YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
Frage von
Peter Koller
Lieber Herr Koller,
bei Ihrer Frage musste ich unwillkürlich an
die Diskussionen denken, die vor vielen Jahren geführt wurden. als der
Sicherheitsgurt zwangsweise eingeführt werden sollte. Auf was für absurde
Argumente die Leute damals gegen den Sicherheitsgurt gekommen sind, war
unglaublich.
Bis heute hat der Sicherheitsgurt nach
zuverlässigen Statistiken alleine in Deutschland an die hunderttausend
Menschenleben gerettet und diese unsäglichen Diskussionen sind weitgehend
verstummt.
Selbstverständlich lassen sich Situationen
hypothetisch konstruieren, wo der Bullenstander von Nachteil ist, und es ist
durchaus denkbar, dass der Bullenstander für einen oder anderen gebrochenen
Großbaum verantwortlich ist. Wobei keineswegs gesagt ist, dass nicht auch ohne
den "Bulli" eine Menge Schaden bei der Patenthalse angerichtet worden
wäre. Aber insgesamt sind die Vorteile einer Talje, die den Großbaum
"ruhig stellt" doch so überwiegend, dass es geradezu dümmlich ist,
deshalb keinen Bullenstander zu fahren.
Um es auf den Punkt
zu bringen: Beim Fahrtensegeln, speziell auf offener See, muss immer eine
Bullentalje (=Bullenstander) gefahren werden. Und zwar nicht auf Vorwindkursen,
sondern auch auf Halbwindkursen und am allerbesten auch auf Am-Wind-Kursen. Also
immer!
Alles andere ist einfach Leichtsinn und eine
Rücksichtslosigkeit gegenüber Schiff und Mannschaft. Warum?
Ich glaub, wir sind uns einig, dass ein
schlagender Großbaum - wie jede andere Spiere - ein höchst gefährliches Drum
an Bord ist. Nicht nur, dass er jemanden am Kopf trifft (die Narben auf meiner
Stirn stammen von einem "wild gewordenen" Großbaum), sondern er
beansprucht übermäßig die Großschotblöcke, kann die Backstagen k.o.
schlagen, oder er macht gar den Unterwanten den Garaus - bei Pech mit
nachfolgendem Mastbruch.
Nun ist niemand ohne Vorsorge davor gefeit,
dass der Großbaum anfängt wild herum zu schlagen. Das passiert immer dann,
wenn Seegang herrscht und der Winddruck im Segel den Großbaum nicht mehr gegen
die Großschot fixiert. Erst recht dann, wenn der Wind von der
"falschen" Seite ins Großsegel trifft und die Großschot dadurch lose
wird. Bei der Halse eben!
Daran wird man bei der Diskussion um den
Bullenstander am meisten denken, denn dann kann der nunmehr lose Großbaum so
richtig ausholen und den meisten Schaden anrichten. Aber auch am Wind, wenn der
Rudergänger aus Versehen zu hochgehalten hat, kann dies - mit weniger
gravierenden Folgen - geschehen, denn meistens ist die Großschot ja nicht
derart durchgesetzt, dass der Großbaum nicht schlagen kann - zumindest wird er
solange wild hin und her schlagen, bis die "Patentwende" vollendet
ist.
Dann fahren wir eben keine Patenthalse! Hand
aufs Herz, wer hat nicht schon mal eine fabriziert? Welche Selbststeueranlage
wird nicht schon mal durch eine Querwelle oder eine schnelle Winddrehung in eine
Halsensituation gebracht?
Bei raumen Winden ist die Gefahr einer
unbeabsichtigten Wende oder Halse zwar wesentlich geringer (es sei denn, der
Rudergänger pennt ein - soll ja vorkommen!), doch kann es auch bei diesen
Kursen geschehen, dass der Wind einschläft, oder die Yacht in ein Flautenloch
läuft und mangels Winddruck der Großbaum wegen der Dünung und der damit
verbundenen Schiffsbewegungen anfängt zu schlagen.
All dies, wirklich all dies kann nicht
passieren, wenn der Großbaum sicher fixiert ist (was übrigens bei allen
Spieren eine Selbstverständlichkeit sein sollte). Und das kann nach
geometrischen Gesetzen eben nur durch drei(!) Kräfte geschehen, die an der
Großbaumnock ansetzen, also der Zug von Großsegel, Großschot und Bullentalje.
Noch dazu, wo es Bullenstander praktisch auf jeder Yacht kostenlos liegt. Ein
herumliegender kräftiger Tampen reicht im Normalfall schon aus, um die Nock des
Großbaums auf einer Klampe zu sichern.
Freilich eleganter - und zweckmäßiger - ist
es, eine fest installierte Bullentalje vorzusehen. Sie muss keine Übersetzung
haben, denn durchgesetzt wird der Stander mit Hilfe der Großschot: Man fiert
das Groß etwas mehr als notwendig, setzt setzt ihn dadurch auf einer Klampe
durch, indem man die Großschot dicht holt, bis das Groß richtig steht und
gleichzeitig der Stander durchgesetzt ist. Jetzt eine Halse? Bitteschön, es
wird nichts passieren, wenn man nicht hernach den Stander von der Klampe
rauschen lässt.
.
Freilich,
wegen des Angriffswinkels des Bullenstanders ist es schon besser, den
Bullenstander zum Vorschiff auszubringen. Nachteil: Man muss aufs Vorschiff,
wenn die Großbaumstellung verändert werden soll. Die Vorrichtung auf der
Zeichnung (von J.Bassiner aus dem Buch FAHRTENSEGELN) zeigt eine Lösung, wie
dieser Umweg zu vermeiden sit. Nachteil: Geht die Yacht über Stag, muss auch
der Bullenstander umgesetzt werden. Es gibt eine Reihe von Ideen, wie das
Problemchen umgangen werden kann (z.B. auf jeder Seite einen Bullenstander),
aber darauf einzugehen, würde hier zu weit führen.
Und die Gefahr fürs Rigg durch einen
Bullenstander? Eine Bullentalje gefährdet das Rigg in gleicher Weise, wie es
die Großschot tut. Und trotzdem würde kein Mensch auf die Wahnsinnsidee
kommen, auf eine Großschot zu verzichten. Tatsächlich sind schon einige
Großbäume gebrochen, weil die Großschot an einem ungünstigen Punkt am
Großbaum angesetzt hat, zum Beispiel in der Mitte des Baums. Aber das sind doch
extreme Ausnahmen, die auf der Dummheit des Konstrukteurs beruhen. Beim
Bullenstander wird man deshalb darauf achten, dass er möglichst an der
Großbaumnock ansetzt und sein Angriffswinkel derart ist, dass der Stauchdruck
auf den Mast - auch bei einer Patenthalse - möglichst gering bleibt.
Das ist dann der Fall, wenn zum Beispiel bei
Halsen auf Vorwindkursen, das Groß möglichst offen gefahren wurde - bei
gleichzeitig stramm durchgesetztem Bullenstander. Oder, wenn bei großer
Schiffsbreite der Bullenstander von der Großbaumnock möglichst nach unten aufs
Deck gefahren werden kann. Und so fort!
Zum Schluss eine Gerichtsmeinung: "Der
Angeklagte (ein Segellehrer) handelte als Rudergänger fahrlässig, weil er auf
einem Vorwindkurs oder Fast-Vorwindkurs ohne Bullentallje die Yacht auf
Vorwindkurs gesegelt hat und es wegen einer angeblichen nicht zu erwartenden
Winddrehung zu einer Patenthalse gekommen ist, wobei die Zeugin vom Großbaum am
Kopf getroffen und schwer verletzt wurde."
Sinnigerweise wünsche ich Ihnen Mast- und Schotbruch
Bobby Schenk
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