Briefe aus der Weltumseglerszene



Heide ("Nudel") und Guenther Voigt

und ihre PUSTEBLUME

Sie sind in Hamburg (ambulant) zu Hause und gehören zu Deutschlands frühen Weltumsegelpaaren. Von 1981 bis 1984 umsegelten sie mit Ihrer Yacht PUSTEBLUME auf der Passatroute die Welt. Nach ihrer Rückkehr begann der Apotheker Guenther Voigt aus seiner Weltumseglererfahrung heraus sein "Traumschiff" zu planen, eben die jetzige - neue - Pusteblume, eine 14-Meter-Ketsch aus Aluminium. In der Nummer 25/92 stellte die YACHT das Traumschiff der Voigts unter dem Titel "ein Schiff für alle Fälle" ausführlich vor.

Nachdem Heide und Günther die Welt schon umrundet haben, nehmen sie sich jetzt, gelassen, die Zeit, um auch Küsten, die normalerweise nicht auf einer Weltumsegler-Route liegen, abzuwandern. Diesmal ist es die Ostküste Nordamerikas. Und, wie üblich mit den "Traumyachten": Die Schiffstechnik hat so ihre Tücken.

US-Ostküste: Ausverkauf der Ufer

Liebe Freunde,

am 8.April 98 war ich wieder an Bord. Unsere PUSTEBLUME lag wunderschön neu lackiert aber noch ohne Masten in der Halle. Das Wetter war ideal zum Arbeiten: Morgens nur 2°C aber dann zunehmend bis zu 25° in der Sonne. Während die Heizung leise vor sich hin wummerte, verbaute ich morgens unter Deck die aus Deutschland mitgebrachten Ersatzteile. An so manchen dieser "Schätze" hingen Geschichten, die ein düsteres Bild von der Qualität und besonders auch vom Service deutscher Firmen erzählen. Die Deckenlampen brauchten wegen häßlicher Korrosionsflecken neue Blenden. Der Hersteller (Aqua Signal) hatte zwar die miese Verchromung auch beim Ersatz nicht verändert, aber dafür die Aufhängung geringfügig so "verbessert", daß ich alle 30 Stück abändern mußte, weil sie nicht mehr auf die Lampen paßten.

Natürlich waren wir wieder die Ersten mit so einer Reklamation. Das Material ist übrigens Kunststoff, und ich hatte ziemlich naiv geglaubt, daß dabei keine Korrosion auftreten könne. Inzwischen weiß ich aber, daß auf das Plastik erst Kupfer gedampft werden muß, bevor er verchromt werden kann. Und damit sind die Probleme in salziger Luft vorgezeichnet. Offenbar kann man die Verchromung aber auch besser machen, denn wir haben noch 5 andere Lampen sogar vom selben Hersteller, die völlig einwandfrei geblieben sind. Mein Reklamationsschreiben beantworteten die Verantwortlichen mit dem Hinweis auf den "viel höheren Preis" der einwandfreien Lampen. Der Mehrpreis betrug jedoch keine 10 Prozent, und ich fühlte mich einmal mehr für dumm verkauft. Die Ersatzteilbeschaffung in Deutschland wird immer schwieriger. Zwei winzige Kohlebürsten für eine Lichtmaschine, ein Pfennigartikel also nur, bekam ich trotz dutzender Telefonate und meiner Doppelbestellung bei Firmen aus der Auto- und der Bootbranche nicht mal innerhalb von 9 Monaten. Dabei war ich sogar bereit, zusätzlich noch den nicht benötigten Halter mit Regler für 150.- mitzubestellen, weil es die Kohlebürsten allein angeblich nicht gab. In USA hatte ich die Dinger dann für 4 Mark innerhalb von wenigen Tagen. - Auf ein paar Dichtungen für unseren Wassermacher wartete ich 6 Monate vergeblich. Eine reparierte Schaltbox für unsere Kühlanlage kam immerhin nach etwa 10 Anrufen gerade noch vor meinem Abflug wieder zurück und war nun sogar schon zur Hälfte richtig eingestellt. Die jedoch weiterhin vorhandenen Mängel konnte ich leider erst nach dem Einbau feststellen, und so muß sie noch mal wieder zum Hersteller nach Süddeutschland. - Kein Wunder, daß wir immer so viel Gepäck zu schleppen haben.

Die Maler hatten sehr sauber gearbeitet, aber natürlich mußte das Schiff erst gereinigt werden, bevor es mit den im Vorschiff unter Tüchern gelagerten Polstern wieder wohnlich wurde. Tanks waren zu füllen, im Cockpit alle Instrumente, Tisch, Sitzgrätings und Kompaß wieder einzubauen, weil ich alles für eine saubere Lackierung demontiert hatte. Das zählt man jetzt mal so eben schnell auf, aber in Wirklichkeit gibt es dabei natürlich immer wieder Schwierigkeiten. So stellte ich den Kompaß an Deck, um ihn später zu montieren. Als ich eine halbe Stunde später mit dieser Arbeit beginnen wollte, war ein Teil der Kompaßflüssigkeit ausgelaufen. Im Eimer, in dem er den ganzen Winter stand, war es hingegen knochentrocken. Jetzt in der Sonne hatte sich seine Flüssigkeit, die der Dämpfung der Kompaßrose dient, wohl etwas ausgedehnt. Am Boden des Gehäuses fand ich eine große Plastikdichtung, die den Überdruck normalerweise ausgleicht, nun aber war sie nach 5 Jahren bereits morsch und gerissen.

In Windeseile schrieb ich Nudel ein Fax, denn sie hatte kurz vor Ostern nur noch einen Tag Gelegenheit, Ersatz zu besorgen. Firma Plath, der größte deutsche Kompaßhersteller, kannte das Problem schon und kassierte genüßlich über 100 Mark für Dichtung und Spezialflüssigkeit. Aber das zahlten wir natürlich gern für das erhabene Gefühl, endlich mal nicht " die Ersten mit dieser Reklamation" zu sein. Die Kompaßflüssigkeit mußten wir im Tiefkühler auf -15°C kühlen, weil sonst Luft in der terpentinartigen Flüssigkeit gelöst blieb, die sich später als Blase über der Kompaßrose gesammelt hätte. Ganz schön kalte Finger haben wir uns beim Einfüllen geholt.

Schon am 2. Tag ließ ich die Masten aus der Halle holen und schraubte die 33 Nirostufen schön ordentlich unterlegt mit 99 kleinen Plastikscheiben wieder fest. Weil diese Scheiben vorher fehlten, hatte die Korrosion den Mast überall etwas angefressen, wo Niro und Alu sich direkt berührten. Am Besanmast war außerdem die Saling (Drahtspreitze aus Aluminium seitlich oben im Mast) so stark in den Niroschuhen zerfressen worden, daß ich sie nur noch um dieses Stück kürzen konnte. Man hatte vergessen, die etwas nach oben geneigten Schuhe mit kleinen Ablauflöchern zu versehen. So konnte das Wasser dort über Jahre seine Beihilfe zum Mastenmord leisten, bis wir plötzlich bei schönster Sonne mal Tropfen auf den Kopf bekamen und das Problem erkannten. Die Mastenbauer müssen das wohl "vorausgeahnt" haben, denn sie hatten die Salinge 4 cm länger als in der Bauzeichnung vorgesehen gemacht. - Warum nur müssen wir kleinen Bastler immer wieder nach einigen Jahren die Fehler der teuer bezahlten Fachleute ausbügeln?

Zum Glück gibt es auch noch Firmen, die ihre Fehler schnell und kulant aus der Welt schaffen, und es existiert sogar noch Yachtzubehör, das jahrelang ohne jede Beanstandung seine Pflicht erfüllt. Aber die Zahl dieser Firmen nimmt stark ab. Immer mehr produzieren "Ex-und-hopp-Ware". Auf der Bootsausstellung sprach ich den Hersteller unseres Generators, Firma Zeise, auf einige Mängel an. "Ach was, das Ding läuft bei ihnen noch? Da sind sie wohl der Letzte." - Das "Ding" ist 5 Jahre alt, hat über 20.000 Mark gekostet, und etwa die Hälfte der Teile ist bereits für einige tausend Mark erneuert worden. Da konnte ich mir die Schadenfreude nicht verkneifen, als ich jetzt vom Konkurs der Firma hörte.

Aber nicht nur deutsche Produkte haben diese Mängel. Verschiedene Pumpen der amerikanischen Weltfirma PAR müssen ebenso jedes Jahr repariert werden wie die der schwedischen Konkurrenz Johnson. Die englische Firma Lewmar hat offenbar ein besonderes "Feeling" für die Konstruktion anfälliger Blöcke (Umlenkrollen), leckender Bulleyes und korrodierender Winschen. Und die dänische Firma Bjerg baut Aluminiumfenster, die schon nach einem Jahr die ersten Korrosionslöcher hatten.

Die leichtfertige Verwendung von Edelstahl und Aluminium direkt nebeneinander ohne eine trennende Isolierung ist offensichtlich der am häufigsten begangene Fehler. Erst nach vielen Reklamationen setzt man dann endlich Kunststoff dazwischen. Der aber muß die Sonne vertragen, denn sonst zerfallen diese Teile schon nach wenigen Jahren wie z.B. unsere Notboje, einige Schwimmleinen oder die Rettungsringe, die wir alle 2 Jahre austauschen mußten. - Dieser lang aufgestaute Ärger mußte mal wieder raus, damit die Reise nun unbeschwert weitergehen kann. Puh, jetzt geht´s mir besser.

Noch ein paar Worte zur Werft und ihrer Arbeit. Die Lackierung ist sehr gut geworden, alles war pünktlich und zum vereinbarten Preis fertig, obwohl in der Rechnung nicht nach Angebot, sondern genau nach tatsächlich gearbeiteten Stunden und Material abgerechnet wurde. Jedes Blatt Schleifpapier, jeder Pinsel oder Gummihandschuh wurde auf fast 4 Seiten genauestens berechnet. Ein irrsinniger Verwaltungsaufwand ist das natürlich, zumal das Material nur wenige Prozent des Gesamtpreises ausmacht. Allein der Lack ist teuer. In Deutschland berechnet man deshalb einfach nur die Farbe und nimmt für das Kleinmaterial eine Pauschale. Wir erhielten aber jeden Monat eine Rechnung nach Deutschland geschickt, was wir noch nirgendwo auf der Welt erlebten.

Bei so viel Verwaltung lag der Stundenlohn mit etwa DM 95.- entsprechend hoch. Dabei wurde in Virginia nicht mal Steuer auf Arbeit erhoben, sondern nur auf das Material. Das war also dort der übliche, dem Kunden berechnete Stundenlohn für Handwerker. Die Arbeiter selbst verdienten mit gut 30.- DM pro Stunde mehr als ihre deutschen Kollegen, und ihre Abgaben auf den Lohn waren deutlich geringer. Zudem machten sie in der Frühlingssaison reichlich Überstunden. Jeden Tag wurde von 07-00 bis 18-00 Uhr gearbeitet, selbst an den Ostertagen! Nur am Sonntag war absolute Ruhe.

Keiner hat dort seinen Beruf wie bei uns erlernt. Und so war es Glückssache, ob die Arbeit gut wurde. Bei den Lackarbeiten war ein gut eingespieltes Team offenbar schon lange auf der Werft beschäftigt. Bei den Nebenarbeiten war das wohl nicht so, denn fast all unsere neu eingebauten Fenster leckten erst mal, weil die Schrauben nicht richtig angezogen waren und niemand sie auf Dichtigkeit überprüft hatte.

Mit über 40 kg Gepäck hatte ich schon allerhand an Bord geschleppt, aber Nudel hat es sogar fertig gebracht, noch 20 kg mehr zu transportieren. Sie war 20 Stunden unterwegs und kippte todmüde fast noch scheller in die Koje als ich sie begrüßen konnte. Drei Tage später war alles an Bord wieder von zarter Frauenhand auf Hochglanz gebracht, und wir konnten uns ein Auto mieten, um vor den manchmal noch etwas kühlen Apriltagen in Virginia nach Süden zu fliehen. Wir kauften uns schnell noch 2 Campingstühle für unser spätmorgentliches Frühstück in der freien Natur, denn das "American breakfast" mit 3 Eiern, Speck, Würstchen, Toast, Pfannkuchen und Ahornsirup wollten wir unserer Figur nicht jeden Morgen antun. Das sogenannte "Continental" Frühstück mit Doughnuts (süße Berliner), Bagels (ringförmige, zähe Brötchen) und darauf nur Marmelade akzeptiere ich ohnehin erst kurz vor dem Hungertod. So hatten wir, wie immer auf unseren Autoreisen, Wurst, Käse, Milch, kalte Getränke und sogar deutsches Brot in unserer kleinen, 3 Mark teuren Kühlbox im Auto, aßen morgens nur ein Joghurt und suchten uns im Laufe des Vormittags ein gemütliches Plätzchen fürs Picknick.

Unser Weg führte uns entlang der Küste nach Süden. Immer mal wieder kreuzten wir den ICW (Intracoastal Waterway), auf dem wir mit unserer PUSTEBLUME bis Viginia nordwärts getuckert waren. Die Amerikaner haben dieses Kanal- und Flußsystem kurz hinter der Küste in größter Eile im 2. Weltkrieg als leistungsfähigen Transportweg ausgebaut, denn allein zwischen Januar und August 1942 versenkten ganze 8 deutsche U-Boote an der Küste vor Cape Hatteras 397 Schiffe. Das war mehr Tonnage als die Japaner im gesamten Pazifikkrieg zerstört haben.

Dieser Küste von North Carolina ist eine etwa 200 km lange Nehrung vorgelagert, die meistens kaum breiter als einen Kilometer ist. Outer Banks nennen die Amerikaner das begehrte Feriengebiet. Die Dünenküste ist leider viele Kilometer flächendeckend von Ferienhäusern und Hotels verbaut. Von Norden kann man auf gut ausgebauter Straße direkt auf diese mit Brücken verbundene Inselkette fahren, die früher ein berüchtigter Piratenunterschlupf war. Die Natur ist von eher herber Schönheit und nicht das, was wir im Urlaub suchen. Die ungestrichenen Holzhäuser sind meistens nur mit etwas Gestrüpp umgeben und machen einen düsteren Eindruck. Nur im Norden und Süden gibt es einige Oasen mit Bäumen. Das gefiel uns schon viel besser. Wenn die Holzfassaden der Urlaubshäuser dann auch noch etwas Farbe hatten, sah das schon recht einladend aus.

Die großen Supermarkt- und Fastfoodketten folgen den Urlaubern am Rande der Highways leider auch hierher. Von der Besitzerin unseres etwas muffig riechenden Motels direkt am Strand ließen wir uns das beste private Lokal nennen, das zu unserem großen Erstaunen selbst jetzt im April rappelvoll war. Ein großer Souvenierladen direkt im Eingang und eine brechend volle Bar versüßten Nudel und mir den persönlichen Bedürfnissen gemäß (...ich bin natürlich gleich zu den entzückenden Muschelkästen gestürzt) die Wartezeit auf einen Tisch. Wie immer bestellten wir wegen der Riesenportionen nur eine Vorspeise und verloren wie gewöhnlich den Schnelleßkampf gegen die irrsinnig rasante Küche und Bedienung, die schon 3 Minuten später den Hauptgang servierte.

Alles war sehr hübsch maritim eingerichtet, das Essen wie immer gut und reichlich und der Preis nur etwa doppelt so hoch wie in den besseren Familien-Restaurants, was immer noch angemessen ist. Dazu muß ich allerdings erwähnen, daß man bei "Hardees", "Sizzlers", "Applebees" oder wie diese Filialisten sonst noch heißen für etwa 40.- bis 60.- DM mit 2 Personen gut und mehr als reichlich essen und trinken kann. Man findet mit der Zeit die reellsten heraus, kann aber auch einfach immer auf die vollsten Parkplätze oder beim Eintreten auf die dicksten Besucher achten. Wo beides zutrifft, ißt man nie verkehrt. Die Amis haben dieses lebenswichtige Grundwissen schon mit der Muttermilch erhalten.

Das Essen dieser gehobenen Kettenrestaurants ist eigentlich immer sehr schmackhaft. Die Tische haben Stoffservietten, richtige Bestecke und Teller und sogar Brot und Butter zur Vorspeise. Jede Kette hat neben Steaks und Fisch auch ihre Spezialitäten auf der Karte, die man unbedingt probieren sollte. IHOOP (International House of Pancakes) serviert zu allem z.B. Pfannkuchen, GOLDEN CORRAL hat ein äußerst gutes Buffet, RED LOBSTER zaubert eine halbe Languste zum Steak. Allen gemeinsam ist ein Überangebot an Fett (Soßen) und Kalorien. Fragt man einen Ami vor dem Lokal nach der Qualität der Speisen, deutet er stets mit den Händen einen übervollen Teller an und redet nie vom Geschmack. Und diese Mast hat sichtbaren Erfolg: Die Amis sind das am stärksten überernährte Kulturvolk, wie selbst US-Zeitungen selbstkritisch berichten. Zwar versuchten z.B. die Hersteller von Keksen und Kartoffelchips, möglichst kein Fett mehr in ihre "Fernsehernährung" zu bringen, mußten jetzt aber nach beachtlichen Anfangserfolgen wieder voll in die Sahne hauen, weil die Verbraucher wegen des Geschmackes doch lieber zur Kalorienbombe griffen. Beim Vergleich verschiedener Restaurantketten fiel uns auf, daß die Anzahl der Dicken ganz auffällig abnahm, je hochpreisiger die Speisekarte wurde.

Die Steaks waren eigentlich immer von überragender Qualität und genau nach unserer Bestellung (medium rare) gegrillt. Wir mußten allerdings bei den guten Steakhäusern darauf hinweisen, daß wir kein schwarz verkohltes Fleisch essen. Viele Amis mögen das offenbar so, und spätere Reklamationen stoßen deshalb auf wenig Verständnis. Die Beilagen sind von verblüffender Einfallslosigkeit: Mais oder rote Bohnen, dazu Pommes frites oder Folienkartoffeln und ein Salat mit Dressing (Soße) nach Wahl. Blumenkohl, Rosenkohl oder auch mal grüne Bohnen?.....Das gibt's nur im Supermarkt oder in Feinschmeckerlokalen zu horrenden Preisen.

Noch billiger aber auch wesentlich steriler ißt man bei den auch bei uns bekannten Fastfoodketten wie "Pizza Hut", "Mac Donalds", "Kentucky Fried Chicken" usw., bei denen es aber im Gegensatz zu den oben genannten Familienlokalen meistens keinen Alkohol gibt. Die riesigen Pappbecher werden immer randvoll mit Eis gefüllt, zwischen das wenig Colaextrakt verdünnt mit häufig stark gechlortem Wasser aus dem Hahn kommt. Das Zeug schmeckt durch das Chlor richtig eklig, aber die Amis sind dran gewöhnt und schütten es literweise in sich hinein. Manche dieser Imbißläden liefern gegen Bezahlung nur den leeren Becher und man zapft sich selbst aus den verschieden Hähnen so viel man mag. In anderen Lokalen kann man sich dieses fürchterliche Gesöff oder auch den viel zu süßen Eistee in großen Karaffen gleich für die ganze Familie auf den Tisch stellen lassen, wobei die Nachbestellung kostenlos ist. Eine Lawine an Verpackung ist das immer bei all diesen ungemütlichen Fastfoodläden. Nur die Tabletts werden wieder verwendet.

Wie schade, daß dieser einschleichende Virus allgemeiner Geschmackslähmung auch unsere europäischeJugend schon weitgehend infiziert hat.

Früher haben auf diesen Outer Banks überall Bäume gestanden, doch die fielen dem intensiven Schiffbau zum Opfer. Die heute weitgehend kahle Landschaft war aber ideal für die ersten Flugversuche der Gebrüder Wright, die hier 1903 mit stolzen 12 PS und 2 Propellern die Geschichte des modernen Flugtourismus vorbereiteten, nachdem sie vorher von einer Düne die Gleitflugversuche von Otto Lilienthal nachempfunden hatten.

Nach etwa 100 km mußten wir mit einer Fähre eine Bresche in der Nehrung überwinden, die ein Hurrikan hinterlassen hatte. Außer dem Strandleben dreht sich alles hier ums Angeln. Die großen Autos im Stile eines Landrovers haben vorne eine Plattform für eine große Kiste mit Angelködern. Die Fahrer schauen durch einen Wald von Angelruten, die in Köchern an der Stoßstange stecken. Diese großen, schweren Autos fressen wie die zahlreichen Pick-ups (Pkw mit offener Ladefläche) nicht nur reichlich Benzin, sondern sie sind auch eine große Gefahr für normale Pkws, weil sie bei Unfällen durch ihr größeres Gewicht und die meistens zu hoch sitzenden Stoßstangen böse Schäden anrichten. Das schadet ihrer übergroßen Beliebtheit allerdings überhaupt nicht, und die ganz Verrückten setzen sogar normale Pkw-Karosserien auf riesige Räder mit 1 m Durchmesser, womit sie dann über dem Verkehrsfluß schweben. Erlaubt ist hier offenbar fast alles.

Je weiter wir von der Landverbindung im Norden entfernt waren, desto mehr stieg der Benzinpreis. Umgerechnet sahen wir hier im Lande Preise von 38 bis zu 58 Pfennig für den Liter Normalbenzin, Unterschiede, wie sie bei uns undenkbar wären. Und bei diesen Preisen lohnt es natürlich überhaupt nicht, auf den Verbrauch zu achten. Ähnlich billig ist der Strom, und so friert man in vielen Gebäuden, weil die Klimaanlagen fast immer viel zu kalt eingestellt sind. Zum Essen im Lokal nimmt man besser auch bei größter Hitze immer eine Jacke mit.

Am Ende dieser Inselkette kommt man nur mit einer Fähre wieder aufs Festland. Nudel hatte sich nach der Notwendigkeit einer Vorbestellung erkundigt. Jetzt im April sollte das überflüssig sein. Dann aber standen wir doch vor einer den ganzen Tag ausgebuchten Fähre, und ich fuhr lieber den langen Weg noch mal zurück, als hier ungewiß standby zu warten. Endlich wieder am Festland ging es durch unbewohnte, langweilige Sümpfe, in denen wir nicht mal Vögel oder andere Tiere sahen. Stundenlang hing der "Autosegen" ziemlich schief bei uns auf dieser reichlich überflüssigen Tour.

Wir übernachteten in einem kleinen Ort für den der große Name "Washington" gewiß zu viel versprach. Er hatte eine ebenso langweilige Altstadt wie die Stadt New Bern, die wir uns am nächsten Morgen anschauten. Überall spielt sich das Leben in den "Malls", den uniformen Einkaufszentren vor der Stadt ab. Die alten Stadtkerne veröden und die neuen Malls haben den Reiz einer Colaflasche, die es überall in genau gleichem Aussehen gibt. - Apropos Cola. New Bern hat doch Wesentliches zur Entwicklung des modernen Menschen beigetragen, denn hier lebte ein Apotheker, der vor genau hundert Jahren zum Wohle der Menschheit "Pepsi Cola" zusammenbraute und in seiner Apotheke verkaufte. Leider hat er versäumt, das Gesöff zum Nutzen all seiner armen Kollegen apothekenpflichtig zu machen. Der ganze Ort war voll von Pepsi-Fähnchen und Souvenirs. Schon 12 Jahre früher hatte ein anderer Apotheker in Atlanta "Coca Cola" kreiert, und ebenso kurzsichtig an 2 gierige Pfeffersäcke verhökert, die daraus dann den Welterfolg machten, der noch heute für die Besitzer eine unerschöpfliche Goldader ist.

Viel ist über die meisten Orte an dieser Küste nicht zu berichten. Statt in der toten Innenstadt von Wilmington lag als Anreiz für unser lüsternes Touristenauge dann schon eher bei dem alten Schlachtschiff "North Carolina III", auf dem früher 2.300 Mann Besatzung an 132 Kanonen herumspielen konnten. Selbst uns ungediente Pazifisten beeindruckte es, daß man mit einem Kaliber von 40 cm Geschosse von der Schwere eines VWs an die 40 km durch die Lüfte zaubern konnte. Das kann man gewiß auch in Europa erfahren. Aber Charly hätten wir dort gewiß nie kennengelernt. Regungslos lag er im seichten Uferwasser. Ein Matrose machte uns auf ihn aufmerksam. Ein mit fast 4 m durchaus beeindruckender Alligator, der aber wie aus Beton nachgebildet aussah. Erst als Charly etwas später langsam ums Schiff schwamm, nahmen wir sein breites Maul gebührend ernst und rissen die Kameras hoch. Er "wohnte" dort schon, seit das Kriegsschiff 1961 diesen letzten Liegeplatz fand und ließ sich von den angeberischen Kanonen in keiner Weise beeindrucken. Der Marine ist das überhaupt nicht recht, denn es könnte ja mal ein Besucher über Bord plumpsen und zu einem ungewollten Frühstück werden. Doch es traut sich auch niemand, das Tier zu verjagen oder gar abzuschießen. Die Highways (Fernstraßen) sind in den USA immer sehr gut ausgebaut. Man darf meistens 55, manchmal auch 65 Meilen (etwa 90 - 105 km/h) "schnell" fahren. Noch besser ausgebaut sind die kreuzungsfreien Interstates (Autobahnen), auf denen je nach Bundesstaat bis zu 120 km/h zugelassen sind. Beiden gemeinsam ist hier in den Südstaaten, daß es äußerst langweilige, endlose Schneisen durch den Wald sind. Nur ganz selten hat man mal einen weiten Blick auf Farmland. So tippt man den Tempomaten 5 Meilen über dem erlaubten Limit an und läßt die Karre laufen. Unser 6-Zylinder von Chevrolet machte das sehr leise und wurde nur mal laut, wenn ich ihn in europäischer Manier zu einem Kavalierstart an einer Ampel trieb. Die behäbig fahrenden Amerikaner blieben dann mindestens 100 m hinter uns. Muß die Geschwindigkeit vermindert werden, so wird das schon weit vorher angekündigt.

Allgemein gültige Verkehrsregeln werden millionenfach auf Schildern wiederholt, so z.B. die Höchststrafe von 1.000 $ für das Wegwerfen von Müll, oder das Totalverbot, an haltenden Schulbussen vorbeizufahren. Diese gelben Busse sind ohnehin auffällig, schalten aber außerdem noch Blitzlichter an, wenn die Kinder aussteigen. Erstaunlicherweise werden fast nur Pkw-Fahrer von Polizeiwagen gestoppt, während es aber vorwiegend die Lkws sind, die sich nicht an das Tempolimit halten. Sie haben vermutlich alle CB-Funk und warnen sich gegenseitig. Selbst bei Regen donnern sie mit ihren 25 m langen Ungetümen rücksichtslos über die Fernstraßen und überholen alle Pkws. Die bei uns üblichen Radarfallen haben wir in den USA nicht ein einziges Mal gesehen, aber mit ihren auffälligen Autos zeigt die Polizei doch deutliche Präsenz.

Die Lkws sind fast immer Sattelschlepper mit gewaltigen Motorhauben. In die Fahrerkabine integriert ist ein gut eingerichteter Raum in der Größe eines kleinen Wohnwagens, wodurch die Fahrer keine Motels brauchen. Größter Hersteller ist MACK. Von den Europäern hat nur Volvo einen kleinen Fuß auf diesem Riesenmarkt. Manche der Trucks werden mit viel Chrom von ihren Fahrern zu Schauobjekten aufgerüstet. Ihre seitlich an den Fahrerhäusern hochgezogenen Auspuffrohre, die Radkappen und die enorm breiten Stoßstangen blitzen in der Sonne.

Nach einer dieser langweiligen Strecken war Myrtle Beach gleich hinter der Grenze zu South Carolina mal wieder eine Erholung für das mit Müdigkeit kämpfende Auge. Durch seine über 70 Golf- und 150 Tennisplätze ist dieser Badeort auch als Tunierplatz unter den Fans bekannt. Sogar die Japaner erscheinen hier wie üblich gleich gruppenweise, um billiger als daheim mit den für unsere Begriffe unsportlichen Golfwagen über die riesigen Plätze zu sausen. Dutzende von Sportgeschäften bieten das richtige Zubehör (Neudeutsch "Outfit") an, damit man auf dem Platz bloß nicht anders aussieht als die mitspielenden Golfer.

Gepflegte Häuser und Hotels an kilometerlangen Stränden bieten Urlaubsfreuden für die gehobene Mittelschicht, aber es locken auch preiswerte Campingplätze die reiferen Teenager an Strände und in die Vergnügungsparks. Die ganz verwegenen Badenixen lassen sich bei Wettbewerben die T-shirts mit Wasser naßspritzen und zeigen darunter auch schon mal, welche die aufregendsten Kurven hat. Aber weiter vor wagt sich im prüden Amerika auch die Tollkühnste nicht. "Oben ohne" am Strand würde sicher im nächsten Kittchen enden. Selbst in nach Geschlechtern getrennten Duschenräumen würde niemand sich ganz entblößen.

Eine der größten Perlen an der Ostküste ist Charleston in South Carolina, das wir an einem Nachmittag über eine unüblich schmale Stahlbrücke erreichten. Die Brücke endete in einer Vorstadt, in der wir ausschließlich nur Schwarze sahen. Im Gegensatz zu früher stellen sie dort heute nur noch knapp die Hälfte der Bevölkerung, denn viele sind nach Norden abgewandert. In Richtung Zentrum wurden die Häuser Block für Block ansehlicher. Immer mehr Weiß mogelte sich ins Schwarz, bis wir schließlich die nur von Weißen bewohnten, prachtvollen Villen erreichten, für die Charleston berühmt ist.

Nudel hatte das noble, kleine "Vendue Inn" mitten in der Altstadt als Bleibe auserkoren, wo aber nur noch die größte Suite zu haben war. Weltmännisch ließ ich mir die Räume zeigen und befand sie für unseren Aufenthalt als angemessen (....weil ich den Preis nicht richtig verstanden hatte). Auch Nudel war einigermaßen verblüfft über meine Spendierhosen, als sie das elegante, 3 m hohe Wohnzimmer mit den stilvollen, alten Möbeln und der Stuckdecke sah. Vor dem Sofa auf dem Tisch stand eine Sherrykaraffe mit Gläsern und Süßigkeiten. Im Kamin flackerte effektvoll ein "amerikanisches" Feuer (elektrisch). Es kämpfte also nicht sinnlos gegen die hier kaum hörbare Klimaanlage an, die uns sonst in all den preiswerteren Motels mit ihrem Rappeln stört. Auf einem Eßtisch am Fenster wurde uns morgens gleich von 2 schwarzen Mädchen das nach unseren Wünschen bereitete Frühstück zusammen mit der Morgenzeitung serviert, die ich zur Freude meiner Nudel aber erst später auf den Fernsehsesseln las. Ähnlich üppig war das Schlafzimmer, dessen zusätzlicher Fernseher sich schamvoll in einem Schrank versteckte. Ein angemessen großes Marmorbad mit Dusche, geräumigem Whirlpool und vergoldeten Armaturen lag zwischen den beiden Räumen.

Etwa 2.000 historische Häuser in den unterschiedlichsten Stilrichtungen sind in dieser Stadt mehr zufällig bewahrt worden, weil man Anfang des Jahrhunderts nach dem Preisverfall der Baumwolle zu arm für ihren Abriß war. Dieses fatale Glück und der später mit dem Aufschwung sofort einsetzende Wille zur Erhaltung macht Charleston (benannt nach Charles II von England) zu einem Kleinod unter den amerikanischen Städten. Einige Straßen sind noch mit Kopfsteinen gepflastert, und die alten Gaslaternen haben stilvoll wieder die elektrische Straßenbeleuchtung verdrängt. Nur Savannah ist hier im Süden vergleichbar sehenswert.

Auffällig sind die "single houses", die nur von einer Familie bewohnt wurden. Zur Straße hin möglichst schmal gehen sie weit in die Tiefe und haben an der Seite mehrere Veranden übereinander, die Piazzas genannt wurden. Bei den ärmeren Leuten war daneben dann nicht mehr viel Platz bis zur Wand des Nachbarhauses. Die Piazzas liegen immer zur Hauptwindrichtung, denn im Sommer wird es dort im Süden überall unangenehm heiß. Wenn man von den amerikanischen Südstaaten spricht, so ist das geographisch nicht ganz korrekt, denn gemeint sind nur die Staaten im Südosten, die im Bürgerkrieg gegen die Yankees im Norden kämpften.

Ursache für diese seltsame Bauweise war die Besteuerung, die nur die Hausbreite zur Straße berücksichtigte. Die wirklich Reichen aber bauten sich prunkvolle Villen, die mindestens an 3 Seiten von Garten umgeben waren. Man findet alle Stilrichtungen, von denen die mit den monströsen Säulen im neugriechischen Stil am meisten auffallen. Diese Säulen sind übrigens wie die Häuser fast immer aus Holz, was man aber erst merkt, wenn man mal dranklopft. Hohe Bäume, auch immer mal Palmen dabei, umrahmen die großen Villen. Die prächtigen Azaleen in den Gärten waren leider schon am Verblühen. Wohl an jedem dritten Haus wurde renoviert, um die Stadt noch schöner zu machen. Das ganzen Gebiet ist Marschland ohne Deiche. Deshalb konnte Hurrikan HUGO vor einigen Jahren große Schäden anrichten, als er Teile der Stadt bis zu 2 m unter Wasser setzte. Auch Erdbeben haben immer wieder für enorme Zerstörung gesorgt. So ist es umso erstaunlicher, wie prächtig sich die Stadt heute ihren Besuchern zeigt.

Nur wenige Kilometer nördlich liegt Boone Hall Plantation, dieser Traum einer Südstaatenfarm, die viele aus dem Film "Fackeln im Sturm" kennen. Ihre etwa 500 m lange, sehr breite Zufahrt wird von knapp 100 enormen Eichen beschattet, deren weitausladende Zweige sich oben zu einem Dach zusammenschließen, von dem wie in einem Zauberwald das Spanish Moss wie grünes Lametta herabhängt. Ganz am Ende liegt das sehenswerte Haupthaus aus Backsteinen mit den typischen Säulen davor. Die runde Auffahrt ist mit kleinen Gärten zu beiden Seiten hübsch eingefaßt. Neben dieser Eichenallee stehen noch die Sklavenhäuser, deren Bewohner auf den Baumwollfeldern die Voraussetzungen für diesen Reichtum schafften. Sie waren es auch, die den berühmten Tanz mit dem Namen dieser Stadt als erste tanzten. Heute werden hier Erdbeeren und Nüsse angebaut, die reichlich teuer in den Läden von Charleston angeboten wurden. Hinter dem Anwesen verläuft ein Fluß, auf dem man bis zum Meer fahren kann. Unter den Bäumen luden uns Bänke zum Frühstück ein, aber winzige Stechfliegen mit juckendem Biß mißbrauchten unsere bloßen Arme und Beine zur unerwünschten Blutabnahme, so daß wir schnell wieder ins Auto flüchteten.

Nur 30 km südlich liegt Hilton Head, die eindruckstvollste amerikanische Ferieninsel. Nudel kam schon kurz vorher auf ihre Kosten. Gleich 2 Einkaufszentren mit über 60 Outlet Stores warteten auf die gut gefüllten Geldbörsen der kaufsüchtigen Managerfrauen, die mit ihren Männern auf dieser nicht ganz billigen Insel Urlaub machten. Wir hatten solche Läden, die angeblich die Überhänge der bekanntesten Markenhersteller verramschen, schon letztes Jahr in Maine kennengelernt, ohne daß meine Nudel Zeit genug zum Einkaufen hatte, weil ich mit dem Schiff immer genügend Abstand zu den Zentren halten konnte. Hier war das nicht möglich, denn ins Paradies von Hilton Head führte nur eine einzige Straße. Und genau dort hatten diese Frauenverführer ihre Fallstricke ausgelegt. Es sind speziell auf bekannte Markenartikel ausgerichtete Einkaufszentren, wie in USA üblich mit vielen Parkplätzen zwischen den Läden. Die Wege vor den Schaufenstern sind überdacht, Restaurants und Toiletten fehlen auch nicht. Jeder Laden verkauft nur Produkte von einem Hersteller und zwar keineswegs nur Bekleidung. Auch "Samsonite", "Seiko" oder "Royal Kopenhagen" sind z.B mit ihren ganz unterschiedlichen Produkten vertreten. Ich glaube jedoch nie und nimmer, daß es sich hierbei wirklich um Ausverkaufsware handelt, denn dafür gibt es viel zu viele dieser Zentren über das ganze Land verstreut. Aber Nudel schleppte immer mehr Einkaufs-tüten in unseren Kofferraum und schwor Stein und Bein, daß alles soooo viel billiger sei. Leider ist diese Pest unlauteren Angebots nun auch bei uns daheim das Leben zusätzlich aus den Städten saugen. Metro und Konsorten sind da nur die Vorreiter beim Abzocken auf der "grünen Wiese".

Die Insel Hilton Head ist etwa 20 km lang und bis zu 8 km breit, total bewaldet und zum Meer mit schönsten Stränden umgeben. Auf der Landseite liegen am hier vorbeiführenden ICW einige teure Marinas vorwiegend mit Motoryachten. Die Gesamtfläche ist in etwa ein Dutzend "Plantations" unterteilt, die man fast alle nur mit Erlaubnis und an einem uniformierten Wächter am pompösen, blumenverzierten Eingang vorbei passieren kann. Dahinter liegen weitläufige, parkartige Flächen mit Sommervillen an Wasserläufen und stets unter Bäumen. In den Wald schlug man Lichtungen für die schönsten Golfplätze, die man sich vorstellen kann. Über 30 davon gibt es auf der Insel, dazu Tennisplätze en gros, Reitwege und nur wenige Hotels der Spitzenklasse. Alles ist deutlich mehr für die dicker gefüllten Gelbörsen erbaut.

Das prachtvolle Savannah hatten wir schon mit dem Schiff ausgiebig besucht, und so fuhren wir jetzt daran vorbei durch Georgia nach Florida, wo uns ganz im Norden das spanische St. Augustin reizte. Schon 1513 landete hier Ponce de Leon, ein Gefährte von Columbus. Er kam aus der Kolonie Puerto Rico, suchte nach dem Jungbrunnen und begründete nach damaliger Rechtsauffassung den spanischen Besitzanspruch auf dieses Land. Die Innenstadt ist noch deutlich von dieser Zeit geprägt. Die Häuser haben ähnlich schöne Balkone mit Blumen, wie wir sie von Puerto Rico kannten. Das Rathaus, die Kirchen und die Plätze mit ihren Bäumen sind typisch spanisch. Der Eisenbahnkönig Flagler machte die Stadt zum südlichen Zentrum seiner neuen Bahnlinie und baute für seine Fahrgäste vor über hundert Jahren 3 riesige Hotels, die sich dem bestehenden Baustil sehr gut anpaßten. Während der Rezession wurden alle 3 vom Staat aufgekauft, und das größte ist heute wohl das prunkvollste College, das man sich vorstellen kann. Leider durfte man nur die Eingangshalle besichtigen, deren Glanz noch heute verrät, welche Bedeutung so ein Eisenbahnbaron damals gehabt haben muß. Eine protzige Treppe, deren Mosaikfußboden auf Latein den Reisenden grüßte, geleitete uns zu dem von einer gewaltigen Kuppel gekrönten Ballsaal. Er war so groß, daß die heutige Mensa nur einen kleinen Teil davon ausfüllt. Etwa 200 m im Quadrat mißt das imposante Gebäude. Die beiden anderen ehemaligen Hotels gleich gegenüber am selben Platze sind heute Gericht und Museum. Die große Zeit der Eisenbahn ist hier in Amerika noch mehr eine längst verblassende Legende als in Europa.

Eigentlich wollten wir nun nach Westen bis nach New Orleans, aber wir schauten uns jeden Abend im Motel den Wetterkanal an, der täglich 24 Stunden außer Werbung sehr instruktiv das Wettergeschehen und Bilder von Naturkatastrophen bringt. Seit Tagen wüteten weiter westlich Gewitter und Tornados. Sie hatten eines unserer geplanten Ziele, Nashville, die Heimat der Country Music, schwer getroffen. Amerika ist schon wegen seiner Größe ein Land dauernder Naturkatastrophen: Blizzards im Winter, Hurrikans im Sommer, dazwischen jedes Jahr an die 1.000 Tornados häufig zusammen mit unvorstellbar starken Gewittern und sintflutartigem Regen, der häufig schwere Überschwemmungen nach sich zieht.

Diese Tornados sind winzige Wirbelstürme von kaum hundert Metern Durchmesser, die aber bei Windgeschwindigkeiten bis zu 400 km/h eine alles vernichtende Kraft haben. Da die Häuser hier überwiegend nur aus Holz sind und fast nie einen im Notfall schützenden Keller besitzen, gibt es auch immer allerhand Tote. Erschwerend kommt hinzu, daß immer mehr ärmere Amerikaner heute in den billigen Mobile Homes wohnen, die von so einem Tornado einfach in die Höhe gesogen werden und dann beim Absturz total zerschellen. Ganze Wohnsiedlungen aus diesen Häusern auf Rädern gleichen danach einem Müllplatz. Alles liegt platt am Boden.

Solche "Häuser" sind etwa 15 m lang und 2,5 m breit. Durch Zusammenstellen von 2 dieser Teile erreicht man auch die doppelte Breite. Auf eigenen 3 Achsen werden sie zu ihrem Standplatz gebracht, wo sie dann häufig direkt neben dem lauten Highway ohne jeden Baum und Strauch stehen, bis sie auseinanderfallen. Offenbar sind sie steuerlich günstiger als gleichgroße Holzhäuser auf festen Fundamenten, denn trotz der Räder werden sie später kaum jemals wieder bewegt, wenn sie nach dem Kauf erst einmal auf ihrem Stellplatz stehen. Die Reifen wären dafür nach Jahren in der Sonne auch viel zu rissig.

Außer dem schlechten Wetter im Westen störte uns auch die eintönige Fahrerei durch die schon geschilderten, schnurgeraden Waldschneisen. So fuhren wir wieder nach Norden, dieses Mal aber nicht an der Küste, sondern weiter ins Land hinein. Gleich an der Grenze zu Georgia liegt der Okefenokee Swamp, und schon auf dem Wege dorthin summten wir das Lied "Way down upon the Suwannee River". Dieser Fluß hat hier in den Mooren seinen Ursprung und fließt nur träge zum Golf von Mexiko, denn der Höhenunterschied beträgt lediglich 40 m auf einigen hundert Kilometern.

Vor hundert Jahren versuchte eine Gesellschaft, zum Glück erfolglos, dieses Naturparadies trocken zu legen, um einfacher an die überall wachsenden, wertvollen Zypressen heran zu kommen, aus deren Holz man Terpentin gewann. Auch die Alligatoren rottete man fast aus, um ihre Haut den Frauen als Taschen an den Arm zu hängen. Geblieben sind etwa 12 km lange Kanäle, auf denen wir mit einem Motorboot langsam durch die Sumpflandschaft glitten. Die Zypressen brauchten ein Jahrhundert, um sich einigermaßen zu erholen. Von den angeblich heute wieder 10.000 Alligatoren ließ sich nur ein einziger faul auf einer Schilfinsel in der Abendsonne liegend von unseren Kameras einfangen. Auf flachen Seen schwammen Millionen Seerosen, Lilien und Wasserhyazinthen. An den Ufern verharrten große Reiher stundenlang auf einem Bein stehend, bis ihr spitzer Schnabel pfeilschnell nach einem Fisch griff. Auch hier wurden die Bäume wieder vom Spanish Moss zu einem Märchenwald verzaubert. Überall surrten große Libellen wie Kleinsthubschrauber um uns herum.

Wir schliefen in Folkstone, einem dieser kleinen, armseligen Nester, die so viel Trostlosigkeit ausstrahlen, daß nach unserer Meinung nur das Fernsehen die Menschen noch vom Selbstmord abhalten kann. Ein richtiger Ort ist so eine Ansammlung von Häusern nach unserem Verständnis eigentlich nicht. Eher stehen einige weit verstreute Holzhütten direkt am Highway wie zufällig zwischen den 3 Motels, 2 Tankstellen und einem kleinen Supermarkt, und bilden so das Versorgungszentrum der Umgebung. Alle Stunde donnerte ein Zug mit 2 Lokomotiven und an die 100 Güterwagen durch den Ort und sorgte mit seiner ohrenbetäubenden Fanfare dafür, daß das Leben nicht ganz einschlief. Nur schnell weiter nach Nordwesten durch den nie endenden Wald. Endlich mal wieder gerodete und neu aufgeforstete Flächen, leider fast nur Nadelbäume. Wirtschaftlich genutzt wird dieser Überfluß also doch, was ja auch bei dem enormen Verbrauch an Bauholz eine Notwendigkeit ist.

Nirgendwo sonst auf der Welt habe ich die Straßenschilder so in mich aufgesogen wie hier, wo sie häufig das Einzige sind, das die Aufmerksamkeit des Fahrers auf sich zieht. So kenne ich nun all die Clubs und Schulklassen dieser Gegend mit Namen. Nach dem Motto "Adopt a Highway Patrol" sorgen sie dafür, daß alle Straßen so blitzsauber sind. Spezielle Straßenschilder verkünden, wer denn an diesem Teilabschnitt gerade zuständig ist. Offenbar will sich niemand blamieren, und deshalb würde ich auch in Deutschland lieber tausende dieser Straßenschilder zählen als die dort herumliegenden, leeren Bierdosen.

Endlich verbreiterte sich die Straße von 4 auf 6, dann 10, ja schließlich 14 Fahrspuren: Atlanta nahte mit seinen kreuzungsfreien Super-Highways, die das ganze Stadtgefüge in Inseln zerschnitten. Die inneren Fahrspuren waren nur Bussen und Autos mit mindestens 2 Insassen vorbehalten. Aber sie blieben ziemlich ungenutzt, weil es fast nur Autos mit Einzelpersonen gab. Wir bildeten da schon eine Ausnahme, trauten uns aber nicht so weit zur Mitte, um nicht die Abfahrt nach Downtown, dem Zentrum, zu verpassen. Zum Glück war Wochenende und der Verkehr eher verhalten.

Nudel hatte wieder das am besten gelegene Motel mitten zwischen allen Sehenswürdigkeiten ausgewählt, und mit unserer ADAC Karte bekam ich wie überall den Sonderpreis für "Tripple A" (AAA), wie der amerikanische Automobilclub heißt. Der große Nachrichtenkanal CNN hatte sein Hochhaus direkt nebenan, und gleich davor lag der Omni-Park, wo 1996 während der Olympiade eine Bombe hochging. In gläsernen Studios konnte man den Sprechern bei der Arbeit zuschauen, wenn sie zwischen den endlosen Werbeblöcken mal schnell ein paar Brocken Innenpolitik unters Volk warfen. Außenpolitik fand in den amerikanischen Medien nach unserem Empfinden nur Beachtung, wenn sie direkt mit den USA oder Israel zu tun hatte.

Atlanta ist heute das absolute Zentrum der Südstaaten. Die Olympiade hat das nur noch deutlicher unterstrichen. Interessant aber fanden wir die Stadt trotz ihrer vielen, plätschernder Brunnen und rauschender Kaskaden monströser Wasserorgeln keineswegs. Die Innenstadt ist zwar wie die vieler anderer Städte ganz hübsch gestaltet, aber es fehlen einfach die Menschen. Es gibt an den Straßen kaum interessante Schaufenster und nur wenige Restaurants, die zum Lustwandeln einladen würden.

Immerhin lag neben unserem Motel eine Filiale des viel gerühmten "Planet Hollywood", das Arnold Schwarzenegger und einigen anderen Filmschauspielern gehört. Auch Hamburg soll gleich am Rathausmarkt einen Ableger bekommen, und so sahen wir uns diese Traumfabrik mal an, die auf 3 Stockwerken zwischen reichlich vielen Fernsehbildern, Figuren aus Hollywoodfilmen und Souveniershops auch reichlich bis auf den letzten Platz gefüllte Tische hatte. Größter Gag war ein an Seilen im Treppenaufgang hängender BMW-Sportwagen neuester Bauart, und allein den hielten wir an dieser Monsterschau für sehenswert.

Heide und Günther auf Landausflug

Außer CNN haben noch 2 andere Weltfirmen hier ihren Hauptsitz. "Delta Airlines" hat den wohl vorbildlichsten Flughafen der Welt für seine Riesenflotte. Die 4 parallel angelegten, langen Flugsteige verbindet eine unterirdische Bahn, die vollautomatisch und ohne Fahrer alle Passagiere schnellstens zu ihrem Weiterflug bringt. Das andere Weltunternehmen hat sich selbst in einem Museum ein Denkmal errichtet: "Coca Cola". Wie oft hatte man uns schon einige "Märker" für diese klebrige Brause aus den Taschen gezogen, und jetzt verlangte man noch 11 Mark Eintritt für eine miese Selbstbeweihräucherung. Das "Museum" war das Geld nicht wert, denn außer einer kleinen Abfüllanlage, diversen Cola-Flaschen aller Zeiten, allen Werbetafeln der letzten 100 Jahre und einem dürftigen Filmchen gab es nichts zu sehen. Eine Anzeigetafel zeigte uns den letzten Stand der bisher verkauften "Coke"-Portionenen, woraus ich errechnen konnte, daß es weltweit bald eine halbe Million pro Minute sein müssen.

Unbedingt gesehen haben muß man das Innere des Hotels "Marriott Marquis". Wie eine Pyramide verjüngt sich die 47 Stockwerke hohe Halle nach oben. An einem Turm in der Mitte sausen die Fahrstühle zu den 1.700 Zimmern, die alle über innen liegende Laubengänge zu erreichen sind. Nur wer absolut schwindelfrei ist, sollte von ganz oben über das nicht allzu hohe Geländer nach unten blicken.

Architektonisch gekonnt ist auch das High Museum of Art. Die 4 Stockwerke sind in der Eingangshalle über lange Schrägen ohne Treppen miteinander verbunden. Wir schauten uns die umfangreiche und mit vielen Erklärungen sehr informative Ausstellung über Tolouse Lautrec an. Die lehrbuchhafte Führung des Besuchers durch die Exponate beherrschen die amerikanischen Museen vorbildlich. Die Bilder werden nach dem Informationszweck zusammengestellt, wichtige Herstellungstechniken mit den dafür notwendigen Werkzeugen erklärt und so in die Biografie des Malers eingewoben, daß selbst die hartnäckigsten Kulturbanausen davon etwas haben. Die übrige Ausstellung fanden wir allerdings gewöhnungsbedürftig, denn es war ein kunterbuntes Sammelsurium von Bildern, Plastiken, Möbeln und Happenings, deren Zusammenhang wir leider nicht verstanden haben.

Ein letzter Abstecher führt uns nur kurz in die Great Smoky Mountains, einem südlichen Ausläufer der Appalachen. Im Indianerort Cherokee bietet der hier seit 10.000 Jahren ansässige, gleichnamige Indianerstamm alles an Kitsch, was der Tourist in seiner Vorstellung mit Indianern verbindet: Federtracht, Mokassins, Tomahawk, Pfeil und Bogen und natürlich die Friedenspfeife. Wir flüchteten ziemlich schnell aus dem Reservat höher hinauf in die Berge, wo wir auf 1.500 m allerdings vor Nebel die Straße nicht mehr sahen und umkehren mußten.

Am nächsten Tag hatten wir mehr Glück. Bei Sonne fuhren wir auf dieser Bergrückenstraße mit weiten Ausblicken ins Land etwa 100 km nach Norden. Es war noch lausig kalt in dieser Höhe, die Bäume noch grau und ohne grüne Vorboten des Frühlings, der unten in der Ebene schon alles üppig sprießen ließ. Wir waren leider zu früh hier. Erst im Juni blühen wie Unkraut die überall wachsenden Rhododendronbüsche. Unser Panorama-Frühstück konnten wir bei schneidend kaltem Wind nur im Eiltempo herunterschlingen. So fuhren wir eilends wieder in die Ebene und waren auf schneller Straße am Nachmittag des 12. Reisetages zurück auf unserer PUSTEBLUME, die immer noch in der Nähe von Norfolk darauf wartete, daß es endlich wieder nach Norden ging. Während ich die letzten Arbeiten am Schiff machte, schleppte Nudel 3 Tage enorme Mengen Proviant an Bord, die unsere leeren Stauräume problemlos schluckten.

Am letzten Apriltag endlich warfen wir die Leinen los und tuckerten über die restlichen 15 sm des ICWs in die Chesapeake Bay, die wir im Vorjahr nur kurz gestreift hatten. Etwa 300 km ist dieses eiszeitliche Urstromtal lang. Im Süden an die 20 km breit wird die Bucht nach Norden immer schmaler und mündet in einen Kanal, der sie ohne Schleusen mit dem Delaware River verbindet. An den Ufer liegt meilenweit flaches Marschland, das von zahlreichen Flüssen entwässert wird, auf denen man weit ins Hinterland fahren kann. Jeder Fahrtensegler, der dieses verästelte Gewässer auf der Seekarte sieht, ist auf Anhieb begeistert, denn es gibt hunderte von Ankerplätzen.

Das Gebiet ist relativ dünn und an den Ufern oft nur mit Ferienhäusern besiedelt. Das sind allerdings nicht selten beeindruckende Traumvillen auf wunderschön gelegenen Grundstücken. Jede hat ihren eigenen Steg mit dazugehörigem Boot vorm gepflegten Rasen. Nach wenigen Stunden erreichten wir die erste dieser Luxusbuchten am East River und ankerten vor einem stilvollen Hotel. Etwas Regen vertrieb uns unter Deck, was wir noch ganz gelassen hinnahmen. Wir ahnten noch nicht, daß uns der Regen 5 Tage fast ununterbrochen unter Deck festhalten würde. Eine kanadische Kaltfront sorgte dafür, daß tagsüber pausenlos die Heizung laufen mußte. Immerhin hatte ich Muße, den ersten Teil dieses Berichtes zu schreiben, der so frisch aus der Erinnerung gewiß etwas lang geworden ist. Bei Nudel sank die Stimmung unter den Gefrierpunkt. Sie wollte mich nicht mal begleiten, als ich dick vermummt mit dem Dingi die kleinen Nebenbuchten erforschte, an denen in leichter Hanglage wirklich eindrucksvolle Villen standen. Ihre exponierte Lage wurde häufig noch durch aufwendige Gartenanlagen betont. Irgendwo knatterte immer ein Rasenmäher, der die weiten Grünflächen auf Ideallänge hielt. Bei der Größe der Häuser war es schwer vorstellbar, daß sie monatelang nicht genutzt wurden.

Ein großer Nachteil fast überall an der Ostküste ist für uns Segler der totale Ausverkauf der Landschaft. Selbst in den Ortschaften ist es häufig schwierig oder nur gegen Gebühr möglich, mit dem Beiboot an Land zu gehen. Jeder Meter Ufer ist Privatgrund mit entsprechenden Warnschildern, dort ja nicht festzumachen. Nudel hatte zum Glück eine Spezialkarte besorgt, auf der alle öffentlichen Stege verzeichnet waren. Aber es erwies sich dann trotzdem häufig als sehr schwierig, unter mehreren dutzend Privatstegen den einzigen, öffentlichen herauszufinden. Erst langsam lernten wir, daß dort die Hinweisschilder mit ihren obligatorischen Warnungen zum Land zeigten, während die privaten Schilder natürlich gegen "Angreifer" zum Wasser gewandt sein mußten. Hatten wir dann erst mal festen Boden unter den Füßen, konnten wir nur auf den wenigen, öffentlichen Straßen wandern, denn die fast alle ebenfalls privaten Wälder sind auch mit solchen Verbotsschildern gespickt. Unsere deutsch-amerikanischen Freunde waren an diese Bewegungsfesseln schon so gewöhnt, daß ihnen dieser Mangel erst durch unsere Fragen bewußt wurde. Wie frei sind wir da doch an Europas Küsten, obwohl wir alle so viel enger beieinander leben müssen. Aber wir sind daran derart gewöhnt, daß wir diese Freiheit für selbstverständlich halten.

Nach dieser Regenwoche brachte der Sommer fast nur noch schönes Wetter, das wir sehr bewußt genossen, denn jeden Morgen hörten wir von unserem Funkfreund Hans-Herbert in Kiel, wenn die Förde in diesem Regensommer gerade wieder unter Schauern verschwand. Vier Wochen lang haben wir zahlreiche Ankerplätze in häufig wirklich zauberhaften Buchten besucht, aber die mangelhafte Landverbindung störte uns doch sehr. Ein einziges Mal wurden wir von Fremden eingeladen, an deren Steg festzumachen. Das hatten wir uns bei den doch so offenen Amerikanern ganz anders vorgestellt. Nicht einmal an den Stegen der Yachtclubs durften wir unser Dingi für einen Landgang festmachen.

So genossen wir die Tage am Steg unserer Freunde Nancy und Burger ganz besonders, die nahe dem Seglermekka Annapolis im schönsten Teil der Chesapeak Bay wohnen. Wir hatten die Beiden vor Jahren in der Südsee kennengelernt und vor 2 Jahren zufällig in der Karibik wiedergetroffen. Nun wollten wir sie endlich mal in ihrem Haus besuchen, von dessen Lage sie uns so viel vorgeschwärmt hatten. Sie hatten nicht übertrieben, denn alle Häuser liegen dort am Hang und im dichten Laubwald. Sie haben durch schmale Lichtungen wunderschöne Ausblicke auf ihre Bootsstege an den keine 100 m breiten Seitenbuchten des Severn Rivers. Das Wasser ist überall auch für die 2,20 m, die wir brauchen, tief genug, so daß wir mit Heckleinen zum Steg direkt davor ankern konnten. Der Waldweg zum Haus ging durch Wasserlilien am Ufer und weiter in Serpentinen etwa 100 m den Hang hinauf, wo wir abends beim obligaten Grillen auf der herrlichen Terrasse mit Blick auf unsere Schiffe in deutscher Runde Seemansgarn spinnen konnten.

Eine kulinarische Spezialität hier sind die Krebse, die wir gleich unten am Steg fangen konnten. Viel dran ist an den Krabbeltieren nicht, aber sie werden beim Kochen besonders stark gewürzt, so daß der brennende Gaumen reichlich mit Bier gekühlt werden muß. Der Tisch wird vorher mit Packpapier abgedeckt, denn man ißt mit allen 10 Fingern und hat schließlich einen Berg von Abfällen vor sich liegen, der mit den Papptellern und dem Plastikbesteck am Ende gleich in diese Papiertischdecke eingewickelt in den Müll kommt. Nur die kräftig riechenden Hände muß man noch mal gründlich waschen.

Es gibt an der Chesapeake Bay einige recht hübsche Orte wie Oxford, St. Michaels oder Annapolis, aber noch weit mehr wirklich schlimme Städte mit toten Innenstädten. In Cambridge waren etwa 80 % der kleinen Läden geschlossen. Nur noch 2 Beerdigungsinstitute, ein Taxiunternehmen und ein kleiner Krämer waren übrig geblieben, als die Mall vor der Stadt die Kaufkraft abzog. Die Häuser an der Hauptstaße waren verkommen, in den Nebenstraßen wohnten nur Schwarze. Noch schlimmer fand ich Norfolk, immerhin der größte Militärhafen der USA. Anlanden per Dingi war selbst für 2 Stunden nur im fast leeren, städtischen Yachthafen für etwa 8 Mark möglich. Gleich daneben lag ein kleines Einkaufszentrum mit einem Dutzend Läden und einigen Restaurants. Das sah noch ganz einladend aus. Nicht weit entfernt direkt im Zentrum lockte an der Main Street der großartig aufgemachte Eingang einer Einkaufpassage. Die etwa 30 Läden hatten alle ganz unterschiedliche, interessant gestaltete Fassaden und Eingänge, aber kein Käufer war weit und breit zu sehen. Erst auf den zweiten Blick bemerkte ich, daß alle Schaufenster leer waren. Kein einziger Laden war noch vermietet.

Am Ende der Passage kam ich auf die nächste "Geschäftsstraße". Gleich gegenüber lud mich ein luxuriöser Eingang mit weißem und schwarzem Marmor in die nächste Passage ein. Ebenfalls leer! Ganze 5 der ehemaligen Läden waren als Büros vermietet. Dahinter war ein großes Einkaufszentrum mit 150 Läden, 2 Kauf-und Parkhäusern im Bau. Für wen bloß? Die Straßen waren gähnend leer, viele Restaurants und sogar 2 Hotels verfielen bereits. Drei andere Hotels hatte man zu Obdachlosenheimen umgestaltet, und ihre herumlungernden Bewohner brachten wenigstens etwas Scheinleben auf die Straße. Dabei wirkten die kleinen Parks und auch die Straßen durchaus gepflegt. Aber die Angestellten in den glänzenden Bürohochhäusern fahren morgens vom Parkhaus gleich mit dem Fahrstuhl zu ihrem Büro, und abends verlassen sie diese kaum noch Stadt zu nennende Ansammlung von Häusern auf gleichem Wege, ohne einen Fuß auf die Straße gesetzt zu haben. Sie fahren über breite Stadtautobahnen hinaus zu ihren Häusern in gepflegten Parkvorstädten, wo es überall Einkaufszentren mit riesigen Parkplätzen gibt.

Daß sie damit ihre ehemals gewiß auch interessanten Städte zerstört haben, wissen die meisten nicht einmal mehr, weil nur wenige Amerikaner auf Auslandsreisen den Unterschied kennenlernen. In einer Stadt wie im nicht allzu weit entfernten, kanadischen Quebec, das noch viel vom Flair europäischer Städte hat, flippen die Amis deshalb unter lauter "how beautiful" fast aus. Unsere frühere Meinung, daß unsere deutschen Kommunalpolitiker kein Geld für Auslandsreisen ausgeben sollten, müssen wir heute dahingehend revidieren, daß sie sich unbedingt diese "Ex-Städte" in Amerika ansehen sollten, damit wir vor solchen Fehlplanungen bewahrt werden.

Nach 4 Wochen auf der Chesapeake Bay schob uns ein günstiger Wind den Delaware River hinauf nach Philadelphia im Staate Pennsylvania. Nach dem ziemlich enttäuschenden Baltimore einige Tage zuvor war das nun endlich mal wieder eine Stadt nach unserem Geschmack. Stadtteilnamen wie Germantown und Frankford zeigten uns sofort, daß der deutsche Einfluß hier mal recht stark gewesen ist. So waren wir über Bäcker mit europäischem Brot und einem Marktstand mit allerhand typisch deutschen Wurst- und Käsesorten nicht weiter erstaunt. Die deutsche Markenbutter für 10 Mark das halbe Pfund war uns dann noch etwas zu teuer. Im allerneuesten, sehr noblen Einkaufszentrum, das sogar mitten im Zentrum liegt, hatte gerade die deutsche Parfümeriekette "Douglas" ihr erstes Standbein auf amerikanischen Boden gesetzt.

Society Hill, das ehemalige Wohnviertel der Handwerker, ist heute das Eppendorf (Hamburger "In"-Viertel) dieser 2-Millionen-Stadt. Die schmalen, bestens restaurierten Einfamilienhäuser haben dort allerdings meistes nur 2 Stockwerke. Viele haben kleine Eingangstreppen mit den schen Metallbügeln zum Säubern der Schuhsohlen, und gleich daneben die ausladenden Klappen über dem früher nur von außen zugänglichen Keller. Diese Klappen, die Fensterläden und Türen leuchteten in kräftigen, weiß abgesetzten Farben. Im 1. Stock machten die vielen amerikanischen Flaggen das Bild noch bunter. Vor einem Haus flatterte sogar die Fahne Niedersachsens neben heimischem Schwarz-rot-gold. Schattige Linden sorgten für angenehme Kühle im recht heißen Sommer. Auch hier hat man häufig das alte Kopfsteinpflaster belassen. Die meisten dieser Häuser sind nach den Erfahrungen vieler Brände aus Backsteinen erbaut und haben nach hinten winzige Gärten. South Street, die quirlige Einkaufsstraße des Viertels, hat noch viele der kleinen Läden, wie wir sie von unseren traditionellen Stadtvierteln noch gewohnt sind. In Amerika ist das aber schon erwähnenswert, denn dort findet man solch intakte Infrastruktur nicht mehr in so vielen Orten.

Unbedingt gesehen haben sollte man das Kaufhaus "Wanamaker", das 1910 im Renaissancestil erbaut wurde. Den Mittelpunkt bildet eine prunkvolle, von enormen Säulen gestützte, fünfstöckige Wandelhalle, die von einer riesigen Kirchenorgel beherrscht wird. Herr Wanamaker ließ damit seine gut betuchte Kundschaft unterhalten, denn Philadelphia war damals eine bedeutende Industriestadt. Heute ist dieses herrliche Kaufhaus allein unter dem finanziellen Dach einer großen Kaufhauskette noch zu retten, und die sonore Orgel versetzt nur noch zweimal am Tag das stattliche Gebäude in leichte Schwingungen.

Es gibt von hier aus zwar einen Kanal nach New York, aber der ist leider viel zu flach für unser Schiff. So mußten wir wieder 2 Tage lang den Delaware River hinab, um übers Meer an an der Spielerstadt Atlantic City vorbei weiter nach Norden zu kommen. Donald Trump gehören gleich 4 der großen Casino-Hotels, die fast alle an einer 10 km langen Strandpromenade aufgereiht liegen. Wie in Las Vegas kann man keinen Schritt durch die Hotels gehen, ohne an den Spielautomaten vorbei zu kommen. Mit ihren Prunkfassaden und der monströsen Dekoration der Casinos sind beide Spielerstädte durchaus vergleichbar. Atlantic City ist allerdings gleich hinter den Casinos im Gegensatz zu Las Vegas so ärmlich, daß wir uns wunderten, wo all die Steuern der Spielhöllen bleiben. Auch die Marina für 125 Mark pro Nacht gehörte Trump, und um ihn nicht noch reicher zu machen, blieben wir nur 2 Nächte.

In New York gönnten wir uns wieder eine Woche an den Moorings auf dem Hudson River, wo es uns an der 79. Straße schon im vorigen Jahr so gut gefiel. Es gibt gewiß keine andere Stadt, die so vielseitig ist, und so findet jeder Besucher immer neue, reizvolle Ziele. Mal trieb uns der Regen ins MOMA (Museum of Modern Art) mit seiner riesigen Sammlung moderner Kunst, von der aus Platzgründen immer nur 10 % gezeigt werden kann. Wenige Tage später war es mit 40°C so heiß, daß wir uns die angenehme Klimaanlage des MET (Museum of Art) im Central Park gönnten. Das Museum zeigt Kunstgewerbe aller Völker, aber auch in anderen Abteilungen die großen Maler wie Titian und Rembrandt in so einer Vielfalt, daß man Tage nur für einen Überblick braucht.

Tagsüber schlenderten wir zu Nudels Freude auch mal wieder durch die Edelboutiquen an der 5th-Avenue oder rauschten mit dem Expreßzug bis ans andere Ende Manhattens zur Wall Street, um den Händlern an der berühmten Börse mal auf die Finger zu schauen. In 4 benachbarten Sälen haben die Brokerhäuser an den Rändern ihre Stände. Die Order der Kunden geben sie über Funk sofort an ihre Händler weiter, die mit Kopfhören und Mikrofon auf dem sogenannten Parkett die Pavillons in der Mitte umkreisen. Jeder Pavillon hat etwa 10 kreisförmig angeordnete, kleine Verkaufsstände, die jeweils mit nur circa 20 Spezialaktien handeln. Ihre momentanen Kurse zeigen sie auf Bildschirmen an. Dieser Parketthandel wird streng kontrolliert. Kleine Aufträge müssen bevorzugt abgewickelt werden. Der geringe Anteil deutscher Werte spielt nur eine untergeordnete Rolle. Zu klein sind unsere Multis Siemens oder Daimler-Benz im Konzert der Giganten von Microsoft bis General Motors. Der Besucher hinter den Scheiben auf der Galerie kann nur ahnen, daß hier ständig Milliardenbeträge hin- und hergeschoben werden.

Sehr interessant sind auch die Wohnviertel der verschiedenen Einwanderer. In Harlem ist man plötzlich nur noch unter Schwarzen. Ich ruhte mich bei einer Radtour auf einer Parkbank aus, neben der eine recht hübsche Schwarze neben ihrem Mann zum Sonnen auf dem Rasen lag. Der kam plötzlich zu mir, um mich zu fragen, ob ich mal 10 Minuten auf seine Frau aufpassen könne, denn er müsse mal kurz weg. Das habe ich dann auch brav gemacht, ohne genau zu wissen, was ich denn im Fall der Fälle hätte tun sollen. Die ganze Zeit hat mich die Frage beschäftigt, warum der Schwarze gerade mich um diesen Gefallen bat. Sah ich so ehrlich aus, oder hielt er mich wegen meiner grauen Haare für jenseits von gut und böse?

Ein unbedingtes Muß ist ein abendlicher Besuch am Times Square. Dutzende von Theaternstücken und Musicals laufen hier jeden Abend. Die am Tage schon gut besuchten Straßen sind abends selbst nach 22 Uhr noch so voll, daß man ständig in der Menge vorwärts geschoben wird. Wir ergatterten als Ausländer noch mit viel Glück Karten für das Musical "The Lion King", das Walt Disney mit der Musik von Elton John stilvoll in einem wunderschön restaurierten, alten Theater präsentierte. Die passenden Plüschtiere zum Stück gab es zu Hauf im Foyer. Aber Disney hat wie Coca Cola oder Planet Hollywood ohnehin überall an den markantesten Punkten der Stadt riesige Läden mit Souvenirs und Filmkitsch.

Zwar gibt es in Manhatten reichlich Taxis, aber besonders im Feierabendverkehr fährt man besser mit einer der zahlreichen U-Bahnlinien. Wir stiegen mit 2 anderen deutschen Seglern am späten Nachmittag in einen ziemlich vollen Zug, in dem sich ein Farbiger gleich auf 3 Plätzen räkelte. Auf meine Bitte, doch wenigstens einen Platz frei zu geben, reagierte er nicht. Als ich seine Füße von der Bank schob, schlug er sofort wie ein wildes Tier zu. Alle Fahrgäste flüchteten panikartig in den hinteren Teil des Wagens. Aber unser Freund Gerd, ehemals Amateurboxer, half mir, den Kerl in Schach zu halten. Auf der nächsten Station wollte er sich verdrücken, rannte aber in eine Sackgasse des Bahnsteigs, wo es keinen Ausgang gab. Nun kam uns auch ein Amerikaner zur Hilfe, und gemeinsam informierten wir einen der Zugbegleiter, der über Funk die Polizei rief. Die brauchte beschämende 25 Minuten, bis sie dann allerdings sehr massiv auf den Bahnsteig stürmte und den Angreifer in Handschellen abführte. Solange stand der gesamte Verkehr auf dieser Strecke. Es zeigte sich, daß auch noch Zivilstreifen im Zug waren, die aber nicht aktiv eingriffen.

Für ein Protokoll fuhren wir mit aufs Revier. Aus den TV-Filmen "Einsatz in Manhatten" hatten wir ja schon ein ziemlich düsteres Vorurteil von so einer Wache, aber die Wirklichkeit war noch viel schlimmer. Im Vernehmungszimmer stand lediglich ein uralter Schreibtisch neben einem Stapel ramponierter Stühle. Mit Mühe fand der Polizist darunter für uns noch einige, die nicht total demoliert waren. An den beschmierten Wänden hingen überall lose Zettel. Eine Tür hatte man zugemauert, ohne die Steine zu verputzen. Die Tapeten müssen wohl schon zur Zeit der Prohibition geklebt worden sein. Immerhin gab es einen Cola-Automaten, und der Polizist spendierte mir eine eiskalte Dose, damit ich meine Beule am Kopf kühlen konnte. Alle entschuldigten sich für diesen Vorfall und versicherten, daß so etwas heute eine Ausnahme in New York sei, was wir bei der überall deutlichen Polizeipräsenz durchaus glaubten. Abends rief mich sogar noch die Staatsanwaltschaft an und bekräftigte unseren unverädert positiven Eindruck der heutigen Sicherheitsverhältnisse.

Meine Beule war schon vergessen, als wir vollgepackt mit Eindrücken durch den East River in den Long Island Sound segelten. Dieses Jahr hatten wir viel mehr guten Segelwind und vor allem auch reichlich Zeit, um uns die langgestreckte Insel Long Island etwas genauer anzuschauen, wo es zahlreiche, sehr exklusive Wohngebiete gibt. Durch die hohen Grundstückspreise sind die Reichen ziemlich unter sich. Die Manager fahren häufig morgens und abends bis zu 100 km, um zu ihrer Arbeit in New York zu kommen, denn auf Long Island selbst gibt es außer Gartenpflege und Hausbau nur wenig Beschäftigung. Wald, etwas Landwirtschaft und sogar einige Weingüter prägen diese grüne Landschaft. Die Insel ist leicht hügelig, und so mußten wir auf unseren Radtouren sehr viel die Gangschaltung benutzen. Tausende von Booten liegen in den weiträumigen Ankerbuchten. Riesige Motoryachten sind dort alltäglich. Filmstars wie Steven Spielberg und andere Superreiche haben ihre Sommerresidenzen ganz am nordöstlichen Ende um die Golfplätze von North Hampton herum. Leider verbergen sich die größten Villen hinter meterhohen Hecken. Auffällig hoch ist die Anzahl deutscher Nobelkarossen, die möglichst offen gefahren werden. Die vorzüglichen Strände sind zwar für alle auf wenigen Stichstraßen zwischen den Privatgrundstücken zu erreichen, durch einen Mangel an öffentlichen Verkehrsmitteln und Parkverbote hält man aber die Strände fast menschenleer.

Nördlich von Long Island begleitet eine ganze Reihe hübscher Inseln den Segler auf seinem Wege zum Cape Cod. Block Island bietet auf seiner weiträumigen Lagune wohl 1.000 Yachten Platz, die sich an Sommerwochenden dann auch dort tummeln. Cuttyhunk hat die herbe Schönheit einer typischen Fischerinsel. Es folgten einige sehr wenig besiedelte Eilande, bevor wir auf Martha´s Vineyard wieder ins dichtere Getümmel kamen. Diese Insel ist das Sylt der USA. Präsident Clinton kommt häufig dorthin, und auch sonst alle, die gesehen werden müssen. Das Liegen an einer Mooringboje kostet hier den Spitzenpreis von 70 Mark, aber mit etwas Geduld fanden wir auch einen Ankerplatz. Denn unser Geld brauchten wir dringend, um uns eine Harley Davidson zu mieten.

Meine Praxis mit so schweren Donnervögeln war zwar schon 20 Jahre lang leicht eingerostet, aber mit geliehenem Helm schwang ich mich mutig auf den breiten Sattel und löste mit dem Anlasser ein ohrenbetäubendes Getöse aus. Meine todesmutige Nudel setzte sich ohne zu zögern auf den winzigen Sozius. Ein trockenes "Brrrrum", und los ging es zur Inselrundfahrt. Zunächst fuhr die Maschine noch mit mir, aber nach wenigen Kilometern hatte ich sie wieder wie früher fest im Griff. Bei 65 km/h Höchstgeschwindigkeit zuckelten wir ohnehin nur gemächlich durch die reizvolle Küstenlandschaft. Wenn ich die Knatterbüchse in den Ortschaften aus purer Angabe mal mit etwas Zwischengas aufbrummen ließ, reichte das, um die Alarmanlagen der umliegenden Autos auszulösen. Ein Heidenspaß auch noch für uns Seniorbiker!

Nudel allerdings bekam auf dem winzigen Sozius zunehmend Sitzprobleme. Wir wollten die Maschine eigentlich nur einen Tag fahren, aber der Vermieter meinte uns etwas Gutes zu tun, als er sie uns kostenlos noch einen halben Tag mehr gab. Abends hatten wir die Insel schon einmal umrundet, und ich brauchte die ganze Nacht, um Nudel noch mal für die Harley zu motivieren. Sie frohlockte schon, als der schwere Motor am nächsten Morgen nicht ansprang, weil der Akku leer war. Aber ein anderer Harleyfan half mir bereitwillig beim Anschieben, und so sauste sie mit Leidensmiene eine weitere Runde um die Insel und konnte abends nur noch breitbeinig gehen.

Einmalig schön sind die Gingerbread (Lebkuchen) Häuser, von denen es in Oak Bluffs Harbour noch etwa 300 gibt. Schon in den Dreißiger Jahren fanden dort in der Sommerzeit vielbesuchte Gottesdienste statt, an denen bis zu 12.000 Menschen teilnahmen. Gepredigt wurde in einer hölzernen Methodistenkirche mit Dach und Turm aber ohne Seitenwände. Die Gläubigen standen unter Zeltdächern. Später baute man diese sehr hübschen, kleinen Holzhäuser ringförmig um die Kirche herum. Alle haben unter einem reichlich mit Schnitzereien verzierten Vordach eine Terrasse zur Kirche hin, auf der nun abends die Urlauber in Schaukelstühlen sitzen. Durch ihre sehr farbenprächtige Bemalung in allen Pastelltönen leuchten die Sommerhäuschen besonders schön im letzten Abendlicht.

Wir machten noch mal einen Abstecher nach Essex am Connecticut River, wo es uns schon im Vorjahr so gut gefallen hatte, und dieses Mal hatten wir dort ein besonders schönes Naturerlebnis. Wir ankerten mitten auf dem Fluß neben einer etwa 2 km langen, unbewohnten Insel. Am Strand bemerkte ich plötzlich ein kleines Rehkitz. Es lief immer mal ein Stück ins Wasser, als wollte es baden, sprang dann aber doch wieder an Land, als sei ihm das Wasser zu naß. Vom Muttertier keine Spur. Einige Büsche, Gras und hohes Schilf wuchsen auf der Insel. Durchs Fernglas beobachteteich interessiert die putzige Szene. Unvermutet ging das Kitz weiter ins Wasser und schwamm los. Der Fluß war hier etwa 1 km breit, aber bei etwa 2 kn Ebbstrom trieb das kleine Reh ganz schön stark ab. Ich wußte bisher nicht einmal, daß so kleine Bambis schon schwimmen können. Zielstrebig, recht schnell und mit wenig Zickzack spaddelte es etwa 100 m an uns vorbei aufs andere Ufer zu. Nach einem halben Kilometer erreichte es eine rote Fahrwassertonne und versuchte hinaufzuklettern. Dafür war die Tonne aber viel zu hoch und glatt. Wohl ein dutzend Mal umrundete das arme Tier die Tonne und hatte gewiß dabei die Orientierung verloren. Oder war es sogar schon zu schwach zum Weiterschwimmen?

Ganz schnell ließ ich das Dingi zu Wasser und sauste mit Motorkraft hinterher. Eine sehr große Raubmöve kreiste schon bedrohlich über dem kleinen, im Wasser gewiß wehrlosen Opfer. Ich fuhr zwischen die Tonne und das Reh, um es zum anderen Ufer abzudrängen. Aber das gelang mir nicht, denn Bambi schwamm immer wieder ums Boot herum zur Tonne. So packte ich es mit einer Hand am Hals und zog es mit der anderen unterm Körper aus dem Wasser. Kaum lag es im Dingi, da strampelte es aus Leibeskräften mit allen Vieren. Ich drückte es mit einer Hand flach auf den Boden, damit es sich nicht verletzen und auch nicht über Bord springen konnte. Mit der anderen Hand gab ich Vollgas und sauste ans gegenüberliegende Ufer. Das kleine Kitz zitterte vor Angst und Kälte und schrie herzergreifend. Es wußte ja nicht, daß ich es nur retten wollte. Viel zu lange dauerte mir die etwa 700 m lange Fahrt bis zu einem schönen Wassergrundstück, wo es reichlich Gras und gute Verstecke gab. Dort setzte ich meinen Findling kurz vorm Ufer ins flache Wasser. Schnell sprang es an Land, lief aber nicht weg, sondern schaute mich nur traurig an. Mit einem der Riemen mußte ich mich zurück ins tiefere Wasser stoßen. Gleichzeitig sprang das Reh wieder ins Wasser und folgt mir. War ich nun der Adoptivvater geworden?

Was sollte ich machen? Mitnehmen an Bord konnte ich das klitschnasse Tier natürlich nicht. Also startete ich den Motor und entfernte mich vom Ufer. Erst jetzt watete mein kleines Rehkitz an Land, schüttelte sich trocken und verschwand langsam im Schilf, ohne mich bösen Rabenvater noch eines Blickes zu würdigen. "Ich drücke Dir alle Daumen", dachte ich und gab Gas. Es quälten mich dann aber doch die Gedanken, ob ich das wohl richtig gemacht hatte. Aber am nächsten Morgen konnten wir das Rehkitz wieder mit seiner Mutter vereint etwa an der Stelle beobachten, wo ich es am Vortage ausgesetzt hatte. Munter liefen sie am Ufer entlang. Wir hatten die Ricke vorher schon auf der Insel an jenem Strand beobachtet, von dem das Kitz sein Abenteuer startete. Das schon viel erfahrenere Muttertier wartete aber bis Stillwasser und schwamm erst dann den gut einen Kilometer bis zu seinem Nachwuchs. Ob es dann wohl eine Strafpredigt setzte?

Bei Cape Cod schauten wir uns wieder die Augen nach Walen aus, die hier angeblich besonders häufig anzutreffen sind. Mehrfach sahen wir nun auch die charakteristischen Flossen der Finback-Wale, bei denen man unwillkürlich zunächst an große Haie denkt. Später auf dem Rückweg nach Süden waren wir plötzlich in einem ganzen Rudel. Einer touchierte leicht unseren Rumpf, und einen anderen müssen wir nachts leicht mit dem Kiel erwischt haben, denn unser Schiff wurde plötzlich wie von einer Geisterhand etwas weich gestoppt, wobei ein schurrendes Geräusch unten am Rumpf zu hören war. Später sah ich, daß dort etwas der Giftfarbe fehlte.

Sehr guter Wind brachte uns zügig nach Maine. Dieses Mal hatten wir weiter drinnen in den ausgedehnten Buchten weniger Probleme mit den Leinen der Hummerkorbbojen. Da die Besiedlung dieses Bundesstaates so dünn ist, lohnen sich die großen Einkaufszentren vor den kleinen Orten nicht. Deshalb konnten wir noch recht hübsche, kleine Orte mit intakter Infrastruktur finden. Das Segeln in der Schärenlandschaft ist relativ einfach, weil die Betonnung ausgezeichnet ist. Nur bei Südwind und dem dann unvermeidlichen, dicken Nebel mußten wir höllisch genau das Radar beobachten, damit wir die Tonnen von kleinen Klippen und anderen Booten unterscheiden konnten. Zur Vorsicht haben wir in engen Gewässern dann lieber die Segel eingerollt, um unter Maschine schneller ausweichen zu können, und das erwies sich auch immer mal wieder als nötig. Putzig waren die zahlreichen Seehunde zu beobachten, die dicht neben uns ihre Köpfe aus dem Wasser streckten, oder sich bei Sonne in ganzen Herden auf manch kleiner Insel sonnten. Bis auf 20 m ließen sie uns zum Fotografieren herankommen, bevor sie unruhig wurden.

Unser Ziel war wieder Saint John in Kanada, wo wir unser Schiff wie im Vorjahr vor dem königlichen Yachtclub vor Anker liegen ließen, um uns per Auto Nova Scotia anzuschauen. Eigentlich wollten wir auch noch nach Neufundland, aber das schlechte Wetter dort machte uns einen Strich durch die Rechnung. Auch bei uns hatte es die Nacht über kräftig geregnet, und erst kurz vor unserer Abfahrt wurde es besser, blieb aber den ganzen Tag bedeckt. Wir ließen uns die gute Reiselaune nicht verderben und wurden am Informationszentrum gleich hinter der Provinzgrenze wieder bestens mit Straßenkarten und Reiselektüre versorgt. Ein Dudelsackbläser vor der Tür machte uns unmißverständlich bewußt, daß Nova Scotia hauptsächlich von Schotten und Iren besiedelt wurde. Schon 100 Jahre vor Columbus landete hier ein englischer Adliger von den Shetlands kommend mit einer Flotte von 13 Schiffen und erkundete die Küste bis in den Long Island Sound hinab. Heute wohnen auf der etwa 600 km langen und bis zu 100 km breiten Halbinsel knapp eine Million Einwohner, ein Drittel davon im Großraum der Hauptstadt Halifax. Dieser Halbinsel ist im Nordosten nur durch die enge Northhumberland Straße getrennt die große Insel Cape Breton vorgelagert. Nur über diese Insel kann man per Auto auf einer Fähre in etwa 6 Stunden nach Neufundland gelangen.

1955 hat man Cape Breton aber durch einen etwa 1 km langen Damm (Canso Causeway) ans Festland angeschlossen, für den bei 70 m Wassertiefe reichlich Granit verbraucht wurde. Weil ein Berg direkt nebenan dort beliebige Mengen dieses Baumaterials bereithielt, bauten die Kanadier keine Brücke, sondern den aufwendigen Damm und sorgten mit einem Kanal und einer Schleuse dafür, daß die Schiffahrt weiterhin auf dem Weg nach Süden diese Abkürzung nehmen konnte. Nun aber wird das Eis monatelang von dem Damm aufgehalten, blockiert dann sogar die Schiffahrt und leider auch die Fischschwärme. So waren die Fischer östlich des Dammes plötzlich alle auf Sozialhilfe angewiesen.

Einen ähnlichen Schildbürgerstreich erlaubte sich eine Prtivatfirma, die vor Jahren die Bay of Fundy über breite Schienen mit der der Northumberland Straße im Norden verbinden wollte. Auf den Schienen sollten kleine Schiffe und vor allem Frachtgüter auf kurzem Wege nach Süden gelangen. In den Seekarten ist der Schienenweg noch verzeichnet, aber das Projekt ist nie fertig geworden. Die Navigationsverhältnisse mit über 12 m Tiedenhub in der Bay of Fundy sind viel zu schwierig. Zudem ist die Küste sehr flach und extrem stürmisch. Ein Deutscher hat hier oben im schon recht rauhen Norden vor Jahren eine Weinfarm aufgebaut, auf der wir eine Weinprobe machten. Aber der Wein war so sauer, daß wir nicht mal die deutsche Portugiesertraube in ihm erkannten.

Um die Nordspitze von Cape Breton herum folgten wir dem Cabot Trail, den alle Reiseführer als eine der schönsten Panoramastraßen der Welt preisen. Das ist für unseren Geschmack zwar etwas zu hoch gegriffen, aber ganz sehenswert ist diese Straße mit ihren weiten Ausblicken schon. Wunderschöne Rastplätze gibt es hier wie auch im übrigen Teil von Nova Scotia. Alle verfügen über Tische, Bänke, Grilleinrichtungen, Toiletten, Waschwasser und Mülleimer. Gleich der erste an einem romantisch plätschernden Bach unter Bäumen hat sich tief in unsere Erinnerung eingegraben. In dieser ruhigen Natur wurde unser spätes Frühstück immer zu einem besonderen Erlebnis.

Ganz im Norden der Insel liegt ein Siedlungsgebiet der Franzosen, die ihre Häuser dort immer schmucklos auf die nackte Wiese bauen. Alle Bäume im Umkreis hatte man in dieser sonst waldreichen Gegend längst gefällt. Erstaunlich nah beeinander stehen die einfach gebauten Häuser in der weiten Landschaft. All das war uns schon im vorigen Jahr im erzfranzösischen Akadien in New Brunswick aufgefallen, weil sich die Bauweise so stark von der viel gefälligeren der Engländer abhob. - Vor den Küsten konnte man auf kleinen Fischerbooten überall Wale beobachten. Mit dem Fernglas war das sogar von den zahlreichen Aussichtpunkten an dieser steilen Küste möglich. Die Berge erreichen allerdings kaum 500 m Höhe.

 

Zum Glück hatte Nudel schon telefonisch in Ingonish ein Quartier in einem Motel unter deutscher Leitung bestellt, denn die Gegend um diesen kleinen Ort ist ein wunderschönes Urlaubsgebiet in einem großen Nationalpark und entsprechend gut ausgebucht. Ein Golfplatz, lange Sandstrände, interessante Wanderwege und ein auf einer schmalen Halbinsel spektakulär romantisch gelegenes Hotel locken allerhand Besucher in diese abgelegene Gegend. Das kann man natürlich nie mit den Touristenströmen in Europa oder USA vergleichen, aber einige hundert Urlauber finden sich hier schon zur gleicher Zeit ein, und am Strand können bei schönem Wetter schon mal 50 Leute liegen. Aber was ist das im Vergleich zu Sylt oder Mallorca?

Als wir uns sattgesehen hatten, fuhren wir am nächsten Morgen an den riesigen Bras d`Or See, der den größten Teil von Cape Breton ausfüllt. Seine Ufer sind fast 1.000 km lang. Es ist der größte Salzwassersee der Erde, im Norden durch zwei schmale Buchten und im Süden durch einen kurzen Kanal und eine Schleuse mit dem Meer verbunden. Yachten sind hier außerordentlich rar. Viele Kilometer fuhren wir an den gefälligen, dünn besiedelten Ufern entlang. Beim Dorf Eskasoni hatten wir plötzlich den Eindruck, daß dort nur Sozialhifeempfänger wohnten. Ärmliche Mobilhomes, diese billigen, rollenden Behelfsheime für die ärmsten Nordamerikaner, waren lieblos und eng in die abgeholzte Landschaft gestellt. Ein Blick in unseren Reiseführer zeigte uns schnell, daß wir in einem Reservat der Mic-Maq-Indianer gelandet waren, und nun bemerkten wir auch, daß die Gesichter der Bewohner deutlich indianische Züge trugen. Auch hier hat man die Ureinwohner offenbar in keiner Weise in den modernen Staat eingegliedert, sondern sie führen ein nur von Almosen ermöglichtes Schattendasein abseits der europäischen Einwanderer.

Über den Canso Causeways fuhren wir wieder zurück aufs Festland und folgten nun immer der Küstenstraße am Atlantik nach Süden. Unterwegs kamen wir mit einem Deutschen ins Gespräch, der sich hier oben ein Haus und weiter südlich bei Halifax eine kleine Insel gekauft hat. Seine Frau blieb lieber im heißen Spanien, doch er genoß 3 Monate im Jahr den kurzen, kanadischen Sommer und bastelt mit Begeisterung an seinen Hütten. Ab 18 Uhr allerdings mußte er immer vor den Mücken nach drinnen flüchten. Das schien jedoch nicht überall so schlimm zu sein, denn wir hatten kaum Probleme mit diesen Plagegeistern. - Wir kamen auf der Küstenstraße nur langsam voran, denn tief eingeschnittenen Buchten machten immer wieder weite Umwege nötig. Häufig konnte man das gegenüberliegende Ufer aber hinter den vielen bewaldeten Inselchen überhaupt nicht erkennen. Manche dieser Eilande haben kaum 50 m im Durchmesser und bieten neben einigen Fichten gerade noch Platz für ein einzelnes Ferienhaus. Man sieht auch immer mal wieder Schilder sogar auf Deutsch, die Käufer für solche gewiß nicht teuren Bauplätze suchen.

Es war inzwischen der 21. August und somit Nudels Geburstag. Unser Telefon hatten wir zwar im Auto, aber viele Stunden waren wir viel zu weit von jeder Antenne entfernt. So erreichten unsere Freunde das Geburtstagskind erst wieder am Abend, als wir nahe bei Halifax übernachteten. Leider war das abendliche Festessen bei einem nobel aufgemachten Italiener nicht von der Qualität, die wir nach dem Preis erwartet hatten. Zu hohe Ansprüche darf man an die Küche in den englisch beeinflußten Teilen Kanadas nicht stellen. Das Speisen dient nach britischem Geschmack wohl mehr dem Sattwerden. Ganz vorzüglich allerdings war wieder unser Frühstück in einem Park von Halifax am nächsten Morgen. Wir hatten am Vortage in einer dänischen Räucherei reichlich Lachs eingekauft, und der war so schmackhaft wie selten zuvor. Nicht zu salzig und ordentlich fett, dazu frisches Baguette, Sonne und eine hübsche Umgebung. Touristenherz was willst du mehr?

Die Stadt Halifax liegt landschaftlich begünstigt auf einer Landzunge. Zwei große Hängebrücken verbinden sie mit der Schwesterstadt Dartmouth. Ganz hübsch anzuschauen sind wie überall die besten Villenviertel am Wasser. Interessant auch ist der Markt in den Fabrikgebäuden einer früheren Brauerei. Aber sonst gibt es über diese Stadt nicht viel zu berichten, denn das Zentrum ist auch hier durch die Malls am Stadtrand längst zur Bedeutungslosigkeit verkümmert. Geradezu rührend empfanden die Bemühungen der Stadtväter, durch liebevoll gestaltete Straßen wieder etwas Leben ins Zentrum zu bringen. Aber Erfolg auf diesem Wege haben wir leider noch nirgendwo beobachten können.

Südlich von Halifax kommt dann ein kurzes Stück Küste mit dürftigem Bewuchs aber gewaltigen, vom Meer gerundeten Granitfelsen. Kein Tourist versäumt Peggy´s Cove, dessen winziger Fischerhafen malerisch zwischen die gewaltigen Felsbrocken geklemmt ist. Wohl 20 m sind diese Klötze hoch, aber den langen Atlantikwellen gelingt es doch manchmal, sie zu überspülen und dabei nichtsahnende Touristen ins Meer zu reißen. Sehr fotogen liegen die kleinen Fisckutter zwischen einigen bunt bemalten Holzschuppen und adretten Häusern. Gleich neben dieser Idylle stürzte wenige Tage später der Schweizer Jumbo mit über 200 Menschen ins Meer, was uns nach diesen noch frischen Eindrücken doch besonders stark berührt hat.

Wenig weiter südlich liegt Lunenburg, das wie der Name vermuten läßt vor 250 Jahren von Deutschen gegründet wurde, und dessen blitzsauber gemalte Holzhäuser solche Touristenscharen anziehen, daß wir schon nach kurzem Rundgang wieder ins Auto stiegen. Uns zog es nun nach einer Woche und 2.300 km Fahrt über Nova Scotia vorzeitig wieder zurück nach Saint John, denn für die folgenden Tage sagte der Wetterbericht nur Regen voraus. Zudem näherten sich die Hurrikane BONNIE und DANIELLE der US-Küste. Deshalb schnitten wir die ganze Südküste ab und fuhren auf schneller Straße quer über die Halbinsel zur Bay of Fundy zurück. Schon am nächsten Morgen waren wir mit einer großen Fähre in 3 Stunden wieder an unserem Ausgangsort, Saint John, wo wir im dichten Nebel unsere ankernde PUSTEBLUME vom Ufer aus kaum erkennen konnten.

Für die Rückreise kauften wir schnell noch reichlich Proviant ein, mußten dann aber noch 3 Tage abwarten, bis BONNIE seine Zerstörung in Carolina beendete und nach Osten auf den Atlantik abdrehte. Nun war der Weg nach Süden wieder frei für uns. Am 27. August rauschten wir nach 4 Wochen auf dem Saint John River durch die Reversing Falls zurück ins Meer und motorten bei Flaute so schnell wie möglich nach Maine, wo uns die Ausläufer von BONNIE dann doch noch einen etwas wilden Ritt nach Süden bescherten.

So sehr wir die Reise in den Norden auch in diesem Jahr genossen haben, auf dem 800 sm langen Rückweg nach Virginia standen wir wegen der Hurrikane doch immer unter Spannung. Aber wir hatten Glück. Erst als wir unser Winterlager erreicht hatten, war der Atlantik wieder voll mit Wirbelstürmen. Gleichzeitig zeigte das Satellitenbild 4 der typischen Wolkenwirbel. Das hatte es noch nie gegeben. Ganz ungeschoren kamen wir aber doch nicht davon. Eine der schweren Gewitterfronten erwischte uns noch unterwegs bei New York. Schon am Vortage begannen die Sturmwarnungen in dem speziellen Wetterbericht für die Küstenschiffahrt, der 24 Stunden ohne Unterbrechung ausgestrahlt wird.

Unser Ankerplatz in Great Kills Harbour war dafür zu gefährlich. Zwar ist der Hafen ringsum gut geschützt, aber es liegen dort hunderte von Yachten an Moorings. Und der Grund besteht nur aus weichem Mud, wie wir bei 4 gescheiterten Ankerversuchen festgestellt hatten. Nach den Handbüchern suchten wir uns den Hafen von Sandy Hook aus, denn der bot bei der erwarteten Windrichtung hinter einer langen Mole den besten Schutz. Zwar lagen auch dort einige hundert Yachten an Moorings, aber wir lasen in seiner Beschreibung, daß er vor kurzer Zeit ausgebaggert worden war. Die schlecht haltende Mudschicht konnte dort also nicht mehr so dick sein, wodurch der Anker besser in den festen Sand kommen würde. In vielbesuchten Häfen ist der Schlamm leider stets mit vielen Plastiktüten und Leinen durchsetzt, die den Anker daran hindern, bis in den festen Sand vorzudringen.

Wir liefen also frühmorgens aus und waren 2 Stunden später in dem ausgewählten Hafen von Sandy Hook. Die Wettermeldungen und Warnungen wurden immer dramatischer. Eine extreme Kaltfront aus Kanada sollte auf unsere ausgeprägte Warmfront treffen. Hagelkörner von über 2 cm wurden erwartet und Wind mit Sicherheit in Sturmstärke. Dennoch blieb die weite Bucht vor New York voller Angelboote, während wir zielstrebig unsere Vorkehrungen trafen. Nur gleich hinter der Hafeneinfahrt war ausreichend Platz zum Ankern, sonst lagen überall Boote an eng gepackten Mooringtonnen. Meistens nimmt man in Amerika keine Betonklötze sondern schwere Pilzanker zum Verankern der Moorings. Unser Zutrauen an deren Haltkraft hielt sich sehr in Grenzen. Unser Bügelanker faßte wie erwartet sofort und saß bei Vollgas zurück bombenfest. Wegen des begrenzten Raumes gaben wir bei 4 m Wassertiefe zunächst nur 25 m Kette, hatten aber hinter uns in die Fahrrinne hinein reichlich Platz, um die Kette beliebig zu verlängern. Nach dem späten Frühstück gönnten wir uns sogar noch einen Landgang, denn vor dem Nachmittag drohte keine Gefahr. Im Doppler-Radar beobachteten die Wetterfrösche das Geschehen genauestens. Wie meistens vor Gewittern war es mit 33 °C drückend heiß, und dieser Landgang war mehr eine anstrengende Pflichtübung. Wir kauften nur wenig ein und marschierten bald wortlos durch die Bruthitze zurück zum Hafen.

Wieder an Bord nahmen die Wettermeldungen an Dramatik noch zu. Die Gewitterfront näherte sich mit 100 km/h. Sondermeldungen mit den besonders bedrohten Counties (Landkreisen) überschlugen sich nun fast schon. Unser Bezirk und ganz New York lagen mittendrin. Dennoch konnten wir über die Mole hinweg draußen noch viele Boote sehen. Selbst die professionellen Angeltouren kümmerten sich nicht um die Warnungen. Direkt neben uns startete sogar noch eine Regatta mit einem Dutzend Boote. Der Himmel wurde immer grauer, aber nur wenige Bootführer nahmen das ernst und kamen in den schützenden Hafen. "Die müssen das hier wohl besser kennen", redeten wir uns ein und schauten angespannt zum Himmel. Und das war gut so. In wenigen Minuten verdüsterte sich das Grau zu Schwarz, ohne daß richtig strukturierte Gewitterwolken zu sehen waren. Schlagartig mit fürchterlichem Blitz und Donner setzte dann der Wind mit über 30 kn ein. Wir konnten gerade noch alle Luken schließen, die Cockpitkissen in die Werkstatt werfen und Segeljacken anziehen. Innerhalb von 2 Minuten kachelte es mit 50 kn. Schnell ließ ich die schwere 13 mm Kette weiter auf 50 m heraus. Noch 20 m blieben für den Notfall im Kasten.

Der Hafen schäumte! Im Nu bildeten sich sogar im Schutze der Mole schoppige Wellen von beachtlicher Höhe. Die stärkeren Boote schafften es gerade noch, sich von draußen mit Vollgas hinter die Mole zu kämpfen, andere vertrieben auf die Flachs in Lee. Unseren Motor hatten wir sofort bei der ersten Bö gestartet, um bei über 50 kn dagegen halten zu können. Vor uns überschlugen sich die Beiboote, die einige Segler bis zu ihrer Rückkehr an den Moorings gelassen hatten. Die Außenbordmotoren wurden dabei vom Heck gerissen und plumpsten ins Wasser. Zum Glück hielten alle Pilzanker der Yachten vor uns. Einer der Ankerlieger neben uns aber hatte Probleme mit seinem Anker, konnte sich jedoch mit der Maschine vor einer Strandung retten.

Nach 15 Minuten war der Spuk noch schneller beendet, als er gekommen war. Nicht weit entfernt hatte es zusätzlich noch Tornados und entsprechend größere Schäden gegeben, aber bei uns war zum Glück alles klar an Bord. Nach und nach schlichen all die Boote herein, die es draußen erwischt hatte. Viele hatten natürlich Schäden an den Segeln und einige mußten noch von den Sänden geschleppt werden. Zwei kleine Boote blieben dauerhaft vermißt, was nach unserer Meinung bei so exakten Vorhersagen vermeidbar gewesen wäre, denn in den Häfen gab es kaum Schäden.

Die letzten 400 sm schob uns kräftiger, ablandiger Wind immer nahe der Höchstgeschwidigkeit nach Süden, so daß wir die Saison wie im Rausch beendeten. Die kräftezehrenden Arbeiten am Schiff für die Winterliegezeit holten uns schnell wieder in die Wirklichkeit zurück. Es war Mitte September noch immer drückend heiß in Virginia. Am Abend, wenn wir uns vor den Moskitos verkriechen mußten, hatten wir 32°C unter Deck. Nur im Achterschiff konnte man es durch die kleine Klimaanlage aushalten. Zum ersten Mal haben wir dort sogar an dem kleinen Klapptisch gegessen, was wir trotz der Enge als puren Luxus empfanden. Als die schwerste Schufterei hinter uns lag, gönnten wir uns zum Abschluß in der Hoffnung auf Abkühlung noch mal eine Reise zu den Großen Seen, den Niagarafällen und ins herbstlich bunte Vermont, bevor es endgültig für den Winter ins verregnete Hamburg zurückging.

Zweimal per Boot aber auch auf Autotouren von mehr als 15.000 km haben wir die Ostküste nun ganz gut kennengelernt. Natürlich sind wir keine Experten, aber mehr als einen flüchtigen Urlaubseindruck haben wir mit Sicherheit bekommen. Und wie war´s? - - - So ein landschaftliches Feuerwerk wie der amerikanische Westen ist der Osten leider nicht. Unser Emsland hat ja auch nicht die wilde Dramatik der Alpenkulisse. Keiner sollte sich aber deshalb von diesem leicht zu bereisenden Urlaubsziel abhalten lassen, denn es gibt gewiß eine ganze Reihe wirklich sehenswerter Höhepunkte, deren intensive Erinnerungsbilder uns die manchmal langweiligen Strecken dazwischen schnell vergessen lassen werden.

Und die Amerikaner? Vom Verhalten und auch von der Sprache manchmal schwer zu verstehen, fast immer freundlich und gewiß ganz gut zu ertragen, solange ihr Einfluß nicht unsere liebgewonnenen, europäischen Eigenarten zerstört. Dafür können die Amis aber nichts, denn daran können wir nur selbst arbeiten, weshalb ich bewußt auch über all das berichtet habe, was uns dort nicht so gut gefiel.

American way of living? - Nein, Danke!

Aber schnell mal nach New York? - Jederzeit!

Herzlichst Guenther (DL1HBV)

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