Ist astro Out - Backup überflüssig?

Wenn GPS nicht mehr funktioniert, auch nicht Glonass und Galileo...

Das war etwas voreilig: Vor einiger Zeit hab ich mich zu der Ansicht verstiegen, dass die althergebrachte "Kunst" der Navigation mit Sonne Mond und Sternen überflüssig sei. O.K., teilweise stimmt das für Küsten- oder Binnensegler, denn die können sich beim Ausfall von GPS und Konsorten ja immer noch mit den bewährten Techniken (Kreuzpeilung etc) oder zu Not auch mittels Koppeln weiterhelfen.

Küstensegler brauchen kein Astro.

Freilich, Voraussetzung für die Seekartennavigation ist, dass man einen Schiffsort in eine (papierene) Seekarte eintragen oder auslesen kann. Und da hab ich meine Zweifel, dass das die Küsten- und Binnensegler heute noch können und nicht nur der Plotter mit allen Schikanen plus Bildschirm im Cockpit. Die, die das nicht können, wären erst recht mit der Astro-Technik überfordert, obwohl sie gar nicht so schwer ist; für sie ist das hier also in den Wind gesprochen, sie brauchen nicht mehr weiterlesen.

Und wie steht es auf hoher See? Ohne Landsicht? Bei einer Atlantiküberquerung?

Viele werden jetzt schmunzeln, denn ihre Plotter, jedenfalls die besseren werden von drei Satellitensystemen - GPS, Glonass, Galileo - gesteuert. Und notfalls ist ja noch das Navi vom Handy da, also wie soll das alles versagen, sodass man plötzlich ohne Schiffsort in den Weiten des Ozeans rumschwimmt? Alles also reine Panikmache!

Allerdings widerspricht dann die Situation an Bord dem in der Navigation unverzichtbaren von allen Navi-Lehrern in der Welt gelehrten Grundsatz, dass man sich in jeder Situation auf ein Backup-System verlassen können muss. Und, logisch, das funktioniert nur dann, wenn man auch auf ein Backup-System zurückgreifen kann. Wenn man also mit GPS navigiert, müssen im Hintergrund die weiteren Satellitensysteme, das russische Glonass oder das europäisches Galileo, einsatzbereit sein.

Warum ich dennoch auf die Idee gekommen bin, die von der Elektronik unabhängige Astro-Navigation für überflüssig zu erklären, liegt schlicht daran, dass meine Phantasie nicht ausgereicht hat, mir einen Fall vorzustellen, in dem eine Yachtbesatzung von allen guten "Geistern", dem amerikanischen GPS, dem russischen Glonass und dem europäischen Galileo, verlassen ist. In letzter Zeit bin ich aber sehr wohl eines Besseren belehrt worden, und zwar durch Geschehnisse, die offensichtlich gar nicht so selten sind.

Versagen von allen drei Satellitensystemen gleichzeitig ist nicht vorstellbar. Wirklich?

Im Normalfall stimmt das auch. Denn die Warnung von früher "Elektronik kann versagen" zieht halt nicht mehr so, weil man ja jede Menge Backups (Handy, Notebook etc) hat.

Allerdings: Die US-Coast Guard sammelt seit vielen Jahren Meldungen zum teilweisen oder ganzen Versagen des GPS. An diesen Meldungen - es sind viele hundert - sieht man, dass das GPS (das auch unser Navi im Auto steuert) gar nicht so störungssicher ist, wie ursprünglich geplant. Im Internet kursiert ein Bildschirm-Screen vom AIS, das ja ebenfalls vom GPS gesteuert wird, wo auf einem Handelsschiff ein paar Dutzend Berufsschiffe im Sekundentakt ihre Position wechseln, ja herumspringen. Da ist es offensichtlich, dass das GPS von nicht allzu fernen Störsendern durch "jamming" (= stören!) bearbeitet wird, aus welchen kriminellen Motiven auch immer (man glaubt es kaum: bei obiger Begebenheit ging es um Diebstahl von Sand!). Es kommt selbst zu längeren Ausfällen, die nicht bordseitig und auch nicht lokal durch Störsender verursacht werden. Und zwar in allen Gegenden der Welt, also auch auf hoher See.

Tatsächlich verfügen viele Navis auf Yachten auch über Backups, denn das ist heute fast schon Standard sogar in vielen Spielzeugen (so wie übrigens auch in preiswerten Spielzeug-Drohnen). Also, was soll da noch passieren? Wirklich?

Verzweifelte Situation: Zwischen Riffen seekrank irrend...

Sehr nachdenklich wurde ich, als ich aus Neugierde wissen wollte, was aus meinem letzten Schiff, dem Kat THALASSA (Foto), geworden ist und im dortigen Blog zufällig folgende Stelle fand, wo der erfahrene Skipper und Weltumsegler Gunnar die Ansteuerung auf die gefährlichen Minerva-Riffe im Indischen Ozean ehrlich beschrieben hat:

"...Ich darf auf keinen Fall das Riff verschlafen. S. O.! Drinnen sah ich dann die Katastrophe!! :Keines meiner 3 GPS-Systeme konnte unsere Position ermitteln! Dazu muss ich sagen, dass ich drei voneinander unabhaengige Systeme habe, das eine jeweils als Backup des anderen. Schweisstreibend und nun langsam mit wachsender Seekrankheit (Schlafmangel, kein Essen) kaempfend, versuchte ich Loesungsszenarien zu entwickeln. Immerhin rasten wir nun schon seit 5 Stunden (!!) ohne exakte Positionsdaten mit 10 Knoten durch die stürmische Nacht. Bullenreiten Stufe 4! Ich war schon so weit, beizudrehen, und eibend abzuwarten, dass sich das Problem loest bzw ich es in den Griff bekomme. Theoretisch (!) kann ich zwar unsere Position auch mit Sextant und Tafelnerrechnen, aber ohne Übung?? Haha. Das Ergebnis waere keinesfalls ausreichend, ein riffgespicktes Gebiet zu besegeln.
… Mir war schlecht!"


In dieser Schilderung ist alles drin, was man den Befürwortern der alleinigen Satelliten-Navigation entgegenhalten kann: Nicht in einem für Jamming geeigneten eng begrenzten Gebiet ist das passiert, sondern in den verlassenen Breiten der Südsee war der Skipper trotz seiner backup-gestützten Satellitenanlage hilflos. Vor allem der Albtraum schlechthin: drei voneinander unabhängig arbeitende GPS-Geräte und Astronavigation als vermeintlich sicherer Ausweg, die aber mangels Praxis nicht einsatzbereit war.

Warum hier die hochgenauen und "eigentlich" zuverlässigen Satellitensysteme ausgestiegen sind? Wir wissen es nicht. Der Vorfall zeigt aber: Es kann vorkommen.

Gewitter sind vom Menschen nicht zu beherrschen.

Störungen, deren Ursachen die Natur liefert, sind vielfältig. Die von ernsthaften Wissenschaftlern immer wieder prophezeiten Magnetstürme, eine Gefahr für jegliche Elektronik, sind zwar bis jetzt in diesem Jahrhundert ausgeblieben, aber dafür hat der Blitz eingeschlagen, und das nicht einmal selten. Bei der Ansteuerung auf Singapur habe ich das selbst erleben müssen, wenngleich ich es damals für eine nebensächliche Episode hielt, weil "nur" die Elektronik zum Maschinenstarten zerstört war, was mit wenig Aufwand im nächsten Hafen aus der Welt geschafft werden konnte. In der gleichen Gegend hat es aber zwei meiner Freunde auf dem offenen Meer erwischt, Weltumsegler Bernd Heller berichtet:

Auf unserer Weltumsegelung sind wir vor Singapur in ein Gewitter geraten, der Blitz hat eingeschlagen und 28 Geräte zerstört. Wir waren nahe am Land, sodass wir ohne größere Probleme den Hafen erreicht haben.

Wir haben uns dann nachträglich schon überlegt, was gewesen wäre, wenn wir weit draußen gewesen wären. Vor Beginn unserer Reise hatten wir einen Astro-Navigationskurs gemacht und auch einen Sextanten an Bord, was im Nachhinein einem ein schon recht gutes Gefühl gegeben hat.



Hier der Bericht von Bernds Leidensgenossen Ingrid und Robert auf der Weltumsegelyacht Harlekin im Oiginal:

Wer nun meint, die Straße von Singapur gehe ihn nichts an, die läge ja so weit weg und wenn da Gewitter und so ...., der möge den Bericht von Harry Neumayer, WNB-Ausbildungsreferent des YACHT CLUB AUSTRIA nachlesen, der am 22.09.2020, gegen 21.10 Uhr auf dem Rückweg von Chioggia Richtung Aprilia Marittima, vom Blitz getroffen wurde, wobei verheerende Schäden an der Elektronik verursacht wurden, was der Skipper zunächst gar nicht erkannt hatte - siehe Blitzeinschlag im Mittelmeer .

Neben dem oben geschilderten Einschlag mit lediglich einem kaputtem Starter, haben auch wir ebenfalls eine ganze Reihe von Gewittern auf hoher See erlebt, und mehrfach hat es sogar derart ohrenbetäubend gekracht, dass wir sicher waren, der Blitz sei irgendwo in die THALASSA eingefahren. Zufälligerweise(!) war aber kein sichtbarer Schaden entstanden. So ist also die Thalassa nicht nur einmal von einem Gewitter erwischt worden, das durchaus das Ende manchen Elektronikteils hätte bedeuten können.

Nebenbei: Ich werde oft nach einem hundertprozentigen Schutz gegen Blitzeinschläge auf Yachten gefragt. Kurze Antwort: "Den gibt es nicht!" Es wurde, auch von mir, schon empfohlen, während eines Gewitters das GPS im Bratrohr nach dem Prinzip des Faradayschen Käfigs aufzubewahren. Dies mag das Risiko, die Elektronik ganz zu verlieren, mindern, aber ausgeschlossen ist es nicht, dass auch hier die Elektronik, die die Satellitendaten verarbeitet, Schaden nimmt. Und dann steht der Navigator im schlimmsten Fall mit leeren Händen da, wenn er nicht die simple Arbeit mit dem Sextanten beherrscht.

Ich geb ja zu, dass sicher die allermeisten Langfahrten heute ganz gut mit Hilfe von GPS und Konsorten ihr Ziel erreicht haben, ja, dass hunderte von Weltumsegelungen ohne Sextant erfolgreich durchgezogen wurden. Weil bei denen halt zufällig der Blitz mit dramatischen Elektronik-Schäden nicht eingeschlagen hat.

Verlässt sich der Skipper allein auf die Elektronik- und das tut er auf hoher See ohne einen Sextanten verstößt er eigentlich gegen den seemannschaftlichen Grundsatz: Es muss immer ein Backup-System vorhanden sein, und das ist auf hoher See nun mal der Winkelmesser (Sextant) und die Fähigkeit, diesen auch anzuwenden. Ein störbarens und unzerstörbares System!

Backup-Systeme sinde heute überflüssig...

Merkwürdigerweise scheint dieser Grundsatz wegen unserer so sehr leistungsfähigen (und preiswerten) Navigationssysteme vielfach aufgegeben worden sein.Da wird da halt das Risiko abgewogen, wie so oft im Leben. Es wird mir schon nichts zustoßen, beruhigt man sich und spart sich so ein paar Tage Arbeit mit den amerikanischen NO-Tafeln. Aber ganz folgerichtig ist das nicht. Denkt man bei der Vorbereitung nicht auch an einen Schiffbruch, bei dem eine Rettungsinsel benötigt wird? Fürchtet man da nicht auch einen Seeräuberüberfall und befasst sich intensiv mit dem Thema "Waffen an Bord" oder besucht man da nicht weitergehende medizinische Hilfekurse, um das Nähen einer Verletzung zu üben, oder spielt man gar, wie der Autor, mit dem Gedanken, sich vorsorglich einer Blinddarmoperation zu unterziehen? Sind solche Gedanken nicht viel abwegiger, als mit einem Gewitter mit Blitzeinschlag zu rechnen? Ich kenne zum Beispiel nicht einen verbürgten ehrlichen Fall in jüngerer Zeit, in dem eine Rettungsinsel zum Einsatz nach dem Sinken des Schiffes gekommen ist. Eine Schusswaffe war hilfreich? Das habe ich noch nie erlebt. Und von einer Not-Op eines entzündeten Blinddarms auf hoher See habe ich in 50 Jahren noch nichts gehört. Was also ist wahrscheinlicher, ein Blitzeinschlag mit Elektronikschäden oder obige Katastrophen?

Ein Präzisionsinstrument zum Herzeigen

Merkwürdig! Warum kaufen Blauwassersegler einen teuren Sextanten. Und kümmern sich dann nicht darum, indem sie lernen, damit im Ernstfall umzugehen. Auffällig: In den letzten Jahren haben sich in der Sportschifffahrt viel mehr Sextanten verkauft (nein, ich bekomm nicht einen Cent Provision!) als die Jahre zuvor (ich sprech hier nur von der Sportschifffahrt!). Und trotzdem werden sie kaum benutzt, um den Standort nach Sonne Mond oder Sterne zu berechnen, was dazu führt, dass im Ernstfall eine Navigation mit den Gestirnen nicht stattfinden kann.

Der Unterschied in den Vorbereitungen für diese nicht sehr wahrscheinlichen Dramen liegt sicher hier: Für eine Rettungsinsel legt man ein paar tausend Euro auf den Tisch, wuchtet sie auf die Yacht - und der Fall, die Vorsorge gegen Schiffbruch, ist erledigt. Ähnlich verfährt man mit den Feuerlöschern und einer Epirb. Glaubt man, unbedingt eine Waffe für den Bordgebrauch haben zu müssen, so kauft man die und legt sie gut geölt - hoffentlich - in den Bordtresor. Seeräuber gebannt!

Und in der nicht computergestützten Astro-Navigation? Ja, da müsste man sich schon mit den unverwüstlichen amerikanischen Tafeln, die unempfindlich gegen Blitzschlag sind, vielleicht ein Wochenende lang abgeben, vorausgesetzt, dass man die vier Grundrechenarten noch beherrscht. Druckt man sich vor Beginn des Törns die paar Seiten aus dem Nautischen Almanach aus, braucht man keine Elektronen mehr, um seinen Schiffsort auf ein, zwei Meilen genau festzustellen. Damit allein wurden ungefähr bis 1985 alle Weltumsegelungen durchgeführt, ja die gesamte Welt-Schifffahrt über die Ozeane bewegt, seien es Tanker gewesen oder die deutschen Weltumsegler Elga und Ernstjürgen Koch. Aber allein mit der Anschaffung dieses Winkelmessgerätes ist es nicht getan. Und damit scheinen eben viele überfordert zu sein.

Schade!

Die einfachsten instrumente können zum Lebensretter werden

Es gibt aber noch einen wichtigen Grund, sich als Blauwassersegler mit dem Sextanten gelegentlich seine Position zu suchen: Sind wir Segler nicht stolz darauf, wie schon vor tausenden von Jahren einfach nur den Wind zur Fortbewegung zu nutzen? Sprechen wir nicht ehrfürchtig von der Seemannschaft als einem Jahrhunderte altem Handwerk, das wir nützen und das uns sicher über die Weltmeere bringt? Lernen wir nicht in den Segelkursen, wie man einen Takling setzt, obwohl das eigentlich viel praktischer mittels Verschweissen des Tampens funktioniert? Und fancy-work, die alte liebevolle Handarbeit mit Seilen und Knoten kann kein Computer der Welt. Warum also üben wir nicht die Navigation mit den Gestirnen aus, ein Handwerk, ohne das die gesamte Welt - zumindest politisch - ganz anders aussehen würde.

Oder finden wir diese "Kunst" gar zu kindisch, um sie heute neben der Elektronik einzusetzen? Da sollten wir unserem Astronauten Alexander Gerst zuhören, der davon berichtet hat, dass die Apollo13-Besatzung - Sie wissen schon:"Houston, we have a problem!" - nur deshalb sicher zur Erde zurückgekehrt ist,weil sie einen mitgeführten Sextanten benutzt hat. Da sage noch mal jemand, Astro sei Out.

Bei aller modernen Elektronik in der Navigation ist es schon sinnvoll, nicht nur - wie oft unter "erfahrenen" Seglern üblich - auf die sogenannte "gute Seemanschaft" zu verweisen, sondern sich der einfachsten Navigationsgrundlagen zu erinnern. Nebenbei: Haben Sie in jüngerer Zeit eine Deviationstabelle aufgestellt? Wenn nicht, sollte Sie folgende wahre Begebenheit nachdenklich machen:

In der Fliegerei zum Beispiel muss in jedem Cockpit, also auch in allen Airbussen oder Boeings, ein lächerlicher, kleiner Magnet-Kompass mit Deviationstabelle vorhanden sein, so das Gesetz. Meine Fluglehrerin Kapitän Madlene Clausen, Checkpilotin bei der Condor mit über 30.000 (!) Flugstunden, beklagte sich, dass sie auch regelmäßig im Simulator nach diesem Kompass zu fliegen üben müsse: "Das ist nicht gerade zur Belustigung...., aber vor ein paar Jahren habe eine B747 im Flug die gesamte Elektrik durch Kabelbruch verloren. Nur dank des vom Strom unabhängigen "Schnapskompass" (wie die Flieger sagen) konnte die Maschine in Neufundland mit zerfetzten Reifen landen. Alle (über zweihundert) Passagiere überlebten. Zwar ein fliegerisches Meisterstück der Piloten, aber gerettet hat der ach so "primitive" Schnapskompass!

Ist Ihnen nun klar, dass Sie, wenn Sie zum Segeln fliegen, letztlich Ihr Leben einem einfachen Magneten anvertrauen? Vielleicht meinen Sie jetzt nicht mehr, dass ich in den Wind gesprochen habe.

Bobby Schenk


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