Die vergessenen Astro-Geheimnisse Teil II
Revolution nach 500 Jahren bewährter Astronavigation?
Vor einiger Zeit schrieb mir Helmut Hoffrichter, er würde sich außerordentlich freuen, wenn ich meine Meinung über das von ihm entwickelte Astro-Programm Circle of Position äußern würde. Nun, hier ist meine Meinung, und ich bitte um Vergebung, wenn sich die Freude in Grenzen halten wird:
Doch zunächst einmal: Ich bewundere, wie viel Arbeit Herr Hoffrichter – als Fahrtensegler erst seit kurzer Zeit – in die Erforschung der astronomischen Navigation gesteckt hat. Um meine Beurteilung seines Programms auch für Laien verständlich zu machen, habe ich seiner Webseite einige Schaubilder entnommen – und zwar nur zu diesem Zweck. Anders kann das Programm, das ja vor allem als grafische Lösung propagiert wird, nicht beurteilt werden. Herr Hoffrichter bezeichnet sein Programm als besonders geeignet für Anfänger und für Segler, deren Kenntnisse in Mathematik überschaubar sind und die die Sonne nicht von anderen Gestirnen unterscheiden können.
Anders als die traditionelle Astro-Navigation verwendet er nicht die Methode von St. Hilaire, die er als veraltet und unpraktisch bezeichnet, sondern setzt auf den Schnittpunkt zweier Höhengleichen – also Kreise auf der Erdoberfläche, auf denen Beobachter mit dem Sextanten denselben Höhenwinkel zum Gestirn messen. Diese Methode leitet er von der Satellitennavigation (GPS) ab.
Richtig ist: Zwei Höhengleichen ergeben auf der Erdoberfläche zwei Schnittpunkte – einer davon ist der tatsächliche Schiffsort. In der Praxis gilt es also, lediglich den Schnittpunkt zweier solcher Höhenkreise zu berechnen, um die Position zu bestimmen. Das erscheint in der Tat einfacher und auch moderner.
Dazu eine kleine – wahre – Geschichte: Ungefähr 1986 erschien bei der Yacht ein junger, smarter Student, nennen wir ihn Victor (Name geändert, aber bekannt), der behauptete, er habe eine neue Methode entdeckt, mit der man mithilfe der Sonne und der damals neu auf gekommenen Taschenrechner (TI-35, einer der ersten Rechner mit Sinus, Tangens etc, sowie dem HP 56) den Schiffsort bestimmen kann – indem man einfach zwei Gestirne misst und dann den Schnittpunkt ihrer Höhenkreise berechnet.
Für die erste Messung eignet sich die Sonne; für die zweite ein anderes Gestirn – oder, wenn nötig, ein paar Stunden später abermals die Sonne, da sie in der Zwischenzeit ihre Position deutlich verändert hat und somit wie ein "anderes Gestirn" behandelt werden kann.
Und genau nach diesem Prinzip funktioniert auch die App von Helmut Hoffrichter, wie man auf seiner Webseite nachlesen kann. Er stellt es als glanzvolle wissenschaftliche Leistung dar, den Schnittpunkt nach dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß (geb. 30.4.1777) zu berechnen – der eigentlich vor allem als Pionier der Zufallsrechnung bekannt ist. Tatsächlich konnte Victor mit seinem kleinen Taschenrechner dem damals angesehenen Navigationsexperten der Yacht, Hans Günther Strepp, seine Methode erfolgreich demonstrieren. Man findet ihn in den Yacht-Ausgaben um 1987. Nur Victor hatte mit seiner Entdeckung kaum Beachtung gefunden, ein Vorteil für die Praxis oder zum Erlernen von Astro wurde nicht erkannt.
Vergleicht man nun die Methode von Victor mit der von Hoffrichter, ergibt sich, dass beide auf demselben System beruhen.
Sucht man im Internet nach Formeln zur Berechnung der Schnittpunkte zweier Kreise, so findet man zahlreiche Lösungen. Warum also sollte man zwingend die Formel von Gauß verwenden, die Hoffrichter als Fortschritt darstellt?
Einen Grund gibt er selbst an:
„Die Zukunft der astronomischen Navigation für jedermann liegt in digitalen Lösungen.“ Das ist eine amüsante Festellung von jemandem, der sich rühmt, ze="5">200 Jahre alte Formeln aus der analogen Zeit zur Berechnung eines Schiffsortes heranzuziehen.
Ehrlich gesagt: Ich verstehe das nicht. Wenn ich mit einem Taschenrechner oder der Digitalanzeige meiner Uhr arbeite, bin ich doch bereits „digital“ unterwegs.
Letztlich sollte doch einzig und allein entscheidend sein, welches System bei geringerem Aufwand das gleiche Ergebnis erzielt. Ich glaube, da bin ich zwar nicht mit Herrn Hoffrichter einer Meinung, aber mit 99 Prozent meiner Leser.
Es wäre absurd, ein System nur deshalb anzuwenden, weil es „modern“ ist, obwohl das altbewährte, millionenfach genutzte System genauso leistungsfähig und noch dazu – gerade im Notfall von Vorteil - einfacher zu handeln ist.
Und so navigiert Herr Hoffrichter:
In die Grafik links wird die erste Messung eingetragen:
Dann folgt die zweite Messung:
Datum: 12.05.2024, UTC: 11:58:09 – Gemessener Winkel: 66°59,5'
Zusätzlich wird noch angegeben, ob die Sonne nördlich oder südlich steht. Links oben verlangt der Rechner die Versegelung (10 Seemeilen auf Kurs 300°).
Dann
rechnet Gauß – und spuckt folgendes Ergebnis aus:

Die Schiffsposition von 34°40,58' N / 17°27,05' E steht, etwas schwer lesbar, im Bild ganz unten links. Ausserdem ist Kurs und Entfernung zum, vermute ich, Zielort (kleiner Kreis in Nordsizilien) angegeben)
Doch nun kommt
St. Hilaire mit seinem System – mit dem der gesamte Schiffsverkehr aller Völker, die Weltumsegelungen (Erdmann, Pieske, Kammler, Koch usw.), die Rettung mittels Sextant von Apollo XIII ("Houston, we have a problem!"), die Kabelverlegungen in den Ozeanen, leider auch die Luftschlachten der Alliierten und vor 1935 auch der Flugverkehr abgewickelt wurden.
Und so funktioniert es mit einem 30 Jahre alten, vieltausendfach bewährten PC-Programm:

Ein grob geschätzter Schiffsort, der „gegißte“ Ort muß eingetragen werden, damit einer der beiden Schnittpunkte ausgeschlossen und nur der richtige berechnet wird - siehe unten.da nehmen wir halt mal in 34°30`, wo aich das ganze abspielt.
Dann wird – wie bei Hoffrichter – die erste Messung eingetragen.
Anschließend – rechts oben – die zweite Messung.
Ein Klick auf die braune Fläche - das Ergebnis erscheint!

Da in Hoffrichters Grafik keine Zielkoordinaten angegeben waren, habe ich zur Kontrolle Messina (Koordinaten aus Google Earth) verwendet.
Das Ergebnis entspricht in der Praxis exakt dem von Hoffrichter – jedoch mit folgenden Vorteilen:
Die beiden Standlinien (bzw. die Segmente ihrer riesigen Kreisbögen) können mithilfe der Beschreibungen (graue Felder unter Gelb und Grün)
in die Karte eingezeichnet werden.
Wen es interessiert: Aus dem Abstand zur Standlinie kann auf einen Blick grob erkannt werden, ob der gemesssene Winkel passt oder ob der gegißte Schiffsort grundfalsch ist.
Bei diesem „alten“ Programm kann eine Sonnenstandlinie mit jeder anderen – etwa von Venus, Saturn, Mars oder Halbmond – gekreuzt werden.
Selbst
eine einzige Standlinie kann nautisch wertvoll sein – etwa kombiniert mit einer terrestrischen Standlinie (z.B. Abstand zu einem Berg).
Zum Schluss noch der Einwand von Hoffrichter, es sei schwierig, einen „gegißten“ (geschätzten) Schiffsort anzugeben. Probieren wir es und geben einen
Phantasie-Winkel als gegißt ein:
Und siehe da: Selbst mit einem um über 500 Meilen falsch geschätzten Ort lag das Ergebnis nur etwa
1 Seemeile daneben – besser als in der Praxis oft nötig. Ein merkwürdiger Einwand von Hoffrichter ist das. Hier lag der gegißte Schiffsort über 540 Meilen (also nahezu 1000 Kilometer)vom tatsächlichen Ort entfernt. Wer so weit danebenliegt, 1000 Kilometer, sollte seinen Rausch ausschlafen, aber besser nicht auf See navigieren.
Noch etwas: Wenn Herr Hoffrichter meint, dass man mit seinem (angeblich modernen) System nichts von Astronavigation wissen müsse, dann sei angemerkt: Die Daten des obigen Beispiels wurden von meiner Frau eingegeben, die – pardon – von Navigation rein gar nichts versteht.
Herr Hoffrichter, der „seit kurzer Zeit Fahrtensegler“ (seine Angabe) ist, macht dabei noch einen typischen Denkfehler – ein Fehler, der leicht passiert, wenn man
nie im Ernstfall mit einem Sextanten gearbeitet hat. Er unterschätzt die eigentliche Schwierigkeit bei der Astro-Navigation: das Messen eines Gestirns. Hier ein kleiner Kurs:
Ich habe viele Rückmeldungen bekommen, in denen begeisterte Astro-Eleven von ihren ersten Versuchen berichten. Was Vielen oft gemeinsam ist: Sie sind ziemlich stolz darauf, dass ihr errechneter Schiffsort „nur“ 20 Seemeilen daneben lag. Ich bin mir sicher, dass diese Abweichung in erster Linie auf
Fehler beim Winkelmessen mit dem Sextanten zurückzuführen ist.
Denn die Bedienung eines Sextanten ist keineswegs kinderleicht – sie erfordert Übung, Erfahrung und sorgfältige Kontrolle. Ich kann das beurteilen nach Tausenden von Messungen in meinen 16 Jahren auf See.
Das Programm von Hoffrichter enthält keine Möglichkeit wie sonstige Astro-Programme, nämlich:
weder Mond, Fixstern und Planeten vorhanden
keine Vorausberechnung von Sonne oder sonstigen Gestirnen
keine Beurteilung der Messgenauigkeit mit Hilfe Entfernung Gißort und Schiffsort
keine einzelnen Standlinien, die gekreuzt mit irgendeiner Standlinie einen Schiffsort ergeben
keine Mittagsbreite (das einfachste und genaueste Programm für Anfänger)
Was nicht mehr lustig ist: Hoffrichter stellt auch gegentlich schlicht
unrichtige Statements auf, wenn es der Verbreitung seines Programms dient. Dem Verfahren nach Sumner spricht er lässig die Fähigkeit ab, mit
hohen Gestirns-Höhen zurecht zu kommen. Das ist schlicht falsch. Eine Anweisung nach Eric Hiscock finden Sie im älteren Buch YACHT-NAVIGATION von Delius Klasing:
Und Gestirne ausser der Sonne, denn die kann mit keinem anderen Gestirn verwechselt werden? Auf die Idee wäre ich noch nicht gekommen. Der Anfänger würde von anderen Gestirnen nur verwirrt, abgelenkt oder sostwas. Warum im angeblich "veralterten" Sumner-Programm - siehe oben - meine Frau, die Astro-Ahnungslose, nicht auf den Knopf "Mond" drücken kann, geht mit nicht ein. Aber auch hier wiegelt der geniale Autor ab: "...Der Mond ist am Tag auch nicht immer sichtbar."? Tatsächlich ist der Mond am Tag, wo er grob gesagt, die Hälfte der Zeit als weiße Sichel am Himmel gemessen werden kann, geradezu das
ideale Navigationsgestirn zum Messen (keine Verwechslung, keine Blendung und vor allem keine Versegelung, was das Werk von Hoffrichter enorm im Gebrauch für einen ahnungslosen Anfänger aufwerten würde. Gleiches gilt für Planeten wie die
Venus (Abendstern, Morgenstern), Jupiter und Mars.
"In einer NavigationsApp, die ad hoc verwendbar sein muss, ist die Sonne deshalb das einzig rationale Navigationsgestirn." Na, na?
Richtig bedenklich wird es, wenn Zeitgenosse Hoffrichter zum Beispiel durch seine Buchtitel den Eindruck erweckt, dass wir alle, die wir navigieren wie die
Großen und Allergrößten, Moitessier, Koch, Erdmann, Hiscock oder die Teilnehmer am neuen Golden Globe Race - das ist ein Solo-Non-Stop-Race um die Welt - ohne GPS - einer total veralterten, überholten Methode anhängen. Als ob sie alle Schwachköpfe wären .Was sollen solche Begriffsschwurbeleien wie "Postmodern" oder gar "ENDLICH ZEITGERECHT"? Letzteres kann ja wohl nichts anderes heissen, als:
DER ERLÖSER von ST.HILAIRE und SUMNER ist da!
Hier geht es zum ersten Teil, der vielleicht noch mehr für das Verständnis der ASTRO-NAVIGATION beiträgt!
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