Besucher fragen, Bobby Schenk antwortet
Segeln nach Südamerika - Risiko-Abwägung!
Sehr geehrter Herr Pilewski,
Noch vor ein paar Jahren hätte ich mich gewundert, eine solche Frage gestellt zu bekommen. Meine Antwort wäre gewesen: Segeln Sie nach den Kanaren und folgen Sie ganz einfach dem großen Tross (ARC!) nach Amerika. So ungefähr jedenfalls.
Aber heute tun sich zwei Hindernisse auf, die früher nicht denkbar waren.
Die Hurricanes, die rund um die Welt zeitweise stürmen, sind erheblich stärker, das heißt tödlicher, vielleicht auch häufiger geworden, was ernsthafte Klimaforscher dem Klimawandel zuschreiben.
Und dass sie nur zeitweise auftreten, heisst nicht, dass es ein Rezept gibt, 100%ig vor ihnen sicher zu sein. Es war schon immer so, dass Hurricanes ganz gelegentlich zu Unzeiten auftauchten – auch mit schlimmen Folgen. Als wir 1983 vom vermeintlich hurricanesicheren Tahiti nach Südamerika aufgebrochen waren, fiel ein fürchterlicher tropischer Orkan über die Gesellschaftsinseln her, der gigantische Schäden im Südseeparadies verursachte.
Vor Orkanen ist man niemals, auch nicht in „Hurricane-Holes“ sicher. Was man aber tun kann, ist, das Risiko möglichst nahe Null halten, und das funktioniert eben nur dann, wenn man die Wetteraufzeichnungen peinlich genau nach der wahrscheinlich hurricanefreien Saison als Informationsquelle nutzt und gefährdete Gegenden meidet. Der Altmeister, der große Eric Hiscock, ist schon mal im Juni zu einer Atlantiküberquerung aufgebrochen – und hat halt Glück gehabt. Irgendwie ist das so wie eine Kreuzung bei Rot überqueren und heil auf der anderen Seite ankommen. Ein solches Risiko würde ich heute keinesfalls eingehen, sondern streng von den Kanaren nach Südamerika in den Monaten November bis spätestens März absegeln.
Jetzt kommt das große ABER: Heute lauert auf eine Yacht, die von Deutschland nach dem Süden bis zu den Kanaren segeln möchte, eine andere, früher ganz und gar ungekannte Gefahr. Ja, es ist die Rede von Orcas.
Es gab immer schon Diskussionen über Kollisionen mit Walen, ganz gelegentlich mit Totalverlust der Yacht (zum Beispiel in der Galapagos-Gegend), aber niemand kam auf die Idee, anzunehmen, es habe sich um absichtliche Aktionen der Tiere gehandelt.
Heute ist das anders. Das Problem trägt viele Fragezeichen, aber eines ist sicher, weil statistisch bewiesen: In der Biskaya und gelegentlich bis runter nach Gibraltar hat es derart viele Auseinandersetzungen mit Walen, teilweise mit Schiffsversenkungen gegeben, dass man von Zufällen nicht mehr ausgehen kann. Fragen Sie mich nicht, warum das so ist und warum das so urplötzlich vor ein paar Jahren begonnen hat. Niemand weiß es und die wildesten Spekulationen über das aggressive, unerklärliche Verhalten dieser hoch-intelligenten Säugetiere treiben die Segler um. Tatsache ist nur, dass eben in diesen Gewässern (Biskaya) nicht selten Yachten von Orca-Weibchen (nur die sind die „Bösen“) angegriffen und auch versenkt werden. Bis jetzt allerdings, soweit bekannt ohne Todesfälle unter den Seglern.
Jetzt werden Sie fragen, wie man diesem Risiko zuverlässig aus dem Wege gehen kann. Wie Sie befürchten, lautet die Antwort: „Gar nicht“.
Sie lesen am besten mal durch, was ein richtiger Experte (nicht einer, der von der YACHT dazu ernannt wurde) zu diesem Thema geschrieben hat. Martin Birkhoff hat die Biskaya trotz der Orca-Problematik selbst überquert und beschäftigt sich intensiv, auch unter Einbeziehung von Forschern, mit dieser für Yachten und Fischer herrschenden Gefahr.
Der deutsche Olympiasieger Ecke Diesch hatte mit seiner Yacht auf dem Weg durch die Biskaya ebenfalls eine schlimme Begegnung mit Orcas; seine Yacht wurde so schwer beschädigt, dass sie in der Biskaya eine Werft aufsuchen musste. Diesch, nicht gerade ein Angsthase: „Es war geradezu schockierend, wie sich die Orcas zielsicher auf das Ruderblatt gestürzt haben!“
Nach einem langen und teuren Werftaufenthalt setzte Ecke den weiteren Weg durch die Biskaya ganz nah unter Land fort „Segeln in kurzer Küstennähe sind wir ja am Bodensee seit Jugend her gewohnt.“ Mit höchster Aufmerksamkeit erreichte er schließlich das Mittelmeer.
Es ist wirklich empfehlenswert, die grundlegenden Ausführungen von Martin Birkhoff und seiner Skipperin Anke aufmerksam durchzulesen, um sich selbst von diesem Risiko ein Bild zu machen.
Es gäbe eine andere Route ins Mittelmeer und von da nach den Kanaren: Nämlich durch den Canal du Midi. Allerdings hat der nur einen Tiefgang von knapp einem Meter fünfzig und ist daher bei dem Tiefgang Ihrer Yacht von über zwei Meter (laut dem gründlichen Gutachten von Professor Scharping zu Ihrer Yacht) unpassierbar.
Nun könnte man auf die Idee kommen, dass der Bootsbaustoff Ihrer Yacht aus Stahl und deshalb unverletzlich ist. Gewiss ist dieses Metall der sicherste Bootsbaustoff. Allerdings reicht es für die Manövrierunfähigkeit Ihrer Yacht aus, wenn „nur“ die Halterung des Ruders beschädigt wird.
Somit bleiben Ihnen lediglich drei Möglichkeiten, um nach Südamerika zu gelangen.
Erstens:
Sie segeln durch die Biskaya unter Berücksichtigung der von Anke und Manfred Birkhoff aufgestellten Vorsichtsmaßregeln -
hier) - ganz eng an der Küste entlang. Mit einem schweren Stahlschiff haben Sie noch die besten Aussichten, eine Interaktion zu überstehen. Allerdings kann ein ausgewachsener Orca auch einem Stahlschiff erhebliche Schäden am Ruder zufügen, auch wenn das Schiff nicht versenkt werden kann. In diesem Fall rate ich Ihnen dringend, eine möglichst große Crew mit an Bord zu haben, denn die Küstennähe erfordert durchgehend höchste Aufmerksamkeit.
Zweitens:
Sie wollen Null Risiko eingehen, dann lassen Sie Ihre schöne Yacht per Landtransport nach Gibraltar oder sonst einem Mittemeerhafen! bringen.
Drittens:
Sie wählen einen langen Umweg und segeln auf der Nordroute (eventuell über die Azoren) nach Amerika und hangeln sich dort an der Küste südwärts entlang bis nach Uruguay. Diese Strecke führt zwar über den Äquator durch die Konvergenz-Zone (Gewitter, Schauer, kein Wind), aber mit ein paar hundert Liter Diesel wird das kein Problem sein. An der Küste Brasiliens herrschen gelegentlich mäßige Stürme, die Sie mit Ihrem Schiff nicht beeindrucken sollten - statistisch gesehen, es gibt also (seltene) Ausnahmen! Ein früheres 15-Meter-Stahlschiff des Autors, die THALASSA2, erlebte dort auf dem Südkurs einen knockdown.
Für diesen Törn ist es unerlässlich, sich das Buch von Jimmy Cornell „Segelrouten der Welt“ anzuschaffen, um sich den günstigsten Kurs mit der besten Zeit empfehlen zu lassen.
Sie können sich sogar - bei Cornell zunächst kostenlos - die verschiedenen Vorschläge runterladen, zum Beispiel:

Dies ist meine private Risikobewertung zu Ihrem Plan. Denken Sie bitte daran, dass ich bestimmt nicht bei Rot über die Kreuzung fahre!
Mast-und Schotbruch!
Ihr Bobby Schenk

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