Safety
first
Nein,
da hab ich in meinem Leben schon viele Dutzend Kolumnen, auch für unser
Fachorgan, die YACHT, verfasst, aber auf so viel Interesse bin ich noch nie
gestoßen: Viele hundert Stellungnahmen zu
meinem Beitrag über den VESTAS- Crash finden sich im Internet,
positive wie negative. Meinungsvielfalt macht das Leben bunter,
manchmal auch heiterer. Mit Schmunzeln hab ich manche Missfallenskundgebungen,
vor allem aus der Ecke der Regattasegler, zur Kenntnis genommen, weil sie
oft in originelle Formulierungen gekleidet waren. Bei der Bezeichnung dieser
Kolumne als "Wichsvorlage" oder "Hasspredigt" allerdings
frage
ich mich schon, welche Denkweise sich hinter den
Decknamen verbirgt. Wenn ich mir so die Litanei der Beschimpfungen mal
durchsehe - hier
eine grobe, unvollständige Auslese
(falls Sie sich das antun wollen) - freu
ich mich über den Ritterspruch: "Viel Feind, viel Ehr".
Zur
Sache, der Sachverhalt:
Merkwürdig,
warum ein so einfacher, so logischer
Tatablauf,
ein Lehrstück zum Thema Navigation,
lange und hitzige Diskussionen
auslöst: Der
Navigator der VESTAS legt einen Kurs über eine Landmasse, deren
Position in allen seriösen, auch in seinen
Navigationsunterlagen sehr genau enthalten ist. Die Landmassen weichen
naturgemäß nicht aus;
sie vernichten die millionenteure
Yacht, die neun Segler überleben den Crash, weil zufällig keine Brandung
auf dem Riff steht.
Der
Chef des Volvo-Spektakels Knut
Frostad:
"Es hätte viel schlimmer ausgehen können!".
Vor
ein paar Jahrzehnten wählte meine Yacht THALASSA
mit ihren primitiven Navigationshilfen (Sextant, Kompass und Uhr) auf
dem Weg nach Mocambique als Ziel und Zwischenstopp
die Nordspitze von Madagaskar, um dem Inselgewirr weiter südlich, auch den
damals, so weit ich mich erinnere, ohne Leuchtfeuer
ausgestatteten Cargados-Carajos-Inseln,
aus dem Weg zu gehen. Die Seekarten in diesem Gebiet galten als ziemlich präzise,
und so war diesem riesigen Archipel
(bei GOOGLE EARTH einfach unter "Cargados-Carajos" oder beim
Unfallort "16°48'
S, 59°35' E"
zu finden) leicht auszuweichen, weil er auf der ölverschmierten Karte
(und im Seehandbuch)
exakt
abgebildet war. Karla hatte sie einem
Chefingenieur der
Zehntausend-Tonnen großen ENNA G abgeluchst, der sie weit nach
Verfallsdatum als Dichtungen im
Maschinenraum verwenden
lassen
wollte. Durchaus üblich das Verfahren, teure
Seekarten bei der Großschifffahrt abzustauben! So konnten sich auch
Low-Budget-Segler
eine seriöse Navigationsausrüstung mit allen Detailkarten leisten.
Zoomen
war mit der Karte übrigens auch
möglich: Man
starrte
durch eine handelsübliche
fünf Mark teure Lupe auf das Papier. Und das nur
nebenbei: "Zoomen" bedeutet immer das
Ausblenden von Details. Jeder Navigator kennt beim Gebrauch des
Radargerätes die im
Manual abgedruckte Warnung vor der Rücknahme der Verstärkung oder des
Aufdrehens der Seegangsenttrübung. Wichtige Echos könnten untergehen oder
ausgeblendet werden.
Unsere
damalige Yacht hatte nur eine Geschwindigkeit von sechs, sieben Knoten
drauf, mein späterer Katamaran
machte dagegen schon mal 15 Knoten. Auf
beiden war es nicht angenehm, bei schlechtem Wetter, gar Sturm,
unten in der Navi zu arbeiten. Da wir allein
waren, hatten wir ja noch eine Menge anderer Jobs zu erledigen. Die
Navigation nach oben ins Cockpit zu verlegen, ging nicht. Ich denk, dass ich
den Weg zwischen Ruder und Navigation wohl tausende Male gesprungen bin. Ähnlich
hektisch habe ich es Jahrzehnte später bei diversen Hochseeregatten unter
dem Kommando von Medaillengewinnern (bei Olympischen
Spielen) erlebt. Das waren für einen kleinen
Fahrtensegler großartige, unvergessliche Erlebnisse in einem
Profisport. Faszinierend, wie beim Rennen
die zehnköpfige Crew bis zur Erschöpfung dafür an den Grindern arbeitete,
alles der Geschwindigkeit der Yacht unterordnete. Fast alles!
Und
jetzt erreichen mich solche Mails:
"Sehr
geehrter Herr Schenk,
Herzlichen Dank für Ihren polarisierenden
Kommentar zum Volvo Ocean Race.
Sie liegen
meines Erachtens etwas daneben. Anders als bei den "Modern
Classics" 2014 in Maasholm (wir trafen uns dort) geht es im
Hochseesport um völlig andere Werte.
Ich weiß darüber zu berichten, da ich selbst
viele Hochseeregatten und Überführungen in teilweise eher schwierigen
Bedingungen erlebt habe....(Biskaya im Winter Kiel-Portimao in 6 Tagen,
Transpac als jüngster Austauschschüler, etc.pp.) ...
Unanständig
ist Ihre Bewertung zu dem VOR Unfall. Unterlassen Sie soetwas In Zukunft. Es
dient dem Segelsport nicht. Die modernen Zeiten sehen anders aus als das,
was Sie und ich vor vier oder mehr Jahrzehnten gelernt haben.
Navigationsfehler gehören eben auch mal dazu - so wie eh' und jeh.
Sportsgruss, Philipp Einfeldt ( Race Winner
Modern Classics 2014 )"
Der
Absender, Gewinner der "Spaßregatta" (YACHT.de) beim erwähnten
Event, geht hier mit seinem
harschen Befehl auf Unterlassung ein
wenig zu weit.
Jeder, erst recht jeder Segler, kann sich
ein Urteil
zu Vorkommnissen auf hoher See, unserem Revier bilden, gleichgültig, ob es
die Sportschifffahrt, Kreuzfahrtschiffe, Fischerboote, Waschpo oder die Strandung
eines Öltankers etc. angeht. Und sein persönliches Urteil publizieren darf
auch jeder. Wenn zum Beispiel der Navigator auf der Exon Valdez etwas von
einem Zoomfaktor faseln würde, kann ich mir meinen Teil denken. Und den
auch kundtun, oder?
Mein
Urteil über
das Geschehen auf der VESTAS ist geprägt vom
anfangs erwähnten Sachverhalt, den manche durch Zerreden aus der Welt
schaffen möchten - keine Ahnung,
warum.
Das
geschieht normalerweise erst bei den rechtlichen Auseinandersetzungen mit
der Versicherung, vielleicht auch mit dem Produzenten der verwendeten
Karten-Software, nämlich dann, wenns ums
große Geld geht.
Bei
einem Punkt allerdings gerät meine Toleranz an persönliche Grenzen. Auch
beim Regattasegeln, und sei es noch so sehr professionell, darf nicht die
Schnelligkeit an erster Stelle stehen.
So,
wie in der Fischerei, mit der wir uns auch manchmal auf hoher See
herumschlagen müssen, die Fangquote, bei
Öltankern der kürzeste Weg und bei Kreuzfahrtschiffen die Wellness
der Passagiere hinter der Sicherheit der anvertrauten Menschen
zurückstehen müssen. Das sieht auch Knut
Frostad,
CEO vom Volvo-Rennen,
nicht anders, der vor laufenden Kameras
klarstellt: "Zuerst die Segler,
lautet die Regel". Safety First! Und dem hat sich alles unterzuordnen.
In allen Lebensbereichen, vor allem dann, wenn auch andere, unbeteiligte
Menschen tangiert werden. Eine mit allen modernsten Navigationsmitteln
ausgerüstete Hochseeyacht, hoch und trocken auf einem Riff,
mit der in allen Weltmedien verbreiteten Automarken-Werbeaufschrift
(the show must go on),
die aussieht als wäre sie ein Namensschild für das
Riff, hat sich nicht an diese
allerwichtigste Regel gehalten.
Wenn,
wie hier, auf die gänzlich "anderen" Bedingungen, die auf einer
High-Tec-Regattayacht eben so im Rennen herrschen oder auf den Zoomfaktor
abgestellt und damit die Warnwirkung dieses Vorfalls verwässert wird, so
ist mir das nicht wurscht. Das Meer ist kein
rechtsfreier Raum, für niemanden! Das Streben von Konzernen wie Volvo
nach Umsatzsteigerung ist zwar legitim, begründet aber keine Sonderrechte
für professionelle Regattasegler.
Ihre Rechte als Segler sind zum Beispiel in den internationalen Kollisionsverhütungsregeln
(KVR) geregelt.
Denn
Rennyachten, wie auch alle anderen Seeschiffe gehen die Allgemeinheit,
erst recht mich als Benutzer der Hochsee, durchaus was an. Die
Rennteilnehmer segeln auch in "meinem" Revier. Sie kommen mir
vielleicht mal mit ihren 19 Knoten auf meinem Wegerechtskurs in die Quere,
beschädigen der ganzen Menschheit gehörende Korallenriffe (In den USA
ist selbst das vergleichsweise harmlose Ankern auf Korallen unter Strafe
gestellt), verursachen teure Rettungs- und
Beobachtungs-Aktionen der Küstenwache – wie hier - vom
500 Kilometer entfernten Mauritius aus und
ziehen vielleicht auch andere Menschen in das von ihnen verursachte Chaos.
Ein längst vergessenes Beispiel: Der alte, sterbenskranke Ritter Sir
Francis Chichester bildete sich vor vielen Jahren ein, unbedingt nochmals
an einer Transatlantik-Regatta teilnehmen zu müssen. Bei der
Rettungsaktion, die für ihn erwartungsgemäß eingeleitet werden mußte,
gab es Tote unter den Rettern. Sie waren wahrscheinlich am Regattasegeln völlig
uninteressiert und mussten trotzdem dafür ausrücken - und
ihr Leben geben.
Soll
man diesen Vorfall nutzen, um Lehren daraus zu ziehen? Ich bin mir nicht
sicher, ob über die VESTAS nicht bald der
Mantel des Vergessens gebreitet wird, also keine
Konsequenzen daraus gezogen werden.
Im ersten "Whitbread-Race" (so hieß das Volvo Ocean Race
früher) sind drei Teilnehmer elendiglich ersoffen. Sie hatten keine
Sicherheitsgurte eingepikt - genau so wie nächtens die Männer auf der Vestas. Was hat man aus diesen Unglücken für Konsequenzen gezogen? Mir ist keine
(außer einem Gedenk-Gottesdient in
Kapstadt) bekannt.
Was
kann, muss man aus diesem Vorfall lernen? Na, ja, die alten Weisheiten
auffrischen, als da sind, dass der
Navigator alle(!) ihm zur Verfügung stehenden Navigationsunterlagen nutzt
(und nicht wegzoomt). Dass er wie ein Arzt erst dann die Diagnose "Vor
uns ist nichts!" fällt, wenn er alle Symptome gewertet hat. Ich
darf hierzu ausnahmsweise aus einem meiner Navigationsbücher zitieren, ein
Zitat, dessen Richtigkeit keiner der
hunderttausend Leser in vielen Jahrzehnten in Frage gestellt hat:
"...und
das ist überhaupt ein Rat, den ich jedem - ob Anfänger oder „Könner“
- geben kann: Niemals darf man sich bei seiner Navigation vollkommen sicher
sein. Wenn Zweifel schweigen, gibt es keine Chance mehr, einen immer möglichen
Fehler zu entdecken."
Nach
eigenen Worten hat der Navigator der VESTAS keine Zweifel gehabt. Er
hat sich in die Koje gehauen: "...bevor ich mich zu einer Pause nach
einem langen Tag hinlegte".
In
den Foren, speziell im YACHT-Forum sind unter den gutartigen Teilnehmern
viele konstruktive Gedankenanstöße gekommen, wie dieser Unfall hätte
vermieden werden können.
Es ist zum Beispiel von "tanu" die Frage in den Raum gestellt
worden, warum weder die Regattaleitung noch die in der Nähe befindliche
Yacht Alvimedica - beide kannten den Kurs der VESTAS
und konnten ihn beobachten - nicht gewarnt haben? Ich kann mir gut
vorstellen, dass die einfach nicht mit der absonderlichen Möglichkeit
gerechnet hatten, dass die VESTAS vom Riff gar nichts weiß und deshalb
keine Veranlassung gesehen haben, einzugreifen.
"go4sail"
meint im Forum: "Der Fehler lag allein beim Navigator, der vorm
Schlafenlegen versäumt hat, seine Checkliste (wie ein Flugkapitän)
abzuarbeiten." Er bringt damit das fehlende "Crewmanagement"
ins Spiel. In der Fliegerei, wo es im Cockpit ja
immer um Leben oder Tod geht, ist diese Organisationsform ganz groß
geschrieben.
Sie
beschreibt das
konstruktive Zusammenwirken der Crew mit dem einzigen Ziel, den Flieger und
damit seine Menschen heil auf den Erdboden zu bringen. Nicht selten wurde
von offiziellen Stellen in Untersuchungen von Flugzeugkatastrophen auf das
fehlende oder fehlerbehaftete Crewmanagement als Unfallursache hingewiesen.
Ich
bin sicher, dass die Katastrophe der Costa
Concordia, die ja auch "nur" auf einen Felsen aufgelaufen ist
- die unmittelbare Ursache für das Unglück
war die gleiche wie bei der VESTAS, die Folge
ungleich desaströser – hätte verhindert
werden können, wenn dort ein
sinnvolles Crewmanagement geherrscht hätte, wenn der Rudergänger
den Kapitän gefragt hätte: "Wir haben nur noch x Meter zum
Felsen, sollen wir nicht abdrehen?" Oder so ähnlich.
Wenn
auf einer Blauwasseryacht mit Ehepaar
die
Skipperin vor dem Auslaufen in schweres Wetter die Frage stellt: "Sind
alle Luken geschlossen? Und die Antwort erhält: "Ja, selbstverständlich!"
Dann wäre es gutes Crewmanagement, wenn die Retourkutsche von der Skipperin
als Aufforderung zum Cross-Check kommt: "Schau doch mal lieber
nach!"
Die
für die sichere Schiffsführung (nicht für den Speed) für sich selbstständigen
Tätigkeiten - hier der Navigator, hier der Skipper ("muss
ich mich verlassen können") - separat zu verteilen, mag für das
Renngeschehen unentbehrlich sein, für die Sicherheit ist es kein sinnvolles
Zusammenwirken, kein Management. Für die
Sicherheit ist es kontraproduktiv - siehe oben.
Ich
habe aus dem Unfall der VESTAS eine Konsequenz gezogen, nämlich mein nächstes
Blauwasserseminar
um den Punkt "Crewmanagement"
erweitert.
Hierfür
habe ich einen Referenten gewonnen, der geeigneter nicht sein könnte. Der
pensionierte Oberstleutnant war bei unserer Luftwaffe Staffelkapitän eines
Jagdbombergeschwaders,
musste
also im Zusammenwirken mit seinem Mannschaftskameraden im Cockpit oder mit
dem Wingman im anderen Jet in  Sekundenbruchteilen
lebenswichtige Entscheidungen treffen. Ein herausragender Fachmann also.
Dies allein aber wäre mir bei der Referenten-Auswahl nicht genug.
Ich würde
mir
als Segler von einem Piloten nicht etwas
übers Crewmanagement auf meiner Yacht erzählen lassen. In diesem Fall schon:
Hans Schubert ist zusammen mit seiner Gefährtin Kerstin
Pieper und zahlreichen Gästen, die ins Management eingegliedert werden
mussten, in einem Katamaran erfolgreich, das heißt ohne Havarie oder
Crash, um die Welt gesegelt. Für diese Weltumsegelung sind die beiden mit
der höchsten deutschen Seglerauszeichnung, dem Trans-Ocean-Preis,
geehrt worden. Hans wird auf dem Seminar dem Thema Crewmanagement einen
Tagungspunkt widmen und den Zuhörern dieses äußerst sicherheitsrelevante
Thema nahebringen.
Das
wird sicher nicht in den Wind gesprochen sein.
zur ersten
Stellungnahme zum Unglück der
VESTAS
zur
Home-Page
Page by Bobby Schenk
E-Mail: mail@bobbyschenk.de
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