum. Ja, es gab sogar mal ernsthaft geführte Diskussionen, ob man seine Yacht mit dem Bug zur See oder aber mit dem Heck, also in Fahrtrichtung hinhängen soll.

Graue Theorie: Ich kenne keine Yacht, die auch nur ein einziges Mal einen Treibanker eingesetzt hat, ja kaum jemanden, der so ein Ding auch nur besessen hat.

Diejenigen, die damals den Treibanker ins Spiel brachten, hatten garantiert damit keine eigenen Erfahrungen in einem schweren Sturm . Und wenn, dann stand auf größeren Schiffen dem Kapitän auch eine zahlenmäßig große Mannschaft zur Seite.

Den Leuten und Weltumsegelträumern hat natürlich die Vorstellung gefallen, sein Schiff an so einen Treibanker hinzuhängen und gemütlich den Sturm am Messetisch oder in der Koje abzuwettern. Die Wirklichkeit auf einer Yacht sieht aber ganz anders aus:

Fakt ist, dass ich keinen Treibanker je besessen, einen solchen nie in der Hand gehabt habe.

Es gibt viele Theorien, wie eine Yacht einen Sturm abwettern soll. In Falle des Falles werden Sie sich kaum Gedanken darüber machen, obwohl ich bezweifle, dass Sie jemals in einen richtigen Sturm geraten werden. Kommt der Starkwind aus der Zielrichtung, das ist der ungünstigste Fall, dann werden Sie mit zunehmender Windstärke feststellen, dass Sie nicht mehr gegenan gehen können - nicht mit der Maschine und erst recht nicht unter Segeln.

Dann kommt der Moment, wo ein gemütliches Beidrehen nicht mehr anzuraten ist. Fortlaufend werden Sie die Segelfläche reduzieren - Ihr Gefühl und Ihre Nerven sagen Ihnen schon, wann dafür Zeit ist. Wenn Sie die Situation noch nicht als allzu gefährlich ansehen, sollten Sie bedenken, dass Ihr Windmesser wahrscheinlich den relativen (Bord-)Wind anzeigt, wobei Sie die Fahrt Ihrer Yacht hinzuzählen müssen, um die richtige Windstärke zu ermitteln. Und die müsste schon erheblich sein: > 45 Knoten.

Nimmt der Wind, und nunmehr auch der Seegang weiter zu, werden Sie bald weit über der Rumpfgeschwindigkeit übers Wasser fliegen, auf einem Katamaran, auch auf einem Fahrtenkatamaran mit achterlichem Sturm sowieso. Diese Rauschfahrt, mit gelegentlichem Runtersurfen einer flächigen See wird Ihnen langsam unheimlich, zumal der Bug Ihrer Yacht immer tiefer ins Wasser einschneiden wird und Sie sich langsam Gedanken machen sollten, einen Überschlag nach vorne in jedem Fall zu vermeiden. Wie aber können Sie die Rauschfahrt reduzieren? Das geht nun mal nicht anders, als Gegenstände nachzuschleppen, die die nötige Bremskraft ausüben können. Das wäre nun der Moment, wo Sie an einen Treibanker denken. Und diese Gedanken wahrscheinlich gleich wieder verwerfen.

Jetzt wird man gar nicht mal mehr darüber nachdenken, den Treibanker am Bug zu befestigen. Denn wie soll man denn seine Yacht abdrehen, ohne für einige Zeit breitseits dem Wetter ausgeliefert zu sein? Aber auch übers Heck den Anker auszubringen, verbietet sich fast, denn Sie würden gar keine Regelmöglichkeiten für den Zug am Heck haben. Entweder ist es dann Ihre Yacht zu sehr im Griff der See oder die Speed geht nicht unter die Rumpfgeschwindigkeit.

Auch andere Möglichkeiten, die früher in jedem Lehrbuch ihren Niederschlag gefunden haben, werden Sie erst gar nicht in Erwägung ziehen. Da wäre beispielsweise der Ratschlag, die Wellen zu besänftigen, indem Öl über Bord gegeben wird. Unabhängig davon, dass man sich den hysterischen Zorn von angeblichen Umweltschützern zuzieht, ist diese Methode höchstens für ein paar Momente wirkungsvoll, dann ist man aus der öligen Fläche schon wieder draußen.

Was Sie und sicher auch andere erfahrene Yachties wahrscheinlich nun in dieser Situation unternehmen werden, ist das Nachschleppen von Leinen (zum Beispiel:Ankertrosse). Reicht das noch nicht, können Leinen und Trossen in Buchten nachgeschleppt, den Fahrtwiderstand erheblich erhöhen. Manche Yachtsleute haben für diesen Zweck auch Autoreifen an Bord, positive Erfahrungswerte fehlen aber hier. Wobei sicher das Einholen des nachgeschleppten Gegenstands schwierig bis ziemlich unmöglich wird, solang sich das Wetter nicht total beruhigt hat.

Das gilt auch für den Para-Anker - trotz der gegenteiligen Werbung, nach der mittels Reihleine an der Spitze der Kappe das Bergen kinderleicht vor sich geht.Da habe ich, auf Grund praktischer Erfahrung, große Bedenken. Eines Nachts ist bei unserem Kat das Fall gebrochen, an dem der Parasailor gehangen hatte. Obwohl wenig Wind und noch weniger Seegang herrschte, dauerte es Stunden, bis eine vierköpfige Crew das stark ramponierte Zeugs wieder an Bord hatte.

Sie sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo sich die Erfahrungen mancher Yachtsleute, die in wirklich schwieriges Wetter geraten waren, praktisch widersprechen. Die einen plädieren für ein weiteres Ablaufen vor dem Sturm mit Widerstand achtern.

In einem der schönsten Segel-Literaturstellen lasse ich den großen Franzosen Bernard Moitessier zur anderen Alternative in dem alten Buch "KAP HORN - DER LOGISCHE WEG" zu Wort kommen, nachdem er lange Zeit im Sturm seines Lebens in den brüllenden Vierzigern Leinen und anderes Zeugs am Heck seiner Stahlyacht Joshua nachgeschleppt hatte, aber dabei immer wieder harte Schläge von den nachfolgenden Seen abbekommen hatte:

Moitessier und seine damalige Frau ritten diesen harten Sturm erfolgreich ab und erreichten nach einer Fahrtzeit von vielen Monaten nonstop von Tahiti aus ihr Ziel Alicante/Spanien.

Es gibt, und das leuchtet auch ein, ganz wenige Erfahrungsberichte zum Treibanker-Einsatz. Der große Eric Hiscock benutzte ihn einmal. Sein Urteil war vernichtend: "Wenig wirkungsvoll, und kaum zu bergen" . Dabei war sein Schiff WANDERER III kaum 10 Meter lang.

Den Para-Anker kenne ich nur aus der Werbung, da schaut das ja sehr schön aus, wie man den Fallschirm sozusagen an einer Reihleine zum Fallschirm-Kapperl wieder aus dem Wasser rausfingern kann. Bei Ihrem Katamaran müsste aber die Befestigung ausserordentlich stark sein, denn Sie haben dieselben Zug-und Ruckprobleme wie beim Ankern, allerdings noch ekelhafter, weil der Anker am Heck ausgebracht wird.

Nicht ein einziger meiner Bekannten besitzt diesen Treibanker. Deshalb verfüge ich auch nicht über deren Berichte. Auch ansonsten ist im Internet kaum was darüber zu finden, bis auf einen Erfahrungsbericht, wo eine ältere Besatzung sich sehr lobend über diesen Treibanker ausgelassen hat. In einer Gegend im Passatgebiet, wo ich noch nie mehr als sechs oder sieben Windstärken erlebt habe, wollen die Leutchen mit Hilfe des Para-Ankers insgesamt sieben "Stürme" gemütlich abgewettert haben.

Macht das nicht nachdenklich?

Beste Grüße

Bobby Schenk

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