Besucher fragen, Bobby Schenk antwortet


Atlantiküberquerung für erfahrene Fahrtensegler und Anfänger?

Lieber Segelfreund K!

Ich will mal vorwegnehmen: Eine Atlantiküberquerung von Ost nach West auf einer Segelyacht ist für jeden Segler, der das schafft, vielleicht der Höhepunkt seines ganzen Segellebens. Im Gespräch mit Freunden oder Landratten nebenher die Worte: „…bei meiner Atlantiküberquerung“ fallen zu lassen, das hat schon was.“

Wenn man sich aber als erfahrener Küstensegler fragt, ob man mal den Atlantik überqueren soll oder zur Erfüllung einer Lebensaufgabe „muss“, dann sollte man sich zunächst von den romantischen Gedanken losreißen und nüchtern hinterfragen, wie gefährlich, anstrengend und gesundheitsschädigend die Passage über den großen Ozean ist.

Für Segelschiffe ist seit jeher die klassische Passage von den Kanarischen Inseln nach Westindien, also zur nächsten Insel, Barbados oder weiter drinnen in Küstennähe wie St. Lucia. Außerdem erfolgt die Überquerung in dieser Gegend grundsätzlich von Ost nach West. Eine Passage von West nach Ost, also von Amerika nach Afrika, findet normalerweise nicht statt, zumindest sind mir nur missglückte Versuche bekannt. Warum ist das so?

Sie ahnen es schon: Es ist der Passat, genauer gesagt der Nordost-Passat, der ziemlich regelmäßig nördlich des Äquators bläst, fast immer friedlich. So einfach und freundlich dort das Windsystem zur richtigen Jahreszeit ist, also von Oktober bis ungefähr Ende Februar, so primitiv ist die Navigation, schon gar mit dem GPS in der Hand. Jeder kennt den Spruch, den man dem Skipper beim Ablegen zuruft: „Nach Süden halten, bis die Butter schmilzt, und dann rechts rum.“ Ein wenig übertrieben, aber im Großen und Ganzen stimmt es. Man segelt südlich, um in den Nordostpassat zu kommen, und dann nach Westen, so etwa 260° oder so, wenn man im Passat ist. Die Engländer nennen die Passatwinde Trade Winds, also Handelswinde, weil sie es Segelschiffen erst so richtig ermöglichen, rund um die Welt Handel zu treiben.

Keine Seekarten?



Wenn alles stimmt, der Passat also frühzeitig und konstant auf dem südlichsten Kurs bis Amerika durchsteht, dann ist der Atlantik die leichteste Ozeanpassage, noch leichter als die Anfangspassage im Südpazifik, nämlich von den Galapagos nach den Marquesas-Inseln, denn die ist noch 500 Seemeilen länger. Auch aus navigatorischen Gründen ist dieser Kurs kinderleicht. Es gibt dort keine Hindernisse wie Riffe, keine bedeutenden Strömungen und keine Verkehrsstraßen mit Reihen von Handelsschiffen. In meiner Anfangszeit schreckte uns unser Navigationslehrer mit der Feststellung, dass man für eine Atlantiküberquerung auf der Passatroute keine Seekarten benötigt, denn es reicht, wenn die Koordinaten von Startpunkt (Kanarische Inseln) und Ziel (Barbados) vor dieser Passage bekannt sind. Siehe oben die Karte von Google Earth!

Offensichtlich ist hier die Strecke entlang des Äquators nach Westen gemeint. Freilich, so einfache Verhältnisse gelten für den Normalfall. Sicher wird man die "hurrikansichere Zeit" auswählen, aber heutzutage kann man sich nicht mehr so wie früher darauf verlassen, dass eben zu "sicheren" Zeiten kein Hurrikan oder ein stärkerer tropischer Zyklon auftritt – dem El Niño sei Dank. Wenns gut geht, und das ist immer noch die Regel, dann finden viele so eine Atlantikpassage langweilig, manche genießen jede Passatminute. Meine Frau Carla (rechts)war vom Passatsegeln so begeistert, dass sie einfach "mal zur Gaudi" so eine Atlantiküberquerung (ohne mich) mitmachte.

Wandern über den Atlantik oder im Hetzmodus?

Dass Schiff und Mannschaft technisch und gesundheitlich in Ordnung zum großen Törn antreten, versteht sich von selbst. Bleibt die Frage, ob man alleine für sich die Passage angehen soll oder im Pulk mit einer der zahlreichen Rallys, die exakt die gleiche Strecke fahren, jedoch meist im Regattamodus?

Das ist Geschmackssache. Der wohl berühmteste deutsche Segler beantwortete meine Frage nach seiner Einstellung hierzu ziemlich schroff: „Ich bin keine Kuh!“ Was (gleichbedeutend) heißt, ich brauche keine Herde für meine Begleitung.

Viele schließen sich wegen des gesellschaftlichen Faktors gerne einer Flotte an und berichten meist von wunderbaren Erlebnissen, sei es von den Partys oder von persönlichen Empfängen am Steg beim Zieleinlauf. Nimmt man an einer Rally teil, wird man auch in den Genuss der „Abnahme“ der Boote kommen, denn letztlich ist der große Ozean nicht irgendein Bach, den es zu überqueren gilt. Doch diese technische Überprüfung der Schiffssicherheit werden die allermeisten bestehen. Der Alleinsegler ist dagegen auf seine Selbstkritikfähigkeit angewiesen.

Einige werden auch den Schutz der Flotte genießen wollen. Doch sollte man sich da nicht täuschen. Denn es ist keineswegs so, dass da meist ein ganzer Trupp von Yachten zusammen segelt, sondern die Erfahrung hat gezeigt, dass man meist schon nach einem Tag der Einzige im ganzen Umkreis ist. Natürlich kann die Länge des Törns beeindrucken. Denn wer noch nie eine Nacht durchgesegelt ist, muss sich erst daran gewöhnen, drei bis vier Wochen lang ermüdende Nachtwachen zu gehen. Wobei ich schon zugeben muss, dass es Mannschaften gibt, die ihr Rigg wie einen Christbaum beleuchten und dabei dann gut schlafen können.

Überwiegend achterlicher Kurs

Bei der Ausrüstung für die Atlantikpassage ist vor allem eines zu berücksichtigen: Der große Vorteil vom Segeln im Passat ist die ziemliche Gewissheit, den Wind über tausende Meilen ziemlich achtern zu haben, was ja kein Nachteil ist, wenn es um die Gemütlichkeit eines Törns geht. Allerdings sollte man sich dann mit seiner Segelgarderobe einigermaßen darauf einrichten. Denn wenn der Skipper das nicht beherzigt hat, wird er vor dem Wind gezwungen sein, Schmetterling zu segeln, oder eben seinen direkten Kurs nach Westindien (meist in der Gegend von 260°) nicht einhalten können. Außerdem lassen sich solche Kurse ganz schlecht mit der Windsteueranlage segeln, denn man wird immer ein paar Grad Steuerkurs verschenken müssen, um keine Halse zu bauen.

Abhilfe bieten spezielle Vorsegel wie Spinnaker, Parasailor oder Code Zero. Das bedingt aber wieder die Wachsamkeit des Rudergängers, denn Windsteueranlagen sind mit diesen Segeln oft überfordert. Eine altbewährte Lösung für diesen Kurs fast vor dem Wind sind Passatsegel, große Vorsegel zu jeder Seite ausgebaumt. Nimmt man dazu jedoch zwei Focks oder Genua und Fock, wird man insofern kaum zufrieden sein, als die Gesamtsegelfläche meist zu klein ist, weil ja der scheinbare achterliche Wind immer schwächer als der wahre Wind sein wird, um die Yacht zügig nach vorne zu segeln.

Ein wesentliches Argument für die Teilnahme an einer Rally darf nicht vergessen werden. Alle Segelmacher, Mechaniker, Elektriker usw. im Starthafen der Rally werden bis zum Start voll ausgelastet sein. Hat man dort als „wilder“ Segler zwar das Glück, einen Liegeplatz bekommen zu haben, wird man wohl bis zum Start der Rally keinen Segelmacher etc. auftreiben können, wenn man auf den Kanaren mit zerfetzter Genua angekommen ist.

Segelerlebnis fürs Leben

Sei's, wie es ist: Mit Sicherheit wird man die erste Ozeanüberquerung niemals in seinem Leben vergessen. Ein lieber Freund hat bei der Ankunft in Amerika seine Frau in den Arm genommen und ihr zugeflüstert: „Das ist jetzt unser Ozean“.

Letztlich: Vor 50 Jahren hat es noch keine Rallys über den Atlantik gegeben. Doch haben Überquerungen stattgefunden in kleinen Yachten, im Faltboot (Dr. Lindemann), im Schlauchboot (Dr. Bombard), auf einem floßbefestigten Tretbootmechanismus (Nehberg) oder auch im Ruderboot. Und die Abenteurer hatten noch keine Atlantikerfahrung. Sie werden aber schnell gelernt haben, wieviel Atlantiksegeln man schon auf den ersten Tagen auf dem Atlantik lernt. Kaum jemals ist etwas schief gegangen. Der Nordatlantik und der Passat sind nämlich die Freunde der Segler.



Aber schon mal vorweg, eine Atlantiküberquerung kann ermüdend sein!



Ich wünsch Dir für später: Smooth sailing!

Bobby

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