Das
segelnde Klassenzimmer
- die Weltumsegelung der
Kiwitt (3)
Reparieren, streichen, überholen - und das in einem furchtbar heißen Sommer. Da darf man den Zeitpunkt des Absprungs nicht verpassen. Ich würde allerdings (natürlich nur ein bisschen) flunkern, wenn ich behaupten wollte, dass mein Zeitplan hingehauen hat. Im Grunde haben wir vier Wochen lang jedes Wochenende aufs Neue Abschied gefeiert. Alle Freunde sind gekommen und wir hatten einige lustige Abende. Abschied feiern hat in diesem Sommer irgendwie dazugehört, und es kam auch wegen der tausend Kleinigkeiten, die zu bedenken waren, nie Langeweile auf. Wie lange ich etwa brauchen würde, um eine Sprayhood aus stabilem VA zu bauen, an der man sich auch festhalten kann, wusste ich einzuschätzen, auch wie lange es wohl dauern würde, den Bugkorb zu reparieren oder die Püttinge der
Vorstage (die
Kiwitt hat zwei parallele) auszutauschen, konnte ich abschätzen. Es waren die Kleinigkeiten, die aufhielten. Beim Installieren der neuen Gasanlage fand ich auf einmal eine Stelle, an der Wasser ins Sperrholz eingedrungen war. Nichts Dramatisches, aber das sollte doch vor der Reise behoben werden. Beim Anschrauben eines
Relingsfusses brach die Schraube ab, so dass wir sie ausstemmen mussten, da man den Fuß schlecht versetzen konnte. Dass man anschließend die Stelle wieder streichen musste, brauche ich ja nicht zu erwähnen. Der eingebaute Wassertank (flexibel) war undicht, da er schon ein einige Jahre hinter sich hatte. Weil das Geld knapp war, fing ich an zu flicken und, und, und….. Nicht zuletzt räumten wir auch noch ständig hin und her, weil ja auf jedem Boot – und auf der
Kiwitt im Besonderen – nur sehr wenig Platz ist.
Typisch: Weltumsegelung beginnt mit Papierkrieg
- und ist schon fast zu Ende
Wie schon gesagt: Wir wurden und wurden nicht fertig, aber irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem es einfach losgehen musste. Und endlich war das Schiff soweit fit. Also machte ich mich auf den Weg zum Hafenbüro, um einen Termin zum Kranen auszumachen. Der Klever Hafen hatte damals einen gut hundert Jahre alten Hafenkran, der aber leider defekt war. „Na toll!“ Die Alternative, einen Autokran kommen zu lassen, passte natürlich überhaupt nicht in mein knappes Budget. Wir suchten nach Alternativen, und nach kurzem Überlegen kam uns die Idee, das THW anzusprechen. Die Leute vom THW waren schnell bereit, im Rahmen einer Übung die
Kiwitt zu kranen. Meine Retter in der Not. Nachdem das Problem gelöst war, kam der nächste Rückschlag: Der Altrheinarm, in den der Kanal mündet, der nach Kleve führt, hatte mit den Folgen des heißen Sommers zu kämpfen. 50 cm waren auch für die
Kiwitt mit ihren 1,15 m Tiefgang zu wenig. Was konnte man tun? Eine Überlegung war, die
Kiwitt mit Luftsäcken, die an Bord waren, um im Notfall ein Sinken zu verhindern, floßähnlich aufzuschwimmen und sie über die Flachstellen zu bringen. Ein Plan, der schnell wieder verworfen wurde. Die einzige Möglichkeit, die blieb, wenn ich in absehbarer Zeit noch losfahren wollte: Den ersten Teil der Reise, die 13 km vom Klever zum Emmericher Hafen, auf dem Landweg zurückzulegen. Dort könnte ich sie dann im Containerhafen direkt in den Rhein kranen, der zu dieser Zeit übrigens auch nur noch eine garantierte Wassertiefe von 1,90 m hatte. Leider war der Trailer, auf dem die
Kiwitt stand, definitiv nicht für einen derartigen Transport geeignet. Der Plan sah also vor, die
Kiwitt mit Hilfe des THWs auf einen stabileren Trailer zu kranen, den wir mit einem geborgten Traktor nach Emmerich ziehen und sie dort in den Rhein kranen würden. Klingt einfach, wenn man ein paar Wochen Zeit hat. Ich wollte jedoch am Dienstag in Emmerich sein – und es war Samstagnachmittag. Mit einiger Unterstützung von Bernhard, meinen Eltern und einigen Freunden ließ sich tatsächlich noch alles organisieren. Mit einem flehenden „Bitte, bitte“ bekam ich Dienstagmorgen sogar noch die Sondertransporterlaubnis (wohl bemerkt für Dienstagabend).
Nachmittags ging es dann los. Um fünf Uhr rückte das THW Kleve an. Wir zogen die
Kiwitt mit dem Stapler auf das Hafengelände, wo genug Platz zum Umladen war. Eine der beängstigendsten Situationen der ganzen Reise. Das Hafengelände in Kleve ist sehr alt, mit grobem Kopfsteinpflaster gepflastert und uneben. Und plötzlich passierte es. Es knarrte und die
Kiwitt neigte sich zur Seite. Der recht einfache und alte Trailer gab nach. Mir (und Bernhard auch) sackte das Herz in diesem Moment ins Bodenlose. Ich sah sie schon umkippen, und damit wäre die Reise beendet gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Gott sei Dank gab der Trailer nur ca. 10 cm nach und hielt das Gewicht dann wieder. Es waren nur 500 m, aber ich habe, wohl nicht als Einziger, Blut und Wasser geschwitzt. Als die
Kiwitt endlich im Kran des THWs hing, war die größte Gefahr gebannt.
Das wäre ein verdammt hohes Lehrgeld gewesen, und mir war klar, dass ich auf die Qualität des Trailers in Zukunft sehr genau achten würde. Doch ein Trailer ohne Boot sieht viel robuster aus, mit Boot wirkt er gleich wesentlich filigraner.
Am Kran „hängend“ tat sich dann erst mal gar nichts. Die Hydraulik arbeitete, aber die
Kiwitt stand weiterhin auf ihrem Kiel. 4 t konnte der Pontonkran mit ganz ausgefahrenem Arm heben, aber das war anscheinend nicht genug. Natürlich war das Schiff auch voll beladen. Die Jungs vom THW fuhren den Ausleger ein Stück ein, so dass es gerade ausreichte, um das Boot anzuheben und die Trailer auszutauschen. Irgendwann war dann alles sicher verstaut, und auch der Traktor stand bereit. Um 10 Uhr setzte sich der Konvoi, bestehend aus Traktor, Hänger und zwei Begleitfahrzeugen, in Bewegung. Beim Verlassen des Hafengeländes kommt man in Kleve direkt an der Polizeiwache vorbei. Schon 800 m dahinter hielt uns ein benachrichtigter Streifenwagen an. Ob wir denn eine Genehmigung hätten? Ihnen lägen keine Informationen über einen Sondertransport vor. Wie auch, meine Genehmigung war ja erst morgens früh erteilt worden. Nachdem ich sie den verwunderten Polizisten vor die Nase gehalten hatte, ließen sie unseren Konvoi weiterziehen. Der Rest der Fahrt verlief dann recht unspektakulär, soweit man das von einem solchen Transport sagen kann. Die Nacht verbrachte ich mit Malte auf der
Kiwitt, die vor dem Containerterminal in Emmerich am nächsten Tag gekrant werden sollte.
Das Kranen verlief sehr professionell, denn die Jungs vom Containerterminal verstanden etwas von ihrem Handwerk. Schließlich berührte die
Kiwitt das Wasser. Glück und Erleichterung war das, was ich in diesem Moment verspürte. Der Stress der letzten Tage war einfach wie weggeblasen. Zusammen mit Malte, meinem Vater und einer Freundin wollte ich das Boot in den Jachthafen fahren. Wir legten ab und drehten erst einmal eine ausgiebige Runde durchs Hafenbecken. Eine Vorsichtsmaßnahme, da ich die Kraftstofffilter gewechselt hatte und man weiß ja nie... Der Rhein ist nicht gerade ein Badesee, doch alles lief gut. Wir konnten uns auf den Weg machen! Wir verfließen den Hafen, und die Strömung erfasste uns. Da passierte es dann! Der Diesel fing an zu stottern und ging aus. Na toll, gerade im Fahrwasser auf der ersten Kurzetappe meiner Reise und dann so etwas. Ich rief meinem Vater zu, er solle den Anker werfen. Der Anker! Kurz vorm Ablegen war ich noch schnell über Deck gegangen und hatte auch in den Ankerkasten geschaut. Dabei hatte ich gesehen, dass der Anker nicht angeschäkelt war, was ich Gott sei Dank noch vor dem Ablegen nachgeholt hatte. So rauschte er also mit Kette über Bord, und die
Kiwitt lag ohne Motor am Rand des Fahrwassers. Da ich die Filter gerade erst gewechselt hatte, hatte ich mich auch mit der Entlüftung des Diesels auseinandergesetzt, und so wusste ich, was ich zu tun hatte. 10 Minuten später war die
Kiwitt wieder flott, und wir fuhren direkt in die nächste Hafeneinfahrt, den Zollhafen, wo wir am Besuchersteg festmachen konnten.
Hier lagen wir dann auch bis zur Abfahrt am nächsten Wochenende. Die Nächte verbrachte ich auf der
Kiwitt, da der Steg unbewacht war. Eines Morgens rückten Mitarbeiter der Stadt an und fingen an, ein Schild aufzuhängen. Ich scherzte mit Malte: „Die hängen da jetzt ein ‘Betreten verboten’-Schild an den Steg.“ Kurze Zeit später stellten wir fest, dass das, was ein Scherz sein sollte, der Realität entsprach: „Betreten verboten!“ Ich fragte nach, und es stellte sich heraus, dass die Stadt die Verantwortung für den Steg nicht mehr übernehmen konnte. Auf Grund des niedrigen Wasserstandes war die Brücke, die an Land führte, halsbrecherisch steil geworden. Man versicherte uns allerdings, dass wir liegen bleiben könnten, nur eben auf eigene Gefahr.
Nach und nach wurden all die Habseligkeiten, die ich mitnehmen wollte, an Bord gebracht. Man glaubt gar nicht, wie viel das ist, und für alles muss sich ein Platz finden, was zu Anfang allerdings nicht der Fall war, und so stand vieles noch rum. Parallel dazu wurde die undichte Stelle in der Treibstoffversorgung gesucht, was nicht einfach war, da natürlich nirgendwo ein Leck zu sehen war, aber trotzdem Luft in die Leitung kam. Alle Dichtungen wurden ersetzt, und zwischendurch ließen wir immer wieder den Motor laufen, um zu sehen, ob er noch Luft zog. Ich weiß nicht, wie oft ich die riesige Backskiste der
Kiwitt, in der bei geschlossenem Deckel bequem zwei Erwachsene sitzen können, aus- und wieder eingeräumt habe. Aber wie sich später herausstellen sollte, war das nur der Anfang von unzähligen Malen, denn, wie wir ja alle aus Erfahrung wissen, egal was man sucht – es liegt immer ganz unten.
Als der Motor irgendwann zwei Stunden ohne Probleme durchlief, hatten wir es endlich geschafft. Jedenfalls glaubten wir das damals.
Der Abschied
Ich hätte nie gedacht, dass es in den letzten Tagen noch so viel zu erledigen gibt. Tausendundeine Kleinigkeiten. Dazu kommen Besuche bei allen Verwandten, Freunden und Helfern und so weiter und so fort. Die Zeit verstrich wie im Flug oder wie in Trance, je nachdem wie man es sieht. Und dann kam er irgendwann, der große Tag. Der 17.08.2003.
Ich hatte den letzten Abend und die Nacht bei meinen Eltern und Geschwistern verbracht, um mich von ihnen zu verabschieden. Morgens fuhr mich mein Vater zur
Kiwitt, wo ich auf Bernhard und Petra traf. Auch Bernhard wollte sich verabschieden, schließlich würde er sein Boot eine ganze Weile nicht wiedersehen. Gemeinsam sorgten wir noch ein wenig für Ordnung und putzten die
Kiwitt heraus.
Gegen Mittag trafen dann nach und nach alle ein, die sich von mir verabschieden wollten. Um genau zu sein, war es ein riesiger Auflauf: Familie, Freunde und Bekannte. Es flossen viele Tränen, und nicht alle schafften es bis hinunter zum Steg, da die Brücke dorthin ja wegen des Wasserstandes so steil war. Bernhard übergab mir feierlich die Schiffsdokumente und hielt eine
Rede (Foto links). Ich schüttelte unzählige Hände und drückte meine Familie und Verwandten. Irgendwann gab es keine Ausrede mehr, und die Zeit zum Ablegen war gekommen. Auf der einen Seite ein bedrückendes Gefühl, wenn man die Leinen löst und weiß, dass man die Menschen, die man gerne, hat für drei Jahre nicht mehr sehen wird oder – im Falle der Großeltern – vielleicht auch nie mehr wiedersehen wird. Auf der anderen Seite wurde es von dem tollen Gefühl überlagert, vor einem der größten Abenteuer meines Lebens zu stehen, mir meinen großen Traum zu erfüllen, die Welt zu sehen. Als ich nach oben schaute, waren natürlich alle Augen auf mich gerichtet. Was dachte mein Verabschiedungskomitee wohl? „Da fährt er, der Verrückte“ oder „Wenn das mal gut geht“. Der ein oder andere wird auch gedacht haben, „wie gerne würde ich tauschen“. Ein Onkel von mir, der einzige in der Familie, der segelt, hat mal zu meinem Vater gesagt: „Lass den mal fahren, vielleicht schafft er es bis zu den Kanaren, aber dann dreht er bestimmt wieder um, der Atlantik ist einfach zu groß.“ Die Antwort meines Vaters: „Der dreht nicht um, der segelt um die Welt.“ Wenn jemand meinen Dickkopf kennt, dann ja wohl meine Eltern!
Meine Eltern haben - glaube ich - sehr oft von anderen zu hören bekommen, dass diese ihren Kindern das nicht erlaubt hätten. Aber auch wenn sie von der Idee nicht begeistert waren, haben sie gesagt, dass es meine Entscheidung sei und mich immer bedingungslos unterstützt.
Das Abenteuer lockte, und so legten wir, das waren Malte, Romana (eine Freundin, die ein paar Tage mitfahren wollte) und ich, ab und drehten noch eine winkende Runde durch den Hafen, bevor es Richtung Rhein ging. Das Bild, das mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, war mein Großvater, der ein wenig abseits vom Trubel zum Wasser runtergegangen war und mir als letztes zurief: „Komm gesund wieder zurück, Jung!“ Ich habe ihm zurückgerufen: „Mach ich! Aber bleib du auch gesund.“ Meine größte Angst war, meine Großeltern nicht wiederzusehen.
Wir fuhren rheinabwärts, und als wir die Rheinbrücke in Emmerich erreichten, standen da noch mal Verwandte und winkten. Aber irgendwann ließen wir alles hinter uns und fuhren dem Abenteuer direkt entgegen. Diese ersten Meter waren unbeschreiblich. Die ganze Anspannung war weg, und ich hatte drei Jahre Reise vor mir. Zum Träumen war jedoch keine Zeit, da der Schiffsverkehr auf dem Rhein meine ganze Aufmerksamkeit erforderte. Nach 19 sm erreichten wir Nimwegen, wo wir den Rhein (bzw. hier ja schon die Waal) verlassen wollten, um über einen kurzen Kanal zur Maas zu kommen, die dann automatisch flussaufwärts in den Canal de l’Est übergeht. Also der direkte Weg zum Mittelmeer. Um 17:05 Uhr erreichten wir die Schleuse in Nijmegen, die Sportboote sonntags natürlich nur bis 17 Uhr schleust. Es blieb uns nichts anderes übrig, als festzumachen und auf den nächsten Tag zu warten. Über der Schleuse hängt übrigens drohend eine Tafel, die den aktuellen Wasserstand über dem Drempel angibt. Sie zeigte1,24m fallend, die
Kiwitt hat 1,15 Tiefgang…leer….

Alle
Probleme gelöst? Bei Weitem nicht. Allein die
"Anfahrtsschwierigkeiten" zur Weltumsegelung können sich zu
anscheinend unüberwindbaren Schwierigkeiten aufbauen. Aber Sebastian findet
immer ein Lösung, wie die nächsten Berichte auf dieser Webseite
zeigen - hier gehts zur Fortsetzung!
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