In
den Wind gesprochen (61):
Deutscher
Sporthochseeschein - Schwachsinn oder nur Schikane?
Egal, was man von Bootsführerscheinen hält, wir
sind uns doch einig, dass
Sportschiffer, also Segler und erst recht Motorbootfahrer möglichst gut
ausgebildet sein sollten. Ich hab jedenfalls ein besseres Gefühl, wenn ein anderer
Segler im Hafen bei mir längsseits gehen will und ich weiß, dass er solche
Manöver "im Schlaf" beherrscht oder wenn ich mit anderen einen
mehrtägigen Segeltörn auf dem Atlantik absolviere und die was von ihrem Handwerk
verstehen.
Ein probates Mittel, die Ausbildungsqualität
zu fördern, ja zu steigern, ist die
"Mühle" des Erwerbs eines Scheins. Ich sehe den
Hauptzweck eines
Bootsführerscheins nicht darin, dass der Inhaber sich nun fein ausweisen kann,
wenn er eine schöne Yacht anchartern möchte, sondern darin, dass der, der ein
solches Papier erwerben will, gezwungen ist, sich ausbilden zu lassen. Am besten
sollte er in einer der vielen
anerkannt guten Ausbildungsstätten geschult werden, um
die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten zur Führung einer Yacht sodann in einer Prüfung nachweisen zu können.
Freilich, Voraussetzung ist - man mag es kaum aussprechen, so selbstverständlich
ist es - dass die Prüfungsvoraussetzungen, also der gefragte Stoff, sich streng
an der zukünftigen Praxis orientiert. Schließlich ist ein Hochsee-Segelschein,
so hat es der Gesetzgeber gewollt, ein
Befähigungs-Nachweis zum Führen einer Yacht.
Sollte man meinen.
Beim Deutschen Seglerverband (DSV), der (neben dem
DMYV) - leider - vom
Verkehrsministerium mit der Prüfung von Segelscheinen und der Ausgestaltung dieser
Prüfung beauftragt ist, sieht
man allerdings die Sache entschieden anders - jedenfalls beim "höchsten"
Schein", dem Sporthochseeschifferschein. Der immerhin nach dem Willen des
Gesetzgebers sich eignet, mit der Yacht weltweit auf den Meeren rumzufahren.
Und den niemand so richtig mag. Warum wohl? Unabhängig
davon, dass er zwar gesetzlich geregelt, jedoch bei nichtgewerblichem Gebrauch
der Yacht nicht vorgeschrieben ist, ging die Zahl
der Erwerber in den letzten Jahren drastisch zurück. Viele Segelschulen
bieten ihn erst gar nicht mehr an. Es sollte selbst den DSV-Funktionären zu denken
geben, dass das Verhältnis vom Sporthochseeschifferschein (früher C-Schein) zum
Sportschifferschein (ganz früher K-, beziehungsweise B-Schein) nach Schätzung
eines Insiders bei - gefühlt - kaum glaublichen eins zu tausend liegt.
Tatsächlich dürfte das "Vielfache" im einstelligen Bereich liegen.
Aber eigentlich logisch, denn der vielzitierte
Verbraucher mag sich nicht mit Prüfungen rumschlagen, die
für die Praxis
nichts wert sind. Folgerichtig steigt hierzulande das Interesse am
englischen Yachtmaster-Schein immens, weil dort bei Ausbildung und Prüfung
die spätere Praxis themenbestimmend ist, der Prüfling also nicht nur ein Stück
Papier in die Hand bekommt, sondern auch die Beherrschung des Umgangs mit
Sportschiffen in jeder Hinsicht. Österreich, uns leider auch in diesem Punkt überlegen,
hat ein unvergleichlich besseres Schein-System als wir, aber bedauerlicherweise können Deutsche und
Schweizer nicht in dessen Genuss kommen.
Ist es wirklich so schlimm mit der Praxisferne der DSV-Prüfungen?
In der
"Sporthochseeschifferscheinprüfung" (schon dieses Wortungetüm lässt
einen schaudern) verlangt man auch Spezialkenntnisse in der
astronomischen
Navigation, also in der Navigation mit Hilfe der Gestirne. Ist das heute noch
praxisgerecht? Wohl kaum, denn auf jedem Schiff
befinden sich doch GPS-Geräte in vielfacher Anzahl, in der Navi-Ecke, im Plotter,
im Smartphone, im Tablet etc. Gewiss, ein wunderbares, ja zauberhaftes Hobby ist es
auch heute noch - ob
notwendig oder nicht - mit Hilfe der so atemberaubend fernen Gestirne seine genaue
Position auf den
Weltmeeren zu bestimmen. Viele, auch ernsthafte Skipper sind allerdings der
Meinung, dass Astro heute ausgedient hat, wo doch das GPS
oder andere Satelliten fortlaufend den Standort ausspucken. Dass heute (vor
allem wegen
GPS) die astronomische Navigation lediglich ein faszinierender Zeitvertreib ist, wird vom DSV offensichtlich
nicht begriffen. Wie man
an der folgenden Gewichtung in der Prüfung sieht:

Das Fach Navigation, das beim DSV in der Gewichtung zu ungefähr 80% aus Astronavigation
besteht, wird 150 Minuten, zweieinhalb Stunden lang, also genau zehn Mal so
lange geprüft wie mündlich die "Handhabung von Yachten" (siehe oben vorletzter
Satz), die eine
jämmerliche Viertelstunde dauert. Beim Hochseesegeln, also im richtigen Leben,
ist es aber genau umgekehrt, die Bedeutung von Astronavigation, bis 1990 das
tägliche Brot für den Navigator, geht auf fast allen Hochseetörns
gegen Null! Und,
auch das geht aus obiger Aufstellung nicht gleich hervor: Wird im Astrofach die einzige Rechenaufgabe nicht gelöst, ist man
praktisch schon durchgefallen.
Es ist kein Geheimnis, dass die Tapferen, die sich an diese Prüfung im
wahrsten Sinne
des Wortes heranwagen, reihenweise durchfallen, vor allem in der Astronavigation. Schauen
wir uns mal so eine Astro-Prüfungsaufgabe an, selbst Laien, die sich mit
astronomischer Navigation nicht auskennen, ist dann zum Lachen
zumute angesichts der Einfalt von Prüfern, die sich sowas einfallen lassen:

Wenn Sie beim Lesen obiger Aufgabe nur noch Bahnhof verstehen, dann geht
es Ihnen auch nicht besser als es mir zu Anfang ging. Was zum Teufel ist denn
heute "BZ" oder
"ZZ"? "Ah" ist die Augeshöhe, das erkennen wir, obwohl ich mir
bei einer normal
großen Segelyacht eine Sextantmessung in vier Meter Höhe über dem Wasser nicht vorstellen kann, höchstens wenn sie eine
Flybridge hat, aber wer hat die schon?
"lb" haben wir sicher schon längst vergessen. Es ist die
Indexberichtigung, die kein Praktiker rechnerisch berücksichtigt, sondern mit
Filzstift auf der Trommel markiert oder den Sextanten gelegentlich justiert oder mit
der Indexschraube (sicher nicht bekannt beim DSV) voreinstellt. Schließlich
verändert der sich selbst in der Tropenhitze auch über längere Zeit kaum,
schließlich räkelt sich der Sextant in den paar Minuten Messereien nicht in der
tropischen Sonne. Denn Rechnereien in der Navigationsecke bei
Seegang sind Gift fürs Innenohr und damit für die Schiffssicherheit, und sollte
deshalb so weit wie möglich vermieden werden. So ist es auch ein Witz, dass am
Sextanten Bruchteile einer Winkelminute, also die Sekunden, abgelesen werden.
Dass in der Prüfungsaufgabe ein Winkel von 10 Grad gemessen wurde, wollen wir mal durchgehen lassen, obwohl in jedem
ernsthaften Astro-Lehrbuch steht, dass Winkel unter fünfzehn Grad wegen der
unberechenbaren Lichtbrechung zu vermeiden
sind. Den Praktiker aber schmerzt so eine praxisfremde Vorgabe.
Ganz schlimm aber ist das Verlangen, die
Uhrzeit zu
berechnen. Bis ca 1970 wurden Schiffschronometer in der Hochseenavigation
verwendet, deren "Stand" zu berücksichtigen war. Das ist die Abweichung von der
echten Zeit. Diese Uhren damals waren nämlich so empfindlich, dass es für sie (und
damit für deren Gang-Genauigkeit) schonender war, den "Stand" von wenigen Sekunden zu addieren oder
substrahieren als in dem Chronometerkasten an der sensiblen Uhr rumzuschrauben.
Heute, bei der hochgenauen Quarzuhr (ja auch die Aldi-Uhr für 5 Euro ist genauer
als die damaligen Schiffschronometer!) stellt man die
Uhrzeit halt gelegentlich nach und rechnet da nicht herum. Schon wieder hat der
Praktiker eine
Fehlerquelle eingespart!
Fragen wir mal einen ganz erfahrenen Fahrten- und Weltumsegler, nämlich
Wolfgang Hausner. Der sicher
viele tausend Ortsbestimmungen per Astro
durchgeführt und damit jede Menge unbeleuchteter Riffeinfahrten sicher gefunden
hat. Wolfgang, wie hältst Du es mit der Zeitberechnung?
Das hab ich eigentlich nicht so gern, dass mich Wolfgang ob meiner lächerlichen Frage nach der Umwandlung von
Bordzeit, Zonenzeit,
letztlich in UTC, auslacht. Aber vielleicht ist Wolfgang zu
sehr Naturbursche, um sich mit solch törichten Rechnungen aufzuhalten.
Und so
machts ein anderer Weltumsegler, der auch jahrelang ohne GPS um die Welt und durch die
brüllenden Vierziger gesegelt und immer und ausnahmeslos zielgenau damit angekommen ist:
Binsenweisheit: In der Astronavigation wird der Winkel eines Gestirns über dem
sichtbaren Horizont (Kimm) gemessen und daraus eine Standlinie berechnet. Wird
eine zweite Standlinie später oder mit einem anderen Gestirn berechnet, werden
beide Linien auf der Karte gekreuzt, woraus sich ein Schiffsort ergibt. Wenn
zwischen den beiden Messungen nennenswert Zeit vergangen ist, dann muss natürlich
die Strecke berücksichtigt werden, die seit der ersten Messung vergangen ist. In
der Praxis kommt dies regelmäßig vor, wenn am Schiffsmittag die Sonne und zwei
Stunden oder so später das gleiche Gestirn gemessen wird. Dann beträgt die
Versegelung vielleicht 10
bis 12 Meilen. In obiger Lachnummer beträgt die Versegelung aber satte 53 Seemeilen.
Bei solch praxisfremden Entfernungen wird die Position wegen Strom und
Mess-Ungenauigkeiten natürlich immens
ungenau und kann in der Praxis wohl kaum für eine seriöse Navigation verwendet
werden.
Bis hierher könnte man in der Prüfung noch lächeln und sich vielleicht
denken: Die Aufgabe muss ein uralter Vorkriegskapitän mit exzellentem
Langzeitgedächtnis erfunden haben. Aber jetzt kommen wir zur eigentlichen
Gemeinheit, die in dieser Aufgabe steckt. Das ist die Verrechnung einer
Gestirnmessung und genauen Uhrzeit nach UTC (früher Greenwichzeit) zu Werten
mit denen die Standlinie in die Seekarte eingetragen werden kann. Das ist zum
Beispiel die Schwierigkeit, die vor GPS-Zeiten die
Fischer auf den Azoren zum Fischen in Landsicht verurteilt hat, weil
sie die rechnerische Verarbeitung von Zeit und Winkel mit ihrer Grundschulbildung überfordert hatte. Sie konnten
nämlich mit trigonometrischen Funktionen wie Sinus, Tangens und Cosinus rein
gar nix anfangen. So hat man im 19.Jahrhundert schon den etwas einfacheren
"Semiversus" für die Navigation erfunden. Und genau hier, also um die
Jahrhundertwende (nein nicht ins zwanzigste, sondern hundert Jahre früher
ins neunzehnte Jahrhundert) spielt die Verrechnungsmethode, die den gequälten
segelbegeisterten Prüflingen abverlangt wird.
Sie glauben es nicht und
fragen nach den Nautischen Tafeln oder nach Computer? Die Frage ist
berechtigt, denn bis ca. 1980 wurde der gesamte Weltverkehr
auf See mit
Hilfe von Nautischen Tafeln wie der berühmten N.O.249 (früher "H.O.249"
und jetzt mein Autokennzeichen)
abgewickelt. Jeder Tankerkapitän, Regatta- oder Weltumsegler benutzte die
Tafeln, weil sie gegenüber den trigonometrischen Funktionen und
Logarithmus-Tafeln eine spürbare Erleichterung in der Verrechnung von Zeit und Winkel
mit sich brachten. (Dass diese Tafeln wegen ihrer Einfachheit und dabei
hoher Präzision auch für die Navigation in den Bombern der Alliierten benutzt
wurden, lassen wir mal hier unter den Tisch fallen).
Sie ahnen es: Diese Tafeln, mit denen man obige
Aufgabe in 20 Minuten rechnen hätte können, sind in der Prüfung verboten. Was
dann? Ich wills kurz machen: Auch programmierbare Taschenrechner und erst
recht Computer, mit deren Programme man eine solche Aufgabe in 10 Minuten
zuverlässig lösen könnte, dürfen sich in der Prüfung nicht sehen lassen.
Aber es geht noch weiter: Aufgaben mit Fixsternen, die in der echten
Bordpraxis besonders leicht zu rechnen sind, wurden aus der Prüfung verbannt
und auch der bewährte und leicht zu findende und berechnende
Polarstern,
besonders geeignet, um Anfängern die Astronavigation nahe zu bringen, ist
tabu! Hier werden Prüflinge im Taschenrechnertippen geprüft und nicht in der
praktischen Navigation. Denn mit zweimaligem Eingeben in den Taschenrechner
(zur Sicherheit muss die Aufgabe doch mindestens zweimal durchgetippt
werden) kommen
leicht bis zu hundert Tastendrücke zusammen. Einmal daneben gelangt und schon ist
man durchgefallen. Toll! Zur Erinnerung: Das soll eine Segelscheinprüfung für die
weltweite Fahrt sein!
Stellen Sie sich vor, Sie müssten ihre Autoführerscheinprüfung in
einer zweispännigen Pferdekutsche ablegen! Oder anders rum: Stellen Sie sich
vor, ein Bewerber als Skipper für eine Überführung Ihrer Yacht würde Ihnen
zum Beweis seiner Fähigkeiten den Sporthochseeschifferschein vorlegen? Unser
Hobby wird verhunzt!
Man schüttelt aber auch den Kopf über die zuständigen Beamten im
Bundesverkehrsministerium, die einem solchen Treiben jahrelang zusehen, ohne
entsprechend einzuschreiten. Die Melde- und Durchfallquoten schreien doch
nach einem Segelschein, der den Erfordernissen der
heutigen Praxis und nicht denen des letzten Jahrhunderts
entspricht !
Allerdings - bei unserer deutschen Beamtenmentalität ist dies sicher in den
Wind gesprochen.
Dieser Artikel hat
weiten Anklang gefunden und heftige Meinungsverschiedenheiten ausgelöst- siehe
hier!
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