Angst vor Monsterseen, Freak Waves
und anderen Seeungeheuern?
von Bobby Schenk
Zwei Besucherbriefe (hier klicken)
haben nachdenklich gemacht. Andreas Gyssler spricht es, mein Kompliment für die
Ehrlichkeit aus: Er hat "Schiss" vor der See. Eine Welle, die über
der 12-Meter-Yacht brach und "die das Boot umlegte" hat offenbar bei
dem nicht unerfahrenen Segler ein Trauma hinterlassen und Georg Maringer fragt,
wie die Chancen einer Yacht seien, eine Freak Wave zu überleben.
So wie Gyssler ergeht es vielen, nur zugeben wollen sie es nicht! Er hat sich aber
auch das "richtige" Revier
ausgesucht! Der Löwengolf ist meines Erachtens eines der gefährlichsten
Segelreviere der Welt. Tatsächlich habe ich dort zum ersten (und letzten) Mal
einmal beidrehen müssen. Aus diesem Gebiet habe ich schon mehrere Horrorstories
vernommen, zum Teil mit schrecklichem, auch mit tödlichem Ausgang - nämlich
"zwei Mann über Bord gewaschen" oder ähnliches. Gyssler hat sein
Leben auch nur seinem Sicherheitsgurt zu verdanken!
Eindruckvoll
ist auch die Geschichte eines Sturms im Golf von Lyon auf einer 12-Meter-Stahl-Yacht vom Typ Joshua: Diese Yachten, die
Bernhard Moitessier berühmt gemacht hat, galten (und gelten) als eine der
sichersten Yachten, die jemals gebaut worden sind. Aber schauen Sie sich mal das
Bild an, was ein chaotischer Seegang mit der KSAR, so heißt die Yacht,
angerichtet hat! Nachdem er sie entmastet hatte, kenterte er sie mehrfach(!)
durch. Die Crew wurde von der Ankerkette halb erschlagen und der beinharte
Skipper überlebte nur deshalb, weil er rechtzeitig aus seiner Ohnmacht erwacht
war und sich schwer verletzt um die Rettung kümmern konnte. Wer der Meinung ist, dass
Seeschlag sich nur an großen Flächen verheerend auswirken kann, sehe sich den
Bugkorb an!
Dabei ist der Golf von Lyon von der Größe her gesehen eher
ein Binnengewässer, wo sich wirkliche Riesenseen wegen des kurzen
"Anlaufs" der Wellen (fetch) gar nicht bilden können. Es ist die
Energie in den Seen, die frei wird, wenn die geordnete Oszillation der Welle
durcheinandergebracht wird, die solche zerstörerische Wirkung entfaltet.
In größeren Revieren erreicht sie noch schlimmere
Dimensionen. In der Nordsee wurde MORNING CLOUD (frühere Yacht des britischen
Expremiers Ted Heath) mit
mehreren Mann möglicherweise Opfer eines solchen Seeungeheuers. Die Yacht wurde von der Gewalt der See der Länge nach
aufgeschlitzt, eine Schalenhälfte konnte geborgen werden.
Eines ist ganz eindeutig: Solange Seegang nicht eine
übermäßige Höhe erreicht und "chaotische" Sequenzen von Wellen
erzeugt, wird er uns nichts anhaben können, brauchen wir uns vor solchen
Erlebnissen, wie Sie hatten, nicht zu fürchten. Wenn aber sogenannte Freak Waves
(Monsterseen) entstehen, dann wird es für alle(!) Schiffe gefährlich, nicht
nur für Yachten. Berühmt ist der Fall, wo die französische DAMIEN -
übrigens eine Metallyacht aus der Meta-Werft, die auch die Joshuas gebaut
hat - i n
den Gewässern um Kap Hoorn glaubhaft fünf- oder sechsmal von Wellenungetümen
durchgedreht wurde. Französische Hochseesegler, denen man eine besondere
Kühnheit nicht absprechen kann, haben schon immer auf die vermeintliche
Unverletzlichkeit von Stahlbooten vertraut, indem sie sich selbst dem Wetter
erst gar nicht aussetzten. Dies hat zu der auf französischen Yachten
verbreiteten "Weltumseglerblase" geführt, mit deren Hilfe der im
"Panzer" rundum geschützte Rudergänger die Yacht steuern sollte,
ohne sich möglichen Monsterwellen auszusetzen. Dass das aber nicht die Lösung
für die Schwerwettersegelei war, zeigt sich daran, dass diese Rundumsichtluken seit einigen Jahren auf den französischen
Fahrtenyachten wieder verschwinden, was auch beweist, dass derartige Wetterverhältnisse, die so einen Rundumschutz notwendig
machen würden, extrem selten sind.
Man kann in diesem Zusammenhang am Fall der deutschen
11-Meter-Yacht OLE HOOP nicht vorbeigehen, die 200 Meilen vor Kap Hoorn
verschwand. Nicht spurlos, die Epirb (automatische Seenot-Funkboje) wurde
aktiviert, was freilich auch automatisch geschehen kann, gefunden. Sonst nichts!
Niemand
weiß, was den erfahrenen Weltumseglern Johanna Michaelis und Klaus Nölter
widerfahren ist. Doch das Gedankenspiel sei erlaubt: Es muss ein Ereignis von
plötzlicher Wucht gewesen sein, das hier Schicksal gegen die deutsche Yacht
gespielt hat. Denn es ist sicher, dass den beiden keine Zeit mehr verblieben
ist, die Rettungsinsel zu aktivieren und(!) die Epirb mit in die Insel zu
nehmen, was zum Überleben das Wichtigste gewesen wäre. Es kann eine einzige
See gewesen sein, die die Schale der Kunststoffyacht mit dem geringen Freibord (Bild) aufriss, ein Leck verursachte, groß genug, um das Schiff in Sekunden in
die Tiefe zu schicken. Denn es hängt von der Größe eines Lecks im
Verhältnis zur Verdrängung ab, wie schnell ein Schiff sinkt.
Wenn eine Yacht verschwindet, speziell in der Gegend um Kap
Hoorn, ist man naturgemäß auf Vermutungen angewiesen. Der Norweger Al Hansen
wird wohl ein Opfer dieser Monsterseen geworden sein, die auch am Unglücksort
der OLE HOOP zugeschlagen haben. Der Unfallort der BUTERA des unglücklichen
Münchners Dr. Jörgen Mayer konnte nicht näher eingegrenzt werden, weil es
damals, vor 30 Jahren, noch keine Epirb gegeben hat. Und von der TZU HANG, die
bei Kap Hoorn von einer Monsterwelle niedergemangelt wurde, wissen wir nur
deshalb, weil das Ehepaar Smeeton, nicht der dritte Mann an Bord, überlebt und
in dem Buch mit dem mahnenden Titel "Once is enough" (einmal genügt)
penibel über die Schicksalsschläge am Kap Hoorn berichtet haben.
Und damit sind wir beim Problem von Andreas Gyssler. Wie gefährlich ist die
Hochseesegelei - vom Seegang her gesehen - generell? Eines ist klar: Es gibt
Seegangsverhältnisse, denen kein Schiff gewachsen ist, seien es Rennyachten,
Fahrtenyachten, Tanker oder Luxusliner. Pro Jahr verschwindet auf den Weltmeeren
eine dreistellige Zahl von (großen) Schiffen "sanglos" - wie der
SPIEGEL einmal geschrieben hat. Revier und Wetterverhältnisse machen es
wahrscheinlich, dass davon der überwiegende Prozentsatz Opfer von Monsterwellen
geworden ist.
Wellen mit bis zu 35 Meter Höhe, nach neueren Forschungen bis
45 Meter, werden für möglich gehalten. Aber nicht die Höhe, sondern ihre
Steilheit ist der entscheidende Faktor, erst recht, wenn sie sich bricht.
Nüchterne Beschreibungen von Schiffsbesatzungen, die so eine See
überlebt haben, lassen erahnen, dass es Monsterbedingungen gibt, die jedem
Schiff zum tödlichen Verhängnis werden kann. Ein Zitat aus dem SPIEGEL (Online vom 18.12.01 - mitgeteilt vom
Page-Besucher Georg Maringer):
"Diesmal war es die "Endeavour", die am 2. März in einen Orkan steuerte. ..Um 19 Uhr nahm das Schiff Kurs aufs offene Meer Richtung
Feuerland ...
Am Nachmittag schlug backbords bereits zwölf Meter hoher Seegang an die
Reling. Wild stampfend schob sich der Luxusliner auf Position 53° 03' Süd, 63° 35' West. Ein Rudergänger, ein Ausguck und der 1. Offizier Göran
Persson waren zu dem Zeitpunkt auf der Brücke. Angestrengt blickte das Team durch das große Panoramafenster. Die
Scheibenwischer rotierten. Ein Geschrei wie von Raubvögeln lag in der Luft.
Da plötzlich hob sich ein grün schäumender Koloss aus dem Wasser, der komplett den Horizont verdeckte. Die "Endeavour", nur 90 Meter lang, ist ein wendiges Schiff. Tapfer
stieg sie den Kaventsmann empor, kippte über den Kamm - und geriet in ein neues,
ungeheures Tal, das sich zu einer Killerwelle aufwölbte. Auch sie war etwa 30 Meter hoch.
Wieder kletterte der Cruiser, fast im 50-Grad-Winkel, die bleckende Krone hinauf. In den Serviceräumen polterte Geschirr. Radios,
Espressomaschinen gingen zu Bruch. Auch diese Woge konnte das Schiff noch mit knapper Not erklimmen. Dann
war allerdings Schluss: Ein drittes Ungetüm brauste heran, ganz dicht und steil,
mit spritzendem Kamm, als würde es geifern. Wie ein Pflug stach der Bug des Luxusliners in der Brecher hinein und geriet für Sekunden fast komplett
unter Wasser. Umgehend trat auf dem nach Panama ausgeflaggten Cruiser der Ernstfall
ein. Der Kapitän griff zur "Epirb-Boje" und warf sie über Bord. Bei Kontakt mit
Salzwasser funkt der Ballon automatisch Mayday. Der Chronometer zeigte den 2. März 2001 an, 17.31 Uhr Ortszeit.
Schwer lädiert konnte sich das Schiff nach Montevideo retten, wo es Tage später einlief. Vier Brücken- und ein Kabinenfenster waren eingedrückt. Steuerbords hatte der Brecher den äußeren Fahrstand ("Brückennock")
weggerissen. Die geschlossene Reling ("Schanzkleid") hing abgeknickt am Rumpf."
Viele von uns können sich noch an das leise Drama um den
50000-Tonnen-Frachter MÜNCHEN erinnern. "Leise" deshalb, weil er,
über 220 Meter lang, ganz
einfach im Atlantik, nördlich der Azoren, mit Mann und Maus verschwand. Keine
Rettungsinseln, kein
SOS-Ruf, nichts! Das kann nur eine Monstersee gewesen sein! Die vierköpfige
Besatzung des orkanerprobten Rettungskreuzers ADOLF BERMPHOL schien sich in Luft
aufgelöst zu haben, sie war einfach weg, als das Schiff gefunden wurde.
Ebenfalls im SPIEGEL zog damals der Seefahrts-Experte Hans G.Strepp den Schluß:
Eine Freak Wave habe die vier Männer aus ihren Sicherheitsgurten geschnitten,
als diese an Deck waren.
Das Drama im Fastnet Race vor 20 Jahren und bei Sidney Hobart
in den letzten Jahren ist noch in frischer Erinnerung, wobei für beide
Unglücksregatten gilt: Es herrschte dort kein(!) Orkan, die Windstärken mit 11
Bft waren zwar enorm, aber keineswegs untypisch für diese Reviere. Es war der
chaotische Seegang, der die vielen Menschenleben forderte.
Genug der Horrorstories! Welchen Schluss sollen wir für uns
daraus ziehen? Es gibt auf dem Wasser Naturkatastrophen - wie an Land. Ob wir
dabei, falls wir hineingeraten, umkommen, ist Schicksal - wie an Land. Das ist
Lebensrisiko. Interessanterweise kostet der Straßenverkehr allein in Deutschland 7000 Tote pro
Jahr (in den Zeiten ohne Sicherheitsgurt waren es schon mal knapp 20000 allein
in der BRD) - weit mehr Opfer als Stürme, Hochwasser und Gewitter zusammen. Aber wer
von uns zieht sich schon deswegen aus dem Autoverkehr zurück?
Naturkatastrophen, dazu gehören Freak Waves, sind beim Segeln
eher selten. Allerdings gibt es Reviere, die dafür berüchtigt sind. Hierzu
gehören zum Beispiel die Gewässer im Aghulas-Strom (wo ein Kaventsman einmal
ein 10000-Tonnen-Kriegsschiff einfach verschluckte), die Gewässer um die
Südspitze Amerikas und auch der Löwengolf zur Sturmzeit. Begünstigt wird die
Bildung von atypisch mächtigen Wellen, das steht fest, durch konfuse See, meist gebildet
von verschiedenen Wellensystemen, starken Strömungen und Restseen früherer Wetterlagen.
Gyssler (siehe oben) erzählt, dass die Yacht "nach einem Sturm"
ausgelaufen sei, eine gute Voraussetzung für nachfolgende chaotische
Wellensysteme!
Für andere Gebiete kann man solche Seegangsverhältnisse
ausschließen, zumal in den sicheren Jahreszeiten. Fast! So wie eben einen
tödlichen Verkehrsunfall.
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