Besucher fragen, Bobby Schenk antwortet


Atlantiküberquerung für erfahrene Fahrtensegler und Anfänger?

Lieber Andreas,

die Frage zu beantworten, ist sicher lehrreich für viele Newcomer im Blauwassersegeln, obwohl ich Sie bei weitem nicht als Anfänger bezeichnen möchte. Ihre Mail zeigt vor allem, dass Sie sich durchaus der seemännischen Erfordernisse bewusst sind.

Immer noch gilt seemännisch in erster Linie, Gefahren nach Möglichkeit zu meiden. Vor allem eben beim Ozeansegeln, wo man nicht so einfach einen "Schutzhafen" anlaufen kann.

Sie wollen also als vorläufiges Ziel den Atlantik überqueren. Da sollten Sie sich überlegen, wo hier Risiken lauern können. Dabei müssen Sie nicht nur die Anfahrt, sondern auch die Atlantiküberquerung und die Ankunft in Westindien berücksichtigen. Man könnte auch fragen, wo der "Risikoflaschenhals" ist.

Die Antwort dürfte Ihnen leicht jeder etwas erfahrene Blauwassersegler geben!

Was ist – seemännisch gesprochen – das größte Risiko bei einer Weltumsegelung?

Es sind Wetterlagen, die auf offener See lebensgefährlich sind, also tropische Orkane. Es hat schon einen Grund, warum sich 90 Prozent aller Weltumsegelungen auf der Passatroute abspielen. Denn da lässt sich am besten die Hurrikansaison, die es rund um die Welt zu verschiedenen Zeiten gibt, vermeiden. Erst recht gilt das in den letzten Jahren (El Niño!), wo Hurrikane (tropische Orkane) vielleicht nicht viel häufiger, aber jedenfalls heftiger, also tödlicher geworden sind. Und die Gefahr von tropischen Orkanen besteht in Westindien von April bis Anfang Oktober. Nicht umsonst finden die Rallyes allesamt im Spätherbst (Oktober, November) statt, damit die Segler lange vor Beginn der Sturmzeit im Mai oder so in Barbados, St. Vincent, Martinique oder einem ähnlichen Ziel eintreffen.

Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie sind heute (ja heute am 2.7.2024) bei strömenden Regen und wechselnden Winden 80 Meilen vor Barbados und über Satellitentelefon holen Sie sich folgendes Bild aus dem Internet: Das zeigt, dass Sie Sie direkt in den Hurricane Beryl reinsegeln. Sie werden sich zunächst als Dummkopf beschimpfen. Dann werden Sie versuchen festzustellen, in welchem Quadranten des Orkans Sie sich befinden. Schön für Sie, wenn es der ungefährlichere ist. Vielleichth haben Sie dann noch eine gute Chance, aus dem Chaos unversehrt rauszukommen, wenn Sie sofort beidrehen. Wären Sie aber nur einen Tag früher unterwegs gewesen...

Die nächste Karte von heute schaut noch schlimmer aus. Denn sie zeigt, dass immerhin Windgeschwindigkeiten von 145 Miles per Hour herrschen können. Sie wissen ja, nach Bft sind 12 Windstärken (das ist der obere Rand der Bft-Skala) >63 Knoten. Also sind 126 Knoten jenseits von Gut und Böse. Jetzt spätestens zu diesem Zeitpunkt werden Sie sich fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, im Winter die Atlantiküberquerung durchzuziehen.

Und die von Ihnen genannten Herbststürme im Mittelmeer? Klar, die müssen ebenfalls ernst genommen werden, aber da gibt es einen entscheidenden Unterschied. Bei denen können Sie einen Nothafen anlaufen oder erst gar nicht auslaufen, während Sie, wenn Sie auf dem Atlantik von einem fürchterlichen Orkan getroffen werden, bevor Sie auf der anderen Seite des Ozeans sind, immer in tödlicher Gefahr schweben.

Also, für Ihre Planung ist es sehr zu empfehlen, im November oder Dezember auf den Kanaren startbereit zu sein. Letztlich gebe ich Ihrem Bruder recht: Es ist ratsam, zügig bis Almería durchzusegeln.

Es ist ja nicht so, dass die Herbststürme im Mittelmeer fortwährend blasen, sondern wenn überhaupt, nur zu Zeiten, die man durch sorgfältige Wetterbeobachtung gut einschätzen kann. Und im Gegensatz zum offenen Atlantik ist ein Schutzhafen nie weiter als eine Tagesreise entfernt.

Also gilt es für Sie, wie Ihr Bruder meint, sich bald vom schönen Mittelmeer loszureißen.

Bobby

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