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Des Menschen Standort
Nachdruck
mit freundlicher Genehmigung des Hamburger Abendblatts, das diesen Artikel am
23.12.2000 veröffentlichte.
Wo
bin ich? Dieses größte Problem aller Seefahrer ist erst seit kurzem gelöst.
Die Menschen ließen sich von ihren Sinnen leiten, dann von Gestirnen, Uhren,
Formeln. Heute kommt die Position aus dem Weltall.
Die
Geschichte der Navigation - geschrieben von Bobby Schenk, einem Experten auf
diesem Gebiet.
Wenn
die Computer-Stimme aus dem Autolautsprecher monoton
auffordert « nächste Straße links », dann wissen nur
wenige, dass dies das Ende einer Jahrtausende alten Entwicklung einer Technik,
ja einer „Kunst“ ist, die wie kaum eine andere die Welt verändert hat,
verantwortlich dafür ist, dass unsere Weltkarte so und nicht anders aussieht.
Der Mensch navigiert
seit er existiert. Die ersten Versuche, die Welt zu entdecken, wirken aus
heutiger Sicht ziemlich hilflos, weil man halt in irgendeine Richtung
losgewandert ist, ohne zu wissen, was oder wer hinter dem Horizont wartet, ob
gar das Ende einer Scheibe bald erreicht ist. Zwar war schon vor vielen tausend
Jahren die Wirkung einer Magnetnadel bekannt, sich entsprechend dem Magnetfeld
der nach Norden zu richten. In Polynesien hielt man auf bestimmte Sterne zu,
unter denen man um die Nachbarinsel wusste. Das Auffinden war mehr Glücksache,
später als „sagenhafte Polynesischen Navigationskünste“ mythisiert.
Die eigentliche
Geschichte der Navigation, das ist Bestimmung des genauen Ortes, auf dem man
sich gerade befindet, ist erst wenige hundert Jahre alt. Kolumbus wird hier nur
deswegen erwähnt, weil er als großer Entdecker und damit Navigator gilt. Was
seiner Eitelkeit geschmeichelt hätte, denn tatsächlich hat Kolumbus, in erster
Linie Goldsucher, im eigentlichen Sinne gar nicht navigiert, hat niemals nachprüfbar
seinen Schiffsort festgestellt. Ihm war nur bewusst, dass auf Westkurs Land
auftauchen musste, was sonst? Und so wimmelt es in seinen Logbüchern nur so von
Irrtümern und Halbwahrheiten. In der Breite gar lag er um runde 2000 Kilometer
daneben, was auch für damalige Zeiten indiskutabel gewesen ist. In der Länge
gar wähnte er sich – jeder weiß es - in Indien. Dabei hätte er die
Schiffsbreite, also um wie viel er vom Nordpol oder vom Äquator entfernt war,
mit Hilfe der Sonne recht genau bestimmen können. Schon die genialen Astronomen
in Babylon kannten den
(scheinbaren) Lauf der täglichen Sonne um die Welt, wussten aus ihren
Beobachtungen, dass unsere Energiespenderin am 21.Juni, zur Sonnwende, auf ungefähr
23 Grad Nord entlang wandert. Sieht ein Kapitän an diesem Tag die Sonne im
Osten aufgehen und zieht sie auf ihrem Weg nach Westen genau über die
Mastspitze seines Schiffes, dann, welch ein Zufall, steht das Schiff eben auf
dem dreiundzwanzigsten nördlichen Breitengrad. Meistens jedoch wird die Sonne
auf ihrem höchsten Punkt nicht genau über dem Schiff, also 90 Grad zum
Horizont (der Seemann nennt ihn „Kimm“), sondern etwas tiefer stehen. Würde
der Kapitän dann mit einem Winkelmessinstrument den die Sonne über dem
Horizont nur mit 89 Grad messen, dann ist er am 21.Juni eben nicht auf 23 Grad
Nord, sondern einen Grad davon entfernt, also auf 22 Grad – oder 24 Grad, je
nachdem, ob die Sonne südlich oder nördlich von ihm steht. Das ist, wenig
vereinfacht, das „Geheimnis“ der Navigation mit den Gestirnen, der
astronomischen Navigation.
Bis tief ins
18.Jahrhundert musste man sich mit der Breitenbestimmung begnügen, die andere Hälfte
der Position, die Länge, wurde aus der abgesegelten Strecke grob geschätzt.
Zwar konnte man mit diesem Halbwissen nach Amerika segeln - man schipperte nach
Süden bis man auf der Breite des Zielortes angekommen war und segelte dann
genau nach Westen – doch ansonsten navigierten die führenden Seemächte kläglich,
von den Fischern, die nach ertragreicheren Fanggründe suchten, mal gar nicht zu
reden. Inseln wurden entdeckt, aber nicht wiedergefunden, Ländereien gingen
dadurch den Seefahrtsnationen „verloren“. Was für die komplette
Ortsbestimmung fehlte, war die Zeit, die sekundengenaue Zeit - auf dem Schiff.
Inseln
wurden nicht wiedergefunden
Wenn
der Kapitän die Sonne auf seiner Position um 14 Uhr 02 Minuten Mittlerer
Greenwichzeit (MGZ) in seinem Winkelmessinstrument, dem Jakobsstab, dem Oktanten
oder in der Neuzeit dem Sextanten auf dem höchsten Punkt sah und dann in einem
Nautischen Jahrbuch für diesen Tag nachlas, dass die Sonne „über“
Greenwich um 12 Uhr 02 Minuten gewesen ist, dann konnte er die Länge leicht mit
dreißig Grad westlich von Greenwich festlegen, denn 24 Stunden benötigt sie ja
für alle 360 Längengrade.
Wenn, ja wenn er
eine sehr genaue Uhr gehabt hätte, denn 4 Sekunden machen schon eine Meile,
1,85 Kilometer aus. Unsere Quartzuhren gab es ja noch nicht.
Zu Beginn des
18.Jahrhunderts begann der Wettlauf um die Zeit. Zwar hielten zahlreiche, meist
englische Astronomen, andere Methoden wie die Beobachtung von Planetenpassagen,
Zenitdistanzen des Mondes für den besseren Weg, die Länge zu finden, doch
zeichnete sich bald ab, dass nur die genaue Zeit, der „Schlüssel zum
Weltreich“ (so wichtig hielt man die Längenbestimmung) sei. Die wahre
Geschichte wurde zum Bestseller verarbeitet: Nachdem die englische Krone die für
damalige Verhältnisse unglaubliche Summe von zwanzigtausend Pfund für eine
genaue, bordtaugliche Uhr ausgelobt hatte, krönte der nunmehr fast achtzigjährige
John Harrison, keineswegs Uhrmacher, sondern Zimmermann, sein Lebenswerk als er
seine männerfaustgroße, heute wohl berühmteste Uhr der Welt, die „Harrison
Number 4“ (H4), einem Schiff seiner Majestät nach Barbados mitgab. Nach der Rückkehr
aus Westindien wurde in London die Abweichung mit 15 Sekunden, nicht mal vier
Seemeilen, festgestellt, nach fünf Monaten wohlgemerkt! John „Longitude“
Harrison – wie ihn die Geschichte nennt -
gilt seither als der Entdecker der Länge.
Von da an stand die
Entwicklung der Navigation nahezu still, fast bis heute. Oktanten und Sextanten
maßen ungefähr ein halbe Seemeile genau.
Erst der zweite
Weltkrieg brachte die „Funkpeilung“, so unvollkommen, dass sie für einige
Schiffbrüche verantwortlich zeichnet. Radar konnte nur in Landnähe zur
Navigation eingesetzt werden. Decca, LORAN, oder LORAN-C waren auf spezielle
Senderketten angewiesen. Omega ist weltweit arbeitendes Langwellensystem, auch
von U-Booten nutzbar, aber ungenau und störanfällig.
Die Suche nach dem
perfekten Navigationssystem ging sogar noch dann weiter, als schon Satelliten im
All kreisten und das Transit-Verfahren 1980 installiert wurde. Wie bei den
echten Gestirnen mussten hier die Navigatoren gelegentlich ein paar Stunden
warten, bis die wenigen Satelliten in der richtigen Position für Messungen
waren, um dann in großen Abständen eine Positionsangabe zu erhalten.
Genauigkeit: „Besser als eine Seemeile“.
Größte
navigatorische Revolution: das GPS
Was dann aber die
amerikanischen Militärs seit 1985 bis heute im All installierten, ist die größte
navigatorische Revolution in der Menschheitsgeschichte: Das Global Positioning
System, kurz GPS genannt. In der Navigation mit den echten Gestirnen wird der
Winkel zwischen Kimm und Gestirn gemessen und auf einfachste Art daraus (siehe
oben!) die Entfernung zu dem Punkt berechnet, wo das Gestirn über dem
Beobachter ist. Das ergibt, logisch, noch keinen Standort, denn alle Schiffe,
die von diesem Punkt gleichweit entfernt sind, messen den gleichen Winkel zur
Sonne. Aber all diese Schiffe würden sich auf ein und demselben Kreis „um das
Gestirn“ befinden. Erst eine zweite Messung ergibt einen zweiten Kreis und
damit einen Schnittpunkt beider Kreise, somit auch eine genaue vollständige
Position nach geographischer Länge und Breite. In der Praxis spielt es keine
Rolle, dass genaugenommen zwei
schneidende Kreise zwei Orte ergeben, ist doch meistens der zweite so weit weg,
dass er ernsthaft nicht in Betracht gezogen werden muss.
Es fasziniert, dass
mit den künstlichen Gestirnen ähnlich verfahren wird, freilich, ohne dass es
der Benutzer mit seinem 200.-DM—GPS-Empfänger oder gar der Autofahrer
bemerkt. Allerdings wird nicht mehr ein Winkel gemessen, sondern der
Laufzeitunterschied, also die Zeit, die Funkwellen vom Satelliten bis zum
GPS-Empfänger im Auto, im Flugzeug, am Armband des Bergsteigers oder auf der
Tankerbrücke brauchen. Der Empfänger weiß aus seinem zugesendetem
Datenbestand, wann das Signal vom Satelliten ausgesendet wird und wann es bei
ihm eintrifft. Dass der Zeitunterschied nicht mehr mit den Maßstäben von John
Harrison gemessen werden kann, leuchtet ein. (Atom-)Uhren in den GPS-Satelliten
verfügen über eine rechnerische Genauigkeit von einer einzigen Sekunde - in
dreißigtausend Jahren.
Somit
erhält der Navigator mit Hilfe von einem Satelliten einen Kreis, auf dem er
sich befindet, bei zwei Aluminiumsternen ist es dann schon eine genaue Position
nach Länge und Breite und bei drei Satelliten erfährt der Navigator auch noch
die Höhe, was für den Flugzeugführer extrem wichtig ist. Tatsächlich hilft
noch ein weiterer Satellit, der die genaue Zeit liefern muss. Und wenn dann noch
die gesamte Erdoberfläche abgedeckt werden soll, sind schon fast zwei Dutzend
Satelliten notwendig.
Ursprünglich wurde
für den Autofahrer die erzielbare
Genauigkeit des GPS-Systems bis auf 300 Meter verschlechtert, denn die Militärs
im Pentagon sehen es nicht gerne, wenn andere Nationen ihre Raketen mit
amerikanischem GPS steuern würden. Präsident Clinton jedoch hat persönlich
die Aufhebung dieser Verschlechterung im Frühjahr dieses Jahres angeordnet.
Damit ist ein Menschheitstraum in Erfüllung gegangen: Der Mensch kann nunmehr
jederzeit, die eigene Position finden, auf zehn Meter genau.
Bobby
Schenk, von Beruf Richter ist einer der erfahrendsten deutschen Fahrtensegler.
Der Autor von mehreren Büchern über terrestrische und Astronavigation gilt als
Experte auf diesem Gebiet.
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