Erlebnisbericht
für Freunde der Weltumsegler (3)
Britta
und Michael sind bereits 2006 bis 2009 mit ihrer VERA, einer SWAN 47 (Baujahr 1976), um die Welt
gesegelt - siehe
Who-is-Who-im-Weltumsegeln. Zwischenzeitlich hat Michael für seine
Freunde einige bemerkenswerte Beiträge geschrieben, die ich mit seiner
Erlaubnis auch auf meiner Webseite für meine treuen Besucher nachdrucken
darf. Nebenbei: Sein
Erfahrungsbericht über die Weltumsegelung mit einem
Iridium-Satelliten-Telefon
hat
vielen Langfahrtaspiranten
die Entscheidung "welche Kommunikation?" erleichtert.
Nach erfolgreicher Weltumsegelung
leben die beiden nun für immer auf ihrer Yacht, und das ist immer noch die betagte Swan 47.
Davon handeln die Fotos, Videos und Berichte von Britta und Michael an ihre
daheimgebliebenen Freunde. Im ersten Bericht segelten wir mit Michael und Britta
im Reich der
chilenischen Gletscher, und anschließend verbrachten wir frierend den Winter
in der südlichsten Stadt, auf ihrer
Yacht in Puerto Williams in Feuerland .Bobby Schenk
Weit, weit im Norden liegt
Kap Horn
037 - 06012019 - »Drake Passage« nach »Deception Island«
Hallo Ihr Lieben!
Nach den vorangegangenen, arbeitsintensiven Wochen der Vorbereitung ist die Abreise aus Puerto Williams am Tag nach der gelungenen und gut begrillten kollektiven Weihnachtsfeier deshalb nochmal extra stressig. Ausklarieren, diverse Einkäufe der letzten Minute stauen, ein Spinnennetz von Leinen loswerfen, e-mail Adressen austauschen, winken. Dann sind wir endlich los. Zum runterkommen buchteln wir in mehreren Tagen über »Caleta Lennox« nach »Caleta Martial«, keine zehn Seemeilen vom Horn der Hörner entfernt. Kaum ist der Anker drin, heult es auch schon los. Harte Regenböen aus NW, die ganze Nacht. Ein irrer Platz, aber ganz gut geeignet um ein letztes mal auszuschlafen. Bei der abendlichen Analyse des GFS Modells zeichnet sich nämlich ab, das sich unser gutes Wetterfenster für die Drake Passage zu schließen beginnt. Wir müssen sofort los, wenn wir hier nicht für lange Zeit versauern wollen.
Caleta Lennox, Caleta Martial und Kap Horn:

Kap Horn empfängt uns morgens mit NW 7 und einem interessant gestaffeltem Seegang, so wie beim letzten mal im vergangenen März. Allerdings sind unsere Seebeine durch das Jahr Fjorde und Wandern nicht besser geworden. Trotz aller Vorkehrungen füttern wir gemeinsam die Fische, bis einige Stunden später das Kontinentalschelf steil gen Süden abbricht und die See wieder ruhiger atmet. Große Albatrosse zirkeln uns ein. NE 5-6 jetzt, über das Backstag. Alles bestens.
Fotogene Klippen am »Cabo Deceit«, nur wenige Seemeilen gleich gegenüber von
Kap Horn gelegen:

Die »Drake Passage«, gute 180 Seemeilen südlich von Kap Horn. Flaute auf einer alten Kabbelwelle auf langer Dünung aus NW. Kurs auf die Südshetland Inseln. Das Baro fällt wie ein Stein. 985 Millibar jetzt. Wind ist im Anmarsch, viel Wind. NW diesmal, so orakelt das GFS. Der frisch gewartete Volvo schnurrt. Schleichfahrt. Draussen dichter Nebel, keine hundert Meter Sicht. Es riecht nach Eis, oder? Vermutlich Einbildung. Auf unserem neuen Radar, das sich neuerdings mit dem Apple Laptop angefreundet hat, ist ringsum nichts zu sehen. Kein Schiff, kein Eis.
Einen Tag später, auf 61 Grad Süd. Auf dieser Breite hatte Cook auf seiner ersten Reise genug. Später gelangte er auf einer anderen Länge sogar bis auf 71 Grad Süd, fand aber auch dort nirgends Land, nur Nebel und Eisberge. Wir dagegen segeln mit genauen Karten und metergenauer, vollautomatischer Satellitenpeilung. Wir wissen also, dank der Leistung anderer, das die Antarktis südöstlich von hier eine langgestreckte Halbinsel aufweist, mit etlichen vorgelagerten Inseln, den Südshetlands. Zu diesen gehört auch die Vulkaninsel »Deception«, einst das Herz der internationalen Walfangszene. Womöglich ist sie aber auch manchem deutschen Blauwassersegler ein Begriff. Schließlich strandete dort das berühmte Seglerpaar Heide und Erich Wilts mit ihrer Segelyacht FREYDIS Anfang der Neunziger in einem schweren Sturm, überlebte einen langen, einsamen Winter, und schrieb den Bestseller »Gestrandet in der weissen Hölle«. Ein Traumziel also. Noch 100 Seemeilen. Draussen grau in grau auf tintenblauem Grund bei knackig kaltem NW, eine eigenartig fahl helle Nacht, die jetzt im Hochsommer nur wenige Stunden dauert. Kalt ist‘s, saukalt. Keine Sau weit und breit. Aber die VERA fliegt dahin. Neun Knoten unter gerefftem Groß, Kutter und Genua auf eigenartig glatter See
- Was nachfolgendes Video beweist (Anmerkung Bobby Schenk).
Ruhige Drake Passage. B klappert mit den Töpfen. Ein Film von B+M:
Im Morgengrauen erreichen wir wohlbehalten die »Boyd Strait«, die Durchfahrt zwischen »Snow Island« und »Smith Island«. B sieht Eis. Ein mächtiger, strahlend weißblauer Eisberg liegt mitten in der Einfahrt, umgeben von gefährlichen kleinen »Growlern«, Eisstücken von LKW Größe, die beim Aufprall böse Schäden verursachen dürften. Wir müssen aufpassen, und draussen Eiswache gehen. Ein cooler Job, auch weil um uns herum ganze Herden von Pinguinen plantschen. Zum Glück ist der Wind weg, wie abgestellt. Der Volvo läuft. Gegen Mittag steigt die Vulkaninsel »Deception« vor uns aus dem Nebel. Die enge Einfahrt in den Kratersee trägt einen furchterregenden Namen: »Neptunes Bellows«, »Das Brüllen Neptuns« und sieht auch so aus: Nadelscharfe Klippen, senkrechte Felswände. Zum Glück ist der Hausherr heute ausser Haus. Wir kommen also ungeschoren durch. Ein einmaliges Panorama öffnet sich vor dem Bug der VERA: Die überflutete Caldera des alten Vulkans. Rechts die alte Walfangbasis in der »Whalers Bay« mit rostigen Trankochern, runden Tanks, dazu verfallene Holzhäuser. Hier muss es einst hoch hergegangen sein, als sich mit Walfang noch das große Geld verdienen ließ. Heute hat sich da etwas surreal verschoben. Große Kreuzfahrtschiffe liegen in der »Whalers Bay« und spucken aberhunderte von Goretextouristen auf den heißen Strand mit seinen rauchenden Fumarolen. Nix für uns. Am anderen Ende des Kraters liegt die kleine, gut geschützte »Telefon Bay«. Der Anker fällt am frühen Abend und hält. Am schwarzen Strand liegt ein Stapel Seeelefanten faul herum und ignoriert uns. Heute ist Sylvester, gutes Timing also. Wir essen Toast mit Guacamole, stoßen an und fallen ins Bett. Nach UTC ist es ja auch schon Neujahr, das für uns mit dem ganz großen Abenteuer beginnt. Immerhin haben wir mit etwas Glück das beste aus diesem recht kurzen Wetterfenster gemacht. Einmal mehr zeigt sich, das die hohen Etmale, zu der die alte VERA noch immer fähig ist, nicht nur der Sicherheit zuträglich sind, sondern auch der Bequemlichkeit dienen. Ihre Konstrukteure Olin und Rod Stephens wussten worauf es auf See ankommt.
Sonnenaufgang über der Antarktis:

Unser erster Eisberg:

»Deception Island« voraus:

VERA und BOUNCE in der »Telefon Bay« /
»Deception Island«:

In der Nacht ist die australische HAIYOU (Chinesisch für »Meeresfreund«, Garcia 45 Exploration, nagelneu, Liftkiel, Eisklasse, beheiztes Panzerglasdeckshaus) mit ihrer französisch, chinesisch, argentinischen Dreiercrew eingetroffen, und liegt am Morgen friedlich neben uns. Als sich dort bis zum frühen Nachmittag nichts rührt und auch auf dem UKW keine Antwort kommt, beginnen wir uns Sorgen zu machen. Kohlenstoffmonoxidvergiftung nach durchfeierter Sylvesternacht? Immerhin haben Chris und Lynn erst vor kurzem einen dieser herrlich zuverlässigen Killeröfen eingebaut, so einen, mit sichtbaren Flammen und rußendem Schlot an Deck. Eben machen wir das Dinghy klar, um die vermutlich grauenhafte Szene in Augenschein zu nehmen, als Chris an Deck kommt und winkt. Gleich sitzen wir bei Café und Kuchen beisammen. Nix Kohlenstoffmonoxidvergiftung, nur Erschöpfung nach der harten Segelei. Und natürlich haben sie Kohlenstoffmonoxidmelder der neuesten Bauart, mit Fühlern in allen Kabinen und »App« Steuerung vom Iphone aus. Die Anlage hat sie heute Nachmittag tatsächlich geweckt, aber nicht wegen CO Alarm, sondern weil sie ihren gewohnten WIFI Zugang vermisst, mit dem sie normalerweise alle relevanten Messwerte zur Auswertung ins Netz stellt. Hightech.
Gleich gegenüber der »Telefon Bay« liegt die kleine »Pendulum Cove«, nach einem wissenschaftlichen Experiment zur Vermessung der tatsächlichen Form des Erdballs benannt. Bei Schneesturm aus NE, Null Sicht und eisigen Temperaturen verbringen wir einen Tag und eine Nacht dort mit unserer Eberspächer unter Deck, lesend, schreibend, kochend, essend und schlafend, bevor wir uns mit der Wetterbesserung endlich in die berühmte »Whalers Bay« verholen können, wo derzeit einmal kein Kreuzfahrtschiff liegt. Landgang: Die beim Ausbruch des Vulkans Ende der 60er Jahre zerstörte Britische Forschungsstation und die rostigen Reste eines ganzen Jahrhunderts mörderischen Walfangs in großindustriellem Stil bietet jede Menge Sehenswertes. Dazu heiße Fumarolen auf schwarzem Strand, auf dem sich eine Truppe cleverer Pinguine die Federn und und einige Seeleoparden ihre mit Pinguinen fettgefressenen Bäuche wärmen. Leben um gefressen zu werden. Das gibt zu denken.
Die alten Trankocher in der »Whalers Bay« / »Deception Island«:

»Deception Island«: Zügelpinguine wärmen sich ihre fedrigen Hinterteile
im heißen Sand:

Und hier der dazugehörige Zügelpinguinfilm
(von B+M):
Zu denken gibt uns auch der vor uns liegende Törn, der uns weiter gen Süden, nach »Trinity Island« führen soll. Mehr Kälte, mehr Eis, schlechte Ankerplätze, mehr Risiko, das ein wenig auf den Magen schlägt. Das GFS Wettermodell für die nächsten Tage sieht soweit ok aus. Drückt uns also die Daumen.
Karte Drake Passage:

Herzliche Grüße und ein frohes und glückliches neues Jahr wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / Deception Island / South Shetlands / Antarctica
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