Besucher fragen, Bobby Schenk antwortet
Hallo Jürg,
Sie schneiden ein Thema an, mit dem die allermeisten Segler, vor allem im Mittelmeerraum im Urlaub, beinahe täglich konfrontiert werden. Und es wird immer schlimmer.
Einst, vor vier oder fünf Jahrzehnten, war "mare nostrum" so riesengroß, dass man sich freute, wenn man einen Ankerplatz mit einem anderen Yachtkameraden teilen durfte.
Das waren die Zeiten, als das Segeln in Italien, im damaligen Jugoslawien und später auch in Griechenland noch nicht von den Einheimischen als prächtige Einnahmequelle entdeckt worden war und eine Charterindustrie, wie wir sie heute erleben, bis auf ein paar private Yachten im italienischen Raum, die gegen wenig Entgelt verliehen wurden, noch nicht existierte.
Dann haben die Einheimischen, allen voran die Kroaten, die Urlaubssehnsucht von Yachtbegeisterten aus Deutschland, Österreich und Frankreich als vorzügliche Einnahmequelle begriffen. Man kann es ihnen nicht verdenken, aber für uns Segler hat sich seitdem vieles verändert - nicht alles zum Guten. Früher nicht vorstellbar, haben die Gastländer begonnen, die Yachten, die ja Geldbringer sind, in bestimmte Gebiete zu verscheuchen, damit dort "Geld fürs Übernachten" abkassiert werden kann. Schlimmer noch, an manchen Orten wurden Murings ausgelegt, um noch mehr Yachten zu diesen Plätzen zu locken, wobei man für die Murings eine Extra-Miete verlangen kann, obwohl dieses "Ankergeschirr" manchmal von zweifelhafter Qualität und Dimension ist. Genaugenommen müßte man die Muring per Tauchgang auf ihre Dimenson checken, was schon große Sportlichkeit voraussetzt.
Im Gegensatz zu heute war früher, wer weiß das nicht?, alles viel besser, auch das Ankern. Man suchte sich im Handbuch einen schönen Platz aus, fuhr abends in die Bucht und ließ den Anker fallen mit ausreichender Kette, also der fünffachen Wassertiefe oder auch mehr, je nach Qualität des Ankergrundes und den Windverhältnissen.
Heute ist es dort , vor allem zur Ferienzeit, fast nicht mehr möglich, nach den Geboten der Seemannschaft zu ankern. Das liegt auch am Publikum, an der Rücksichtslosigkeit mancher Segler und auch am mangelhaften Können mancher Urlaubssegler. Wo sollte er es denn auch gelernt haben, wenn er nur zwei Wochen im Jahr auf dem Meer segelt?
Genaugenommen, wiederum nach seemannschaftlichen Gesichtspunkten, sollte es so sein, dass der Skipper unter dem Schutz der Küste einen geeigneten Ankerplatz aussucht, je nach Windstärke und möglichem Seegang nach dem Fallen des Ankers Kette steckt. Auch hier der Hinweis von zahlreichen Weltumseglern, dass die in der Segelprüfung abgefragte "dreifache Wassertiefe" nur in extremen Ausnahmefällen vielleicht richtig sein könnte. Eines ist klar, je länger die Kette, umso sicherer hält der Anker. Aber man kann es natürlich auch übertreiben: Ich hab in der Türkeit eine Gulet erlebt, die am Ankerplatz sicher eine hundertfünfzig Meter lange Kette durch das Ankerfeld gezogen hat.
Wenn dann der Wind dreht, wenn er sogar aus der entgegengesetzten Richtung von den Bergen herunterpfeift, dürfte es für andere Ankerlieger kein Problem geben, wenn diese nach den gleichen seemannschaftlichen Regeln geankert, sprich mit größtem Abstand zu den benachbarten Ankerliegern.
Und da beginnen die Probleme, die Sie ansprechen. In den allermeisten Fällen muss mit Winddrehungen während des Ankersn gerechnet werden, was bei richtiger Dimensionierung des Ankergeschirrs eigentlich kein Problem sein sollte. Aber es lässt sich für solche Fälle leicht skizzieren, dass daraus der notwendige Schwojkreis an Fläche enorm zunimmt, rein rechnerisch ist das ein Kreis mit der doppelten Kettenlänge als Durchmesser. Im Idealfall! Denn wenn beim Schwojen der Anker aus dem Boden rausgedreht wird, worauf die Yacht unter dem Winddruck den Haken noch sicher ein paar Meter über den Grund schleift, bevor er wieder zubeißt, vergrößert sich der Drehkreis dann erheblich.
Solche Verhältnisse, dass alsoder Ankerlieger so eine riesige kreisförmige Fläche zum Liegen vorfindet, gibt es heute praktisch nicht mehr, es sei denn, er segelt bei schönem Wetter schon um die Mittagszeit auf den Ankerplatz. Und dann werden über kurz oder lang eine oder mehrere Yachten hereinkommen, die sich in den so sorgfältig berechneten Schwojkreis legen.
Es gibt heute selbstverständlich auch noch manche Kameraden, die sich einem knapp vor die Nase oder gleich am Heck setzen und darauf vertrauen, dass bei einer Winddrehung sich beide Yachten gleichzeitig drehen, sodass halt der Hecklieger plötzlich voraus liegt. Theoretisch richtig!
Die Realität sieht anders aus. Je nach Schiffstyp und Windfang schwojen Yachten am Ankerplatz recht unterschiedlich, ein Katamaran wegen des hohen Windfangs und des niedrigen Tiefgangs schneller als ein Mono, sodass es leicht zu einer Berührung - und damit zu einem durchaus größeren Schaden kommen kann.
Normalerweise finden sich auf beengten Ankerplätzen in der Praxis nicht nur "gelernte" Yachtsleute ein, sondern auch Urlauber, die wenig Erfahrung im Ankern haben. Vercharterer prüfen ja nicht praktische Fähigkeiten, sondern begnügen sich allein aus versicherungstechnischen Gründen mit der Vorlage eines - für die Praxis wertlosen - Sportbootführerscheins. Das ginge noch an, aber es gibt Menschen, nicht allzu wenige, die sich um die Interessen anderer einen Dreck scheren, schließlich ist man ja gut versichert und die Skipperhaftplicht, die Kautionsversicherung, sorgt dann schon dafür, dass nach einem Schaden kein Cent an der rücksichtlosen Mannschaft hängenbleibt.
Selbstverständlich gibt es auch die Möglichkeit, seine Yacht in eine bestimmte Richtung zu legen und dabei das Schwojen um die eigene Achse zu vermeiden. Wenn es die Gegebenheiten vor Ort zulassen, kann man beispielsweise eine Landfeste ausbringen - an vielen Ankerplätzen die Regel, vor allem in der Türkei - siehe oben. Letztlich kann man einen zweiten Anker am Bug in einem Winkel von 30 bis 50 Grad ausfahren, dann verkleinert sich der Schwoj-"Kreis" zu einer etwas platzsparenderen Ellipse. Unter diesem Gesichtspunkt ist es noch besser, eine Landfeste oder einen Heckanker auszufahren (siehe unten), womit ein Schwojkreis praktisch nicht mehr vorhanden ist. jedenfalls in der Theorie. In der Praxis, selbst wenn alle Ankerlieger das mitmachen würde sich das bei starkem Wind nicht durchführen lassen.
Das Stichwort heiß halt : "Rücksicht nehmen" - ja, Abstand halten.
Das klingt nach einer Illusion - zur Ferienzeit im Mittelmeer, vor allem in Kroatien, ist es da auch. Und Ist ein Ankerplatz überfüllt, muss man diesen eben notfalls wieder verlassen und sich einen anderen Übernachtungsort suchen. Nur - ehrlich - die meisten machen das nichtEher quetschen sie sich zwischen die Ankerlieger und beruhigen sich selbst, damit, dass der gleichmäßige Wind schon dafür sorgen wird, dass die Yachten nicht zusammenprallen. Wenn es besonders eng ist, sollte man sich für die Nacht mit dem Gedanken anfreunden, eine Ankerwache einzuteilen.
Sicher keine befriedigende Auskunft. Genaugenommen hat der zuerst Kommende das Recht, den notwendigen Schwojkreis allein für sich zu beanspruchen. Aber das ist graue Theorie und verursacht die meisten Streitigkeiten auf dem Ankerplatz. Viele Segel"freunde" werden einen Protestler auslachen und ihren Anker halt irgendwo reinschmeissen. Wer auf solche Konfrontationen verzichten möchte, muss sich an den Gedanken gewöhnen, einen Ankerplatz ebenfalls gegebenenfalls wieder zu verlassen. Wenn zur Hochsaison ein Hafen bis auf den letzten Platz belegt ist, wird man sich ja auch fügen müssen, also weiter segeln.
Eine nicht ganz feine Methode, seinen(!) Schwojkreis zu "schützen" ist, eine Boje in nicht allzu weiter Entfernung von der Yacht auszubringen (Fender mit Bleigewicht oder Dingy-Anker dran). Aber wie kann ein kleiner Fender eine große Yacht abhalten, sich einfach darüber zu legen? Nun, so eine Boje sieht harmlos aus, ist aber beim Neuankömmling gefürchtet, denn die Leine mit der Schiffsschraube einzufangen, möchte er sich bestimmt ersparen. Das sehen selbst unbedarfte Urlaubssegler ein.
Wer aber am Anfang der Ankertechnik steht, dem seien die Ankererlebnisse der deutschen Weltumseglerin Mareike Guhr ein Trost, wie hier nachlesbar ist.
Sie sehen, dass Ankern keine Null-acht-fünfzehn-Tätigkeit ist, sondern erlernt und vor allem geübt werden müsste, um mit allen Widerwärtigkeiten fertig zu werde16:06 04.12.2020n. So stur nach Vorschrift wie eine Wende oder eine Halse lässt sich das Ankern nicht durchführen - da ist mehr dahinter. In meinem Buch ANKERN gehe ich auf die meisten Probleme, die sich in der Praxis ergeben, weiter ein.
Hier gibt es das Buch ANKERN von Bobby Schenk zum runterladen - kostenlos.
Mast- und Schotbruch!
Bobby
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